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Autonomes Fahren
"Ich möchte über mein Auto verfügen können"

Ein Auto, das einen von A nach B bringt, ohne dass man es selbst steuert? Ist das die große Verheißung der Zukunfts-Industrie? Nein, sagt Autowirtschafts-Forscher Helmut Becker im DLF: "Das gibt es heute schon - und heißt Taxi". Autonomes Fahren sei kaum mehr als ein Hype.

Helmut Becker im Gespräch mit Dirk Müller |
    Das selbstfahrendes Auto von Google.Das Google-Ei oder der Google-Toaster ist als Zweisitzer ausgestattet und wird auf der IAA 2015 vorgestellt.
    Das selbstfahrendes Auto von Google gibt Anlass über die Zukunft des Selbstfahrens nachzudenken. (imago/ZUMA Press)
    Der Volkswirt und Auto-Experte Helmut Becker sieht die Visionen des selbstfahrenden Autos skeptisch. "Wir haben das Auto hier vor 125 Jahren erfunden, weil wir Herr des Systems sein wollen, weil wir Mobilität haben wollten", so der Experte vom Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation. Wer sich ein Hightech-Auto kaufe, wolle nicht von einem Roboter gefahren werden, sondern selbst steuern.
    Zwar habe sich in jüngeren Generationen die Einstellung zum Automobil versachlicht und sei "weniger romantisch" als noch vor einigen Jahren. Doch weiterhin gelte: "Wenn ich mir ein Auto kaufe, möchte ich darüber verfügen können, und nicht, dass das Auto über mich verfügt."
    Auch für die Elektromobilität sieht Becker keinen baldigen Durchbruch. Solange der Ölpreis nicht erheblich steige und es weiterhin an Speicherkapazität fehle, werde sich diese Technologie nicht flächendeckend durchsetzen.
    Das vollständige Gespräch können Sie hier nachlesen.
    Dirk Müller: Wir kennen den Machtkampf von Google, von Apple, Microsoft und vielen anderen um die Vorherrschaft im Netz, um Marktmacht bei Smartphones oder auch Tablets und vieles andere mehr. Aber dass beispielsweise der Internet-Gigant Google längst in das Wettbewerbsrennen in der Automobilbranche eingestiegen ist und dort versucht, VW, BMW, Daimler oder Toyota in den Schatten zu stellen, das ist noch nicht ganz so offensichtlich. Auf der IAA (Internationale Automobil Ausstellung) in Frankfurt ist Google nun zum ersten Mal ganz offiziell mit dabei, ist präsent und wirbt auch dementsprechend offen. Software-Ingenieure sind also gefragt statt Motorenentwickler, eine Verschiebung der Prioritäten. So könnte in naher Zukunft das Roboter-Auto computergelenkt durch den Stadtverkehr rollen, per Smartphone gebucht und dann auch noch bezahlt. - Autoexperte und der frühere Chefvolkswirt von BMW, Helmut Becker, ist nun bei uns am Telefon. Er leitet das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation. Guten Morgen nach München.
    Helmut Becker: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Becker, haben Sie schon ein Passwort, um demnächst Ihr Auto zu starten?
    Becker: Nein, ich habe noch keins, und so wie die Sache aussieht, werde ich auch keins haben wollen.
    Müller: Werden wir zwei das denn erleben?
    Becker: Ich glaube nicht, dass wir beide das erleben werden. Denn ich glaube, es wird ein großer Fehler gemacht. Es ist ein Unterschied, ob man nun ein Auto als Roboter-Auto gestaltet, oder ob man ein Auto mit Verbrennungs- oder Elektromotor selber steuert. Das ist ein Systemwechsel. In dem ersten Fall ist der Mensch ausgeschaltet, er ist eigentlich nur noch Handlanger oder wie auch immer Objekt. Im zweiten Fall ist er Herr des Systems. Wir haben das Auto vor 125 Jahren hier erfunden in Deutschland, weil wir Herr des Systems sein wollten. Wir wollten uns bewegen, wir wollten Mobilität haben, selbstgesteuerte Mobilität. Und derjenige, der sich jetzt ein Hightech-Auto kauft, zum Beispiel einen Porsche oder einen Mercedes oder BMW in der Sportausführung mit so und so viel PS, der möchte nicht autonom und der möchte nicht von einem Roboter gefahren werden, sondern der will selber fahren, der hat Spaß am Fahren. Das ist der Unterschied.
    Müller: Wir beide verraten jetzt nicht das Alter, aber die jüngeren Hörer, die uns jetzt zuhören, werden vielleicht sagen, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
    Becker: Ach, die Zeichen der Zeit. Wissen Sie, die werden definiert von den Zeitläuften und sicherlich ist richtig, dass sich die Einstellungen zum Automobil in gewisser Weise versachlicht haben. Es ist nicht mehr so romantisch, wie das früher gewesen ist. Aber es gibt durchaus Gelegenheiten, wo man sagen will, nein, das möchte ich nicht, das will ich selber fahren. Wie gesagt, wenn ich mir ein Auto kaufe, möchte ich auch über dieses Auto verfügen können und nicht im umgekehrten Fall, dass das Auto über mich verfügt.
    Fremdgesteuerte Autos gibt es heute schon
    Müller: Aber es hört sich so an, als sei das, sagen wir, in 10, 20 Jahren vielleicht nur noch für diejenigen wichtig, die das als Hobby betrachten, die jetzt nicht Fahrrad fahren, sondern die es toll finden, Auto zu fahren. Wenn jetzt Apple auch einen selbstfahrenden PKW entwickelt, andere Internet-Unternehmen versuchen das ja auch, dann finden das ja offenbar viele attraktiv, die da sagen, ich brauch mich nur noch reinsetzen, super, da kann ich mein Smartphone oder mein Tablet parallel bedienen, und dieses selbstfahrende Auto bringt mich von A nach B. Was ist daran nicht attraktiv?
    Becker: Na gut, das haben wir ja heute schon. Das nennt sich Taxi. Sie drücken auf die App, das Taxi fährt vor und Sie steigen ein und Sie werden von A nach B gebracht. Oder bei Uber oder wo auch immer. Das ist ja nichts Neues. Die Frage ist nur, ob der Verkehr und das Verkehrssystem, was wir in 10, 20 Jahren haben werden, das in dieser Form zulässt. Wir sehen immer nur Bilder, wo ein einziges Apple-Ei - so nenne ich das Auto mal - durch die Gegend fährt, oder dass wir Momente haben, wo wir auf einem amerikanischen Highway über 100 Meilen oder 200 Meilen immer geradeaus fahren. Das ist alles machbar, das ist alles möglich. Ich bezweifle nur, dass die europäischen - und ich kenne mich ja nun hier in München ein bisschen aus -, die Münchner Verkehrsverhältnisse eine solche Bewegung innerhalb des Verkehrs zulassen. Es mag eine Nische geben, wo ein solches Automobil gefragt sein wird, aber bei dem Gros der Bevölkerung glaube ich das nicht.
    Müller: Es wird ja viel über diese intelligenten, cleveren, hoch komplizierten Assistenzsysteme diskutiert. Die sollen das ermöglichen, dass der Abstand berechnet wird, dass die Geschwindigkeit natürlich berechnet wird, dass insgesamt der ganze Raum erfasst wird. Dem geben Sie keine Chance?
    Wollen Fahrer das Autofahren erleichtern
    Becker: Nein, dem gebe ich insofern keine Chance. Wir haben eine Tendenz im Automobil, seitdem wie gesagt das Auto erfunden worden ist: Wir wollen dem Fahrer das Autofahren erleichtern und es sicherer machen und komfortabel. Das sind die beiden Momente, die eigentlich im Vordergrund stehen, und das sehen Sie jetzt auch auf der IAA. Was dort an Automobilen von der deutschen Automobilindustrie angeboten wird, das ist absolut top und das ist Spitze, und zwar ohne Roboter-Auto, sondern so, wie die Dinge heute angeboten werden. Dieses Moment, das wollen wir weiter, das wollen wir weiter behalten und da sehe ich auch keine Veränderung. Wir werden eine zunehmende Verstädterung haben. Wir werden eine andere gesellschaftliche und geografische Urbanisation haben, die möglicherweise andere Verkehrsverhältnisse dann erfordert. Aber da bezweifle ich, wenn 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, dass dann der Individualverkehr - und dieses Roboter-Auto gehört da mit rein ins Bild -, dass dieses Roboter-Auto eine Lösung dieses Massenverkehrsaufkommens sein wird. Wir brauchen einen ausgebauten innerstädtischen Verkehr, und den haben wir heute. Insofern glaube ich, die Nische für ein solches Auto ist nicht besonders groß.
    Individualverkehr nicht durch Roboter-Auto lösbar
    Müller: Um das vielleicht noch mal kurz zwischendurch abzuschließen, Herr Becker. Wenn Sie jetzt Berater wären von Google, von Apple und Co., dann würden Sie sagen, die vielen Milliarden, die ihr jetzt da in eurem Lab, in eurem Labor, Versuchslabor investiert, könnt ihr euch sparen.
    Becker: Nein, sparen nicht, sondern es ist eine Mutation. Wenn Sie die Geschichte der Lebewesen hier sehen, die Natur hat viele Versuche gemacht, mal so, mal so, mal so, und die Besseren haben sich durchgesetzt. Genau das wird hier auch der Fall sein. Ich komme noch mal zurück auf die IAA. Was steht im Mittelpunkt des Besucherinteresses? Doch nicht das Google-Ei, sondern von mir aus die Mercedes S-Klasse, das Cabriolet, oder der BMW Siebener oder der neue Tiguan oder der neue Astra oder was auch immer, ganz normale Autos mit Verbrennungsmotor, die - und das hatten Sie eben angesprochen - allerdings mit intelligenten Systemen für den Fahrer bedienbarer und komfortabler gemacht werden.
    Müller: Herr Becker, jetzt muss ich da noch mal einhaken. Sie haben das eben gesagt, die Hörer haben das auch gehört: Die deutschen Fabrikationen, die deutschen Produkte weltweit Spitze, die Zahlen sprechen ja auch dafür, von China vielleicht jetzt mal abgesehen, das hat innerökonomische Gründe. Viele bezweifeln das aber wiederum, Kritiker bezweifeln das, weil sie sagen, es wird immer noch auf den Verbrennungsmotor gesetzt, auch bei BMW, bei Audi et cetera. Aber eben nicht auf das Elektroauto. Reden wir mal über die realistischere Variante, und da haben wir beide auch schon in vielen, vielen Jahren immer bei der IAA drüber geredet. Warum passiert dort nicht so viel, dass der Durchbruch kommt?
    Bedingungen für Elektroautos haben sich verschlechtert
    Becker: Ich würde nicht behaupten, dass da nicht so viel passiert. Nur die Rahmenbedingungen für Elektromobilität haben sich in den letzten zwei, drei Jahren oder in den letzten zwei Jahren erheblich verschlechtert. Zu den Rahmenbedingungen zählt unter anderem der Ölpreis. Es hat niemand damit gerechnet, dass der Ölpreis sich in dieser Form wieder nach unten bewegt, und Goldman Sachs hat die neueste Prognose gemacht, die reden von 20 Dollar je Barrel inzwischen. Dann ist die Elektromobilität tot! Dann liegt der Benzinpreis wieder bei 70 Cent, bei 80 Cent! Das rechnet sich einfach nicht. Elektromobilität ist in der ganz fernen Zukunft die Lösung unserer Antriebsprobleme.
    Müller: Aber Öl ist ja auch endlich irgendwann?
    Becker: Ja, das meine ich ja. Das heißt, wenn das Öl irgendwann mal zu Ende gehen wird, aber dann wird sich die Preisgestaltung anders darstellen und wenn wir einen Ölpreis von fünf Dollar je Barrel hätten, wäre Elektromobilität wahrscheinlich heute schon der absolute Durchbruch. Der Kunde muss 10.000 oder 20.000 Euro mehr für ein Elektroauto zahlen und hat die ganze Unbequemlichkeit, dass er nicht weiß, ob er von A nach B kommt, weil zwischenzeitlich das Auto stehenbleibt.
    Müller: Jetzt haben wir noch eine halbe Minute, Herr Becker. Das heißt, auch in fünf Jahren werden wir nicht mit 10.000, 12.000 Euro hinkommen, um ein Elektroauto fahren zu können, was von Köln nach München fährt?
    Becker: Nein, werden wir nicht haben, denn da fehlt es an Ladekapazität und es fehlt an der Speicherkapazität, immer noch an der Batterie, die das nicht zulässt. Ganz einfach.
    Müller: Bei uns heute Morgen der Autoexperte Helmut Becker vom Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation in München. Vielen Dank für das Gespräch.
    Becker: Bitte schön.
    Müller: Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Becker.
    Becker: Ihnen auch, Herr Müller.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.