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Ausstellung “Hacking Habitat”
Auflehnung gegen digitale Kontrolle

Smartphones, News, E-Mails: Die Masse an Daten und Informationen nimmt ständig zu. Im ehemaligen Gefängnis am Utrechter Wolvenpein zeigen 80 internationale Künstler mit Filmen, Fotos und Skulpturen, wie digitale Konzerne die Gesellschaft kontrollieren. Zelle für Zelle entwickeln sie Ideen, wie sie ihre Welt zurückerobern wollen.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Mehrere Kameras, Teil einer Kunstaktion unter dem Titel «Public Privacy #City», überwachen im Januar 2014 jeden Winkel am Grünen Markt in Bamberg.
    Haben wir überhaupt noch eine Privatsphäre? Die Ausstellung "Hacking Habitat” setzt sich künstlerisch mit dieser Frage auseinender. (picture alliance / dpa / David Ebener)
    Eine undefinierbare dunkle Masse. Ein schwarzglänzender Lavabrocken, so scheint es. Bedrohlich hängt er an der Decke des langen Gefängnisganges, gut und gerne drei Meter breit. Bedrohlich und beängstigend. Jeden Moment könnte er abbrechen und die Besucher unter sich begraben.
    "El mysterio del Chaos” heisst diese Skulptur des argentinischen Künstlers Eduardo Besualdo, die den Auftakt der Ausstellung "Hacking Habitat” formt - als Symbol für die Masse an Daten und Informationen, die uns zu erschlagen droht. Die uns längst kontrolliert und zu Gefangenen gemacht hat. Einen idealeren Ort als ein leerstehendes Gefängnis konnte sich Kuratorin Ine Gevers für ihre Ausstellung denn auch nicht vorstellen:
    "Unsere Lebensumgebung, also unser Habitat, gehört schon lange nicht mehr uns, es ist gehackt worden – von einem globalen Netzwerk aus high-tech-Systemen. Facebook und Google stecken dahinter, aber auch große Multinationals. Wir sind zu Gefangenen unserer Smartphones geworden. Wir haben unsere Welt verloren und müssen sie zurückerobern."
    Wie, das sollen uns 80 internationale Künstler zeigen, die sich mit Filmen, Fotos, Skulpturen und Installationen in den zwei mal drei Meter grossen Zellen des ehemaligen Gefängnisses am Utrechter Wolvenplein breit machen durften.
    Blick in das digitale London
    So wie der englische Künstler Stanza:
    Stanza hat seine Installation nach der griechischen Rachegöttin Némesis benannt und in seiner Zelle eine Miniaturstadt aus elekronischen Bauteilen aufgebaut - bunt, blinkend, nervös machend. Sie visualisieren das Grosstadtleben auf der Grundlage von Daten, die aus London gesendet werden - von Sensoren und Bewachungskameras. Mit anderen Worten: Stanzas Miniaturstadt spiegelt in Echtzeit wider, was sich 360 km weiter westlich an der Themse abspielt.
    "Es geht um unsere Privatsphäre und ob wir die überhaupt noch haben”, so der Künstler. "Sind die Städte, in denen wir leben, nicht zu grossen Gefängnissen geworden? Gefängnisse, in denen wir regelrecht gemästet werden mit Informationen und Daten? Aber verstehen wir die Welt dadurch besser?”
    So wie Stanza gelingt es vielen Künstlern die Bedrohung deutlich zu machen und damit einen Bewusstwerdungsprozess in Gang zu setzen. Weniger befriedigend wird die Frage beantwortet, wie wir uns gegen die Diktatur der Daten wehren und eine Faust machen können. Die Jukebox von Susan Hiller mit Freiheitsliedern aus aller Welt – Titel "Die Gedanken sind frei” – mutet etwas naiv an.
    Konferenz mit Ausserirdischen
    Überzeugender die Arbeit "Weisser Zwerg” des Deutschen Felix Burger. Er lädt in seiner Zelle zu einer Konferenz der Ausserirdischen:
    Unwirklich weisse federleichte Wesen aus Abfall- und Baumaterialien wie Schaum und Plastikrohren, die sich um einen Tisch herum versammelt haben. Denn wer zu lange eingesperrt und isoliert ist, so Burger, der kreiert sich mit einem eigenen Universum einen Ausweg:
    "Das sind autonome Skulpturen, das kann ich nicht steuern, die reden, wann sie wollen!”
    So wie Burger haben sich viele Künstler nicht auf Digitalisierung und Datenflut beschränken lassen, sondern ganz universell mit den Begriffen "Freiheit” und "Unfreiheit” auseinandergesetzt:
    Höhepunkt von "hacking habitat” ist die Videoinstallation des Südafrikaners William Kentridge über die Einführung der Zeit – der ultimative Versuch, unser aller Leben parallel laufen zu lassen und unter Kontrolle zu bekommen. Besucher der dokumenta 13 standen stundenlang in der Schlange an, um es zu sehen. Nun formt "Refusal of time” den krönenden Abschluss von "Hacking Habitat” – da, wo die Häftlinge am Utrechter Wolvenplein einst ins Schwitzen kamen und ihre Leibesübungen machten: in der ehemaligen Knast-Turnhalle.