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Bahnhof Lichtenberg
Terror-Übung für den Ernstfall

Sie nennen es "Schulungen zu komplexen lebensbedrohlichen Einsatzlagen": Einheiten der Bundespolizei haben gestern am Berliner Bahnhof Lichtenberg denkbare Anschlagsszenarien nachgestellt. Das Ziel: Die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Einsatzkräfte stärken und Opfer aus der Gefahrenzone bringen.

Von Daniela Siebert |
    Einheiten der KSB, der BFE+ und der GSG9 führen am 25.09.2017 auf dem Bahnhof Lichtenberg in Berlin eine Übung durch. Die Einsatzkräfte wurden mit Anschlagsszenario konfrontiert, bei dem bewaffnete Attentäter mit Schnellfeuergewehren und Explosionsmitteln Reisende, Benutzer der Bahnanlagen und Sicherheitskräfte angreifen.
    Einheiten der KSB, der BFE+ und der GSG9 führen am 25.09.2017 auf dem Bahnhof Lichtenberg in Berlin eine Übung durch. (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    Nie wieder wird Berlin so fürsorgliche Attentäter erleben, wie gestern Nachmittag am Bahnhof Lichtenberg. Alle Teilnehmer der Übung auf einem Bahnsteig trugen Ohrstöpsel. Auch die 20 Journalisten, die das Spektakel aus einem Zug auf dem Nachbargleis beobachten durften, bekamen Gehörschutz gereicht. Und das war gut so, denn es wurde richtig laut.
    Das Szenario der Übung: Auf einem Bahnsteig warten Dutzende Reisende mit leichtem Handgepäck. Daneben steht ein Zug mit geöffneten Türen, ein doppelstöckiger Regionalexpress, in dem ebenfalls Passagiere sind. Plötzlich nähern sich von einem Bahnsteigende zwei vermummte Männer, die mit automatischen Waffen um sich schießen. Innerhalb kürzester Zeit rennen die wartenden Menschen durcheinander. Manche springen ins Gleisbett und kauern sich dort schutzsuchend an die Wand. Andere ducken sich hinter Mülleimer und Sitzbänke. Die Attentäter laufen weiter über den Bahnsteig, sie schießen und werfen Nebelbomben, die die Sicht reduzieren. Erste Opfer liegen auf dem Boden. Tot oder verletzt, mit blutigen Gesichtern, Händen, Beinen. Einer Frau hängt sogar das Gedärm aus dem Bauch.
    Nachdem sie noch einzelne Menschen mit gezielten Schüssen getötet und die anderen mit laut knallenden Granaten in Angst und Schrecken versetzt haben, verschwinden die Attentäter aus dem Blickfeld. Eine gefühlte Ewigkeit später, in Wirklichkeit aber nur wenige Minuten danach, betreten die "Retter" in grünen beziehungsweise grauen Uniformen die Szene: in voller Kampfmontur mit Helm und Gewehren im Anschlag martialisch aussehende Einheiten der GSG9 und der Einheit BFE+, die auf Beweissicherung und Festnahmen spezialisiert ist.
    "Es ist so, dass wir seit letztem Jahr begonnen haben, Schulungen zu komplexen lebensbedrohlichen Einsatzlagen durchzuführen, das heißt dass wir unsere Kolleginnen und Kollegen entsprechend vorbereiten auf solche Szenarien, wo wir denen Handlungssicherheit geben wollen und eine Übung wie heute hier an einem realen Bahnhof, der normal im Wirkbetrieb ist, bietet uns die Möglichkeit, auszutesten: Wie gut sind unsere Konzeptionen?", erklärt Jens Schobranski, der Pressesprecher der Bundespolizei.
    Echte Attentatsszenarien als Vorbild
    Den ganzen Nachmittag über wurden auf dem abgesperrten Bahnsteig verschiedene aufeinanderfolgende und auch eskalierende Szenarien von Attentaten durchgespielt. Selbstmordattentate oder auch in der Öffentlichkeit deponierte Sprengsätze, wie etwa beim Boston-Marathon 2013 oder zuletzt in der Londoner U-Bahn, kamen dabei nicht vor. Die Regie der Übungen orientierte sich eher an den vielen zeitgleichen Angriffen 2008 in Mumbai.
    "Wir haben hier versucht, ein Übungsszenario herzustellen, bei dem mehrere Angreifer zunächst in dem Tunnelbereich des Bahnhofes beginnen, wahllos auf Passanten und Nutzer der Bahn zu schießen, Explosivmittel umzusetzen, wurden dann in der ersten Phase durch Streifen- und Kontrollbeamte begegnet, die halt versucht haben, die Täter zurückzudrängen oder zu neutralisieren und das ging dann weiter, dass wir gesagt haben: Wir wollen sehen, dass von der Erstintervention durch normale Streifenkontrollbeamte bis zum Eingreifen von speziell ausgebildeten Kräften, wie läuft hier auch dieses Zusammenwirken der unterschiedlichen Bundespolizeikräfte?"
    All die Zivilisten, die bei der Übung auf dem Bahnsteig angegriffen wurden, sind in Wahrheit Polizeischüler. Mit Schminke und teils blutrot gefärbter Kleidung wirkten sie teilweise wie echte Opfer, jedenfalls schauspielerten sie nach Kräften.
    "Wir brauchen Hilfe!"
    Trotz dieses Engagements wirkte die Panik, die sie nach den ersten Schüssen der Attentäter auf dem Bahnsteig inszenierten, nicht überzeugend. Doch im Ernstfall könnte gerade die unberechenbare und kopflose Panik von Menschen ein entscheidender Faktor für den Ausgang des Geschehens sein, das ist auch der Bundespolizei bewusst. Jens Schobranski:
    "Ich denke schon, dass in der Realität, das anders aussieht, dass gegebenenfalls andere Panikattacken auch durch die einzelnen Betroffenen gezeigt werden, hier ist es eine entsprechende Übungskünstlichkeit, die man sicherlich bei so einer Auswertung auch berücksichtigen muss, aber wir sind trotzdem zufrieden, dass es so durchgeführt werden konnte."
    dpatopbilder - Beamte der Katastrophenschutzschule des Bundes (KSB) sowie der Anti-Terror-Spezialeinheiten BFE+ und der GSG9 führen am 25.09.2017 auf dem Bahnhof Lichtenberg in Berlin eine Übung durch. Die Einsatzkräfte wurden mit Anschlagsszenario konfrontiert, bei dem bewaffnete Attentäter mit Schnellfeuergewehren und Explosionsmitteln Reisende, Benutzer der Bahnanlagen und Sicherheitskräfte angreifen.
    Lernen für den Ernstfall: Möglichst schnell soll die Situation unter Kontrolle gebracht werden. (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    Auf dem Bahnsteig in Lichtenberg brauchten die Einsatzkräfte nach ihrem Eintreffen rund eine halben Stunde, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Alle Opfer und Unschuldigen wurden überprüft und dann gemeinsam sitzend entlang eines Geländers platziert. Die Verletzten versorgten sie mit erster Hilfe, etwa einem Verband um den Kopf oder einer Rettungsdecke.
    Die Kollegen sollen lernen
    Leiter der Übung ist Sven Jahn von der Bundespolizei-Akademie in Lübeck. Er zeigte sich im Anschluss voll und ganz zufrieden.
    "Stressresistenz, trotzdem aber funktionieren als Schutzmann, als Schutzfrau, das war hier heute ein Übungsziel, das zu überprüfen, und das hat mit Masse gut geklappt. Insbesondere weil wir ja mehrere Durchgänge gemacht haben, also auch da methodisch-didaktisch letztendlich schon Lernerfolge bei den Kolleginnen und Kollegen erzeugen konnten und das ist ja auch eine Form der Motivation."
    Andere Bahnhofsnutzer in Lichtenberg haben von der aufwändigen Übung nur wenig mitbekommen. Zwar gab es auf den anderen Bahnsteigen Anzeigen und Durchsagen, die auf die Übung der Bundespolizei hinwiesen. Doch vielen war das trotzdem entgangen. Zumal ein Zug die Sicht auf den Bahnsteig blockierte, wo das ganze vor sich ging. Einige wenige Passanten waren zwar voll informiert, zeigten sich aber gelassen. So wie diese Dame:
    "Ja ich habs gelesen, dass heute der Bahnhof gesperrt ist, die Ferngleise, bis 18 Uhr, und alles andere das ist ja alles verhangen da unten, man darf nichts sehen. – Was halten Sie davon? – Ich find's gut. Passiert viel zu viel."
    Für Berlin gingen die gestrigen Übungsanschläge glimpflich aus. Alle Darsteller marschierten anschließend im Gleichschritt vom Bahnsteig zurück in die Polizeischule und auch die insgesamt drei Attentäter waren am Ende "neutralisiert", wie es der Polizeisprecher ausdrückte. Zu deutsch:
    "Das heißt, dass die den heutigen Tag nicht überlebt haben. – Das heißt man kann sie auch nicht mehr befragen? – Nein."