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Autorin der "jüdischen Buddenbrooks"
Zum Tod von Silvia Tennenbaum

Obwohl sie mit ihrer jüdischen Familie aus Nazi-Deutschland fliehen musste, kehrte Silvia Tennenbaum später immer wieder in ihre Heimat zurück, um von ihrem Schicksal zu berichten. Nun ist die Autorin im Alter von 88 Jahren gestorben. Ihre Werke wurden in Deutschland erst spät entdeckt, sagte ihr Verleger Klaus Schöffling im DLF.

Klaus Schöffling im Gespräch mit Dina Netz |
    Dina Netz: Silvia Tennenbaum wurde 1928 geboren, floh 1936 mit ihrer jüdischen Familie zunächst in die Schweiz, dann in die USA. Und obwohl Nazi-Deutschland sie vertrieben hatte, kam sie in den vergangenen Jahren immer wieder in ihre frühere Heimat, um von ihrer Familie und ihrem Schicksal in der NS-Zeit zu erzählen und um für ein friedliches Miteinander von Religionen und Kulturen zu werben. Silvia Tennenbaum hatte Kunstgeschichte studiert, arbeitete zunächst in den USA als Kunstkritikerin und brachte 1978 ihren ersten Roman heraus, "Die Frau des Rabbiners". 1981 erschien das zweite Buch, "Die Straßen von gestern", in den USA, 2012 auch auf Deutsch, und die FAZ nannte den Roman "die jüdischen Buddenbrooks". Tennenbaum verarbeitete darin den Aufstieg im Kaiserreich und den Fall im Dritten Reich einer jüdischen Familie. Nun ist Silvia Tennenbaum 88jährig in den USA gestorben. Ihr deutscher Verleger ist Klaus Schöffling und ich habe ihn gefragt: Sie haben Silvia Tennenbaum für das deutsche Publikum entdeckt, aber auch erst 30 Jahre nachdem "Die Straßen von gestern" in den USA erschienen war. War Deutschland vorher nicht reif für diesen Roman?
    Klaus Schöffling: Doch, es war reif und es war auch schon erschienen, aber ohne große Wirkung, und zwar Anfang der 80er-Jahre im Knaus Verlag. Da ist es erschienen und es war auch dieselbe Übersetzung, die wir dann publiziert haben, wobei wir uns erlaubt haben, die Frankfurter Begriffe auch so wiederzugeben, wie sie hier gebraucht werden. Die Übersetzung in München damals war vollkommen ohne Wirkung geblieben und wir haben ja hier vor einigen Jahren die Aktion "Frankfurt liest ein Buch" begründet, wo gerade solche Bücher zu neuer Wirkung gebracht werden, die zwar mal da waren, aber die eigentlich keiner so richtig kennt. Und da war das Buch von Silvia Tennenbaum, "Die Straßen von gestern", goldrichtig dafür.
    Netz: Erzählen Sie uns ein bisschen von diesem Roman. Ist dieses Etikett, "die jüdischen Buddenbrooks", das ich vorhin zitiert habe, zutreffend?
    Schöffling: Absolut, denn es ist die Geschichte ihrer Familie und das startet da, wo heute die beiden Türme der Deutschen Bank draufstehen. Da stand dieses Elternhaus und da beginnt die große Geschichte einer jüdischen Familie im Frankfurter Westend über Jahrzehnte bis hin zur Emigration. Das ist eindeutig die Geschichte ihrer Familie, die nirgendwo so eindringlich erzählt worden ist wie da. Obwohl es auf Englisch geschrieben ist, ist es eigentlich ein deutsches Buch und als solches haben wir es auch immer betrachtet und behandelt. Wir haben damals Silvia Tennenbaum eingeladen hier - das war im Jahr 2012 - nach Frankfurt zu dieser Aktion "Frankfurt liest ein Buch" und sie hat wirklich, wie man neudeutsch sagen würde, diese Stadt gerockt. Die lagen ihr wirklich zu Füßen hier, es war unglaublich. Sie sagte dann selber, das waren die schönsten Wochen meines Lebens, und da kriegt man dann schon ein paar Tränen in die Augen.
    "Sie hat diese Stadt gerockt"
    Netz: Jetzt ist in Deutschland Silvia Tennenbaum ja vor allem für dieses Buch bekannt, weil es eben übersetzt ist. Was hat sie denn sonst geschrieben?
    Schöffling: Nicht viel mehr. Sie hat noch "Rachel, die Frau des Rabbis" geschrieben. Das ist das erste Buch von ihr, was hier auf Deutsch erschienen ist. Und es gibt einen dritten Roman, der aber nicht so gelungen ist, dass sie ihn publizieren wollte. Das ist ein Rugbyspieler-Roman. Der liegt jetzt in ihrem Nachlass in Amerika und kommt wahrscheinlich als Manuskript dann demnächst auch nach Deutschland.
    Sie hat ansonsten sehr viel Kunsthistorisches publiziert, Kritiken über Kunstausstellungen - sie war ja Kunsthistorikerin - in amerikanischen Zeitungen, aber die sind nie auf Deutsch erschienen.
    Netz: Sie haben ja Silvia Tennenbaum schon gut gekannt. Sie haben es erwähnt, sie war in Deutschland unter anderem für diese Aktion in Frankfurt. Ich habe vorhin schon ihr Werben um Versöhnung angesprochen. Was war Sie denn für eine Person, für ein Mensch?
    Schöffling: Ich kann eigentlich nur ein Wort sagen: Sie war toll. Sie war ungeheuer selbstbewusst. Sie wusste sehr genau was sie will. Sie hat auch damals gesagt, hier in Frankfurt, ich stehe sehr gerne im Mittelpunkt. Sie sah auch sehr auffällig aus. Sie war zwar klein von Wuchs, aber jeder hat sie erkannt, und zwar auf viele Meter, weil sie eine sehr wunderbar breite, blau gefärbte Strähne im Haar hatte, was wie ein Markenzeichen war. Die hatte ihr vor 20 Jahren ihr Frankfurter Friseur eingeredet. Sie war sehr gebildet, unglaublich kommunikativ, sprach ein herrliches altes Deutsch mit einem leichten amerikanischen Slang. Sie war ja seit 1938 in Amerika. Den Großteil ihres Lebens hat sie in Amerika verbracht. Aber ihr Deutsch war nach wie vor brillant.
    Blaue Strähne als Markenzeichen
    Netz: Wissen Sie, wie Silvia Tennenbaum, die ja immer für Völkerverständigung geworben hat, jetzt auf diese aktuellen Diskussionen um die Flüchtlingsdebatte in Europa, über den Rechtspopulismus und so weiter geblickt hat?
    Schöffling: Habe ich mit ihr nicht drüber gesprochen, weil sie in den letzten Jahren sehr krank war. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie das auch mit einem gewissen Frösteln alles miterlebt hat. Sie hat sehr genau mitbekommen, was in Europa sich tut. Man musste ihr nichts erklären.
    Netz: Der Verleger Klaus Schöffling zum Tod der Autorin Silvia Tennenbaum.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.