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Außenseiter und Autodidakt

Norbert Tadeusz ist ein zeitgenössischer deutscher Künstler. Sein zeichnerisches Werk ist von der Auseinandersetzung und Präsenz des weiblichen Körpers in seiner sinnlichen Dimension geprägt.

Von Martina Wehlte |
    Norbert Tadeusz pflegt nicht nur sein Image als Außenseiter in der deutschen Kunst der letzten vierzig Jahre, sondern er beharrt auch auf seinem Status als Autodidakt, obwohl er von 1961 bis 1966 an der Staatlichen Kunstakademie seiner Heimatstadt Düsseldorf studiert hat. Aber seine Entwicklung als figurativer Maler geht tatsächlich auf wahlverwandte Vorbilder und Selbststudien zurück und nicht etwa auf den Einfluss Joseph Beuys’, dessen Meisterschüler er in den sechziger Jahren war und als der er heute noch gelegentlich tituliert wird, was den profilierten und erfolgreichen Siebzigjährigen zu Recht auf die Palme bringt. Gibt es Vergleiche und Bezugsmöglichkeiten für die expressiven Gemälde und Zeichnungen von nackten Menschen und von farbintensiven südlichen Landschaften?

    Es ist eine mühevolle Kleinarbeit von der zeichnerischen Skizze übers Probieren, Verwerfen, Übermalen zum endgültigen Bild. In den sechziger, siebziger Jahren gelang es Norbert Tadeusz, wie er sagt, halluzinatorisch zu malen, ein Bild, das er im Laufe eines Kneipenbesuchs vor dem inneren Auge entwickelte, später im Atelier auf die Leinwand zu bringen, als befreie er diese lediglich vom Staub, der sich auf ein schon existentes Bild gelegt habe. Damals entstanden auch riesige Formate, zwei auf drei Meter große "Stoppelfelder" mit einem schmalen Horizontstreif am oberen Bildrand und nahsichtigen Strohballen, deren spiralförmige Halme in Farbwürsten aus der Tube gedrückt sind und eine plastisch bewegte Oberfläche bilden. Ist es das, was Jürgen Schilling 1981 anlässlich einer Ausstellung im Braunschweiger Kunstverein als "ungestüm obsessive Art" der Malerei bezeichnete? Die sogartige Wirkung dieser Werkreihe mag den Schluss nahe legen, beruht aber ganz im Gegenteil auf einem schon damals langwierigen, äußerst sorgfältigen Entstehungsprozess, der auch die überarbeiteten Fotocollagen der beiden vergangenen Jahrzehnte kennzeichnet.

    Vielleicht ist es das Motiv des aufgebrochenen, hängenden Tierleibes, die charakteristische Opferhaltung hier wie auch bei den weiblichen Aktfiguren, die mit gespreizten Beinen an Turnringen hängen oder mit zur Kreuzigungshaltung ausgebreiteten Armen eine Strumpfhose zum "V" ziehen, die an Francis Bacon erinnern mag. Das Ausgeliefertsein an die Welt, die existentielle Schutz- und Zeitlosigkeit, die im Nackt-Sein zum Ausdruck kommt. Doch Norbert Tadeusz’ Darstellungen des weiblichen Aktes – zeitlebens sein Generalthema – haben nichts mit der konvulsivischen Malweise des Engländers und seinen männlichen Akten gemein. Im Gegenteil:

    "Ich hab ja weder mit der gestischen Malerei noch mit der expressiven Malerei, oder was man darunter versteht, zu tun. Und das ist ja zweifellos bei Francis Bacon der Fall; und er ist ja auch jemand, der destruktiv arbeitet und damit hab ich ja auch nichts am Hut. Bei mir entstehen die Dinge langsam über Wochen, über Monate. Bei Francis Bacon sollte alles im Hieb entstehen, aus einem Guss. Ich möchte natürlich auch, dass meine Dinge am Ende so aussehen, als wären sie heute gerade niedergeschrieben."

