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Baltikum
"Die Nato muss hier präsent sein"

Raketen in Kaliningrad, hohe Investition in die Armee: Die baltischen Staaten seien durch die russische Aufrüstung stark verunsichert, so die Grünen-Europa-Politikerin Rebecca Harms im DLF. Die Nato müsse dort deshalb weiterhin Präsenz zeigen und auch bereit sein, sich zu verteidigen.

Rebecca Harms im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Die Fraktionsvorsitzende der Grünen / Europäische Freie Allianz im Europaparlament, Rebecca Harms.
    Rebecca Harms, Mitglied des Europäischen Parlaments. (dpa-Bildfunk / Wