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Die Erforschung der Nadelstiche

Ob Akupunktur, Homöopathie oder Naturheilverfahren: Patienten wie auch Krankenkassen setzten immer mehr auf unkonventionelle Behandlungsmethoden. Universitäten haben die so genannte Komplementärmedizin bislang gern ignoriert. Die Berliner Charité will nun neue Wege gehen: Sie hat Deutschlands erste Professur zur Erforschung der Komplementärmedizin eingerichtet.

Von Jens Rosbach |
    Professor Stefan Willich ist seit über 20 Jahren Arzt und hat die Welt der Inneren Medizin erforscht. Doch immer wieder gerät der Internist ins Staunen über die Erfolge alternativer Behandlungsmethoden.

    "Wir haben immer wieder Patienten gehabt, die lange Jahre in der Schulmedizin erfolglos behandelt wurden und wenn Sie dann mit Komplementärmedizin beginnen, kommt plötzlich ein therapeutischer Durchbruch, das ist verblüffend, ist überraschend, kommt immer wieder vor. Zum Beispiel chronische Schmerzen. Wir haben immer wieder Patienten gehabt bei Studien mit Akupunktur, die hatten jahrelang Migränebeschwerden. Schwere Beschwerden, mehrmals im Monat. Und dann haben sie einen Akupunktur-Zyklus und sind plötzlich weit über ein Jahr völlig beschwerdefrei. Also ganz... ganz verblüffend eigentlich. "

    Willich ist Chef des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité, des Klinikums der Berliner Humboldt-Universität. Er weiß: Trotz der offenkundigen Erfolge runzeln immer noch viele seiner Kollegen die Stirn über die Alternativ-Therapien und ihre unklare, geheimnisvolle Wirkung.

    "Nehmen Sie mal Akupunktur. Das wird zwar seit Jahrtausenden von Jahren betrieben und hilft offenbar auch vielen, aber warum es hilft und wie es hilft ist nach unserem naturwissenschaftlichen Verständnis unklar. Und deswegen hat sich die Universität bisher diesen Richtungen eher nicht geöffnet."

    Willichs Institut hat nun eine Professur für Komplementärmedizin eingerichtet. Es handelt sich um eine Stiftungsprofessur - gesponsert von der Karl und Veronica-Carstens-Stiftung in Essen, die sich der Alternativmedizin-Förderung verschrieben hat. Besetzt wird die Stelle von Claudia Witt, 39 Jahre alt und bislang Privatdozentin am Sozialmedizin-Institut. Witt plant ihre Forschungen zu vertiefen, ob und wie gut bestimmte Therapien wirken.

    "Wir bewegen uns im Forschungsbereich der chinesischen Medizin. Also ich habe viel Forschung zur Akupunktur gemacht, mache auch viel Forschung zur chinesischen Bewegungstherapie, diesem Qigong, und die Homöopathie gehört in dieses Forschungsfeld hinein, aber auch die Naturheilverfahren. Also wir beschäftigen uns immer mit dem, was die Bevölkerung häufig in Anspruch nimmt und sehen es als unsere Aufgabe zu schauen, ob was dran ist. "

    Neue Professur für Komplementärmedizin? Nicht nur die Wissenschaftler, auch viele Medizin-Studenten freuen sich.

    "Ja ich denke, dass es eine gute Idee ist, weil im Studium selber hat man nicht so viel darüber gelernt - also es war ein kleines Praktikum von paar Tagen - ja, wenn man daran interessiert ist, dann sollte es auch die Möglichkeit geben, sich damit beschäftigen zu können. /Ich sag: Was heilt, hat recht!/ Ja, es ist ein Zukunftsthema. Weil die Schulmedizin an bestimmte Grenzen stößt, auch wenn die Wissenschaft und moderne Techniken schnell voran gehen, bleibt der Patient trotzdem zurück. "

    Doch die Studenten müssen eine bittere Pille schlucken: die Professur hat keine direkten Auswirkungen auf ihre Ausbildung; es können jetzt lediglich mehr Doktorarbeiten und Habilitationen in dem Spezialgebiet geschrieben werden. Ernüchterung auch bei der wissenschaftlichen Konkurrenz. Peter Matthiessen von der Universität Witten-Herdecke beschwert sich darüber, dass die Berliner in ihrer Pressemitteilung werben, Zitat, "Charité besetzt Deutschlands erste Professur zur Erforschung der Komplementärmedizin".
    "Also wenn sie das meinen mit so einem Lehrstuhl Komplementärmedizin, dann ist es frech. Dann ist es sogar auch gar nicht zutreffend. "

    Matthiessen leitet in Witten-Herdecke seit Jahren den Lehrstuhl für Medizintheorie und Komplementärmedizin. Der Professor erinnert daran, dass es auch in Essen, Rostock und München ähnliche Einrichtungen gibt. Das hätten die Berliner bewusst verschwiegen, klagt er.

    "Naja, das ist so ein Stil, der heute da ist. Man geht bin die PR-Arbeit und ist dann ganz schnell vollmundig. Doch, das ist frech. "

    Die Berliner Charité-Forscher wiederum kontern, nirgendwo in Deutschland gebe es eine Professur einzig und allein für die Erforschung sämtlicher Alternativ-Therapien. Sozialmediziner Willich versucht dennoch, die Wogen zu glätten.

    "Unterm Strich braucht man hier keine Konkurrenzsituation zu sehen. Es ist gut, dass an verschiedenen deutschen Universitäten die Erforschung dieser Gebiete anfängt und da wird sich eher jetzt ein Netzwerk von gleichgesinnten Forschern herausbilden, weil man solche Fragen wirkungsvoller bearbeiten kann. "