    Ein Konvolut von über zweihundert Blättern vorwiegend aus den sechziger und siebziger Jahren, aber bis in die Gegenwart reichend, ging aus Privatbesitz als Schenkung zu gleichen Teilen an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und an die Staatliche Graphische Sammlung München. Diese "Arbeiten auf Papier" dokumentiert ein im Verlag Hatje Cantz erschienener Buchband. Die Originale sind bis 29. August im Münchner Kupferstich-Kabinett und im Frühjahr 2011 in Dresden zu sehen. Auch hier dominieren die weiblichen Akte. Sie zeigen sich in den verschiedensten Positionen, meist frontal von vorne oder von hinten, quer im Raum liegend, überzogen von den Schatten eines unsichtbaren Fenstergitters, das den Körper gewissermaßen skelettiert; lässig dasitzend, entspannt in der Badewanne oder ostentativ ihre Scham darbietend. Norbert Tadeusz ist vom Muttertypus als dem Prototyp des Weiblichen ausgegangen:

    "Ich hatte eigentlich immer so eine Vorstellung von Müttern und Denkmälern für Mütter. Meine ersten zwei Begegnungen mit Modellen waren derart, dass sie Kaiserschnittnarben hatten, der ganze Bauch war zerschunden. Jedem Soldaten, jedem Mann wird ein Denkmal gesetzt und ich dachte, es wär doch mal an der Zeit, dieses zu tun, denn mehr als die Hälfte aller Menschen sind Frauen, und da passiert gar nichts. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich noch Bildhauer werden."

    Das Motiv des weiblichen Aktes in seiner senkrecht-waagerechten Ausrichtung mit Strumpfhose oder Umhang, das als großformatiges Gemälde bekannt ist, findet sich auch in den Arbeiten auf Papier. Es ist nicht überinterpretiert, wenn man darin einen Kruzifixanklang sieht:

    "Die Verbindung zum Himmel und zu Gottvater und die Verbindung mit Mutter Erde, das Waagerechte. Ich dachte, immer ist es der Mann, drei Männer, Vater, Sohn und Heiliger Geist sollen die Welt erlösen,"

    stattdessen:

    "die große Mutter, die schreckliche, die allwissende, die allgebärende, die allanwesende. Die Waagerechte ging nicht, aber das V, das auch für Vagina stehen kann und ich hatte eine Diagonale, die ich sehr gut für den Bau von Bildern gebrauchen kann."

    Norbert Tadeusz setzt sich von jeher intensiv mit dem Bildraum auseinander. Nicht nur, dass er häufig die ungewohnte Aufsicht auf Figuren, Landschaften oder Stillleben gibt, was für den Betrachter einen irritierenden Reiz hat und zur Konzentration zwingt; von großer Bedeutung ist auch der Schatten:

    "Der Schatten ist ja nicht nur Dunkelheit, sondern bietet auch die Möglichkeit, eine andere Farbe einzusetzen und wird zum Kompositions- und Erklärungselement. Auf diesem Wege kann man so tun, als hätte man einen plastischen Körper vor Augen, schafft Raum und man kann den Raum so organisieren, dass er plausibel erscheint."

    Der Schatten spielt in seinen Gemälden eine ebenso große Rolle wie in den überarbeiteten Laserdrucken von Fotos, die er vergrößern lässt und auseinanderschneidet, um dann in Collagen zusammenzufügen, was nicht zusammengehört; die er mit Aquarell, Kreide, Öl, Kugelschreiber ergänzt, verändert, "manipuliert", wie er es selbst nennt; in denen er die Perspektive durchbricht und Interieurszenen in Landschaften hineinschiebt. So entstehen geradezu surreale Arrangements, Ausschnitte aus stillen, ja stilllebenhaften Räumen mit geheimnisvollen entindividualisierten Figuren.

    Norbert Tadeusz: "Arbeiten auf Papier", Herausgeber: Michael Semff und Christian Quaeitzsch, 208 Seiten, 232 Abbildungen, 32 Euro, Hatje Cantz Verlag