Scott Ludlam war der Erste, der Flagge zeigte. Der westaustralische Senator der Grünen trat im Juli dieses Jahres zurück. Nicht wegen eines politischen Skandals, sondern weil er eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzt – was laut Gesetz, Abschnitt 44 der Verfassung, verboten ist. Ludlam wurde in Neuseeland geboren, er ist lebenslänglich ein Kiwi, obwohl er mit drei Jahren Australier wurde. Larissa Waters, die Vize-Chefin der Grünen hatte keine Ahnung, dass sie noch Kanadierin ist. Sie kam als Baby nach Australien und hatte nie einen kanadischen Pass. Egal, Gesetz ist Gesetz - auch sie nahm ihren Hut.
Die Rücktritte waren ein Fressen für die konservative Regierung. "Was für ein Kindergarten die Grünen doch wären", tönte Premier Malcolm Turnbull, "Verfassungs-Analphabeten, die ihre Hausarbeiten nicht gemacht hätten. Doch schon bald standen auch hochrangige Mitglieder der Regierung mit einem Doppelpass im politischen Abseits. Prominentestes Opfer: Barnaby Joyce, der Cowboyhut tragende Chef der Nationals, Koalitionspartner der Regierung und Vize-Premier - aber Joyce ist auch Neuseeländer. Automatisch wie sein Vater, der 1947 nach Australien kam. Mit Joyce aus dem Parlament hat die Regierung ihre hauchdünne Einsitzmehrheit verloren – und geht es nach Tanya Plibersek von der Labor-Opposition auch ihre Rechtmäßigkeit.
"Australien stehen unsichere Zeiten bevor. Premier Turnbull hat seinen Stellvertreter über Gesetze abstimmen und auch andere als Minister Entscheidungen treffen lassen, obwohl sie dazu nicht berechtigt waren. Diese Entscheidungen sind jetzt rechtlich anfechtbar."
Überall stehen kostspielige Nachwahlen an
Der Oberste Gerichtshof musste jeden Einzelfall erst prüfen, fünf Doppelstaatler verloren ihr Mandat, drei weitere traten von sich aus zurück. Trotzdem wehrt sich Premier Malcolm Turnbull mit Händen und Füßen gegen eine unabhängige Überprüfung aller Abgeordneten. Sein Aussitzen der Doppelpass-Affäre schadet seiner Partei, aber vor allem ihm selbst. Turnbulls Umfragewerte sind im Keller, überall stehen kostspielige Nachwahlen an, niemand weiß was mit den zu Unrecht bezahlten Bezügen und Pensionsansprüchen der früheren Parlamentarier passieren soll. Cory Bernardi von der australischen Konservativen-Partei glaubt nicht, dass Malcolm Turnbull nach der Weihnachtspause noch Australiens Premier sein wird.
"Wir sind am Rand einer ausgewachsenen Verfassungskrise und die Regierung will der Sache nicht auf den Grund gehen. Premier Turnbull schaufelt sein eigenes politisches Grab, weil er niemand auf die Füße treten will. Dabei sehen wir seit Monaten, dass es viele Politiker mit Ehrlichkeit und Offenheit nicht sehr genau nehmen."
Nicht mehr zeitgemäß für ein modernes Einwanderungsland
Italienische Vorfahren mütterlicherseits, ein griechischer Vater aus dem früher britisch verwalteten Zypern oder schottische Wurzeln: Politiker, Journalisten und Konsulatsbeamte in Canberra sehen seit Monaten den Wald vor lauter Stammbäumen nicht mehr. Die Frage ist: Haben Doppelstaatler womöglich geteilte Loyalitäten?
"Abschnitt 44 der Verfassung sollte uns vor Strohmännern oder Spionen feindlich gesinnter Länder schützen", erklärt Verfassungsrechtler Graeme Orr, aber in einem modernen Einwanderungsland wie Australien, in dem jeder Dritte einen Migrationshintergrund hat, sei das nicht mehr zeitgemäß.
"Selbst in unseren Bundesstaaten dürfen Doppelstaatler in politische Ämter gewählt werden. Dieses Gesetz ist ein Überbleibsel der britischen Kolonialzeit des 18. Jahrhunderts. Es ist höchste Zeit dieses Relikt bei uns per Referendum oder mithilfe des Parlaments und der Gerichte zu beseitigen."
Insider schätzen, dass noch mindestens 20 weitere Abgeordnete ihren verfassungsrechtlichen Status vom Obersten Gerichtshof prüfen lassen müssen. Anfang Dezember beginnen die ersten Nachwahlen, einige der Doppelstaatler, die inzwischen ihre zweite Staatsbürgerschaft abgegeben haben, treten wieder an. Auch Ex-Vize-Premier Barnaby Joyce. Bis dahin aber regiert im australischen Parlament die Unsicherheit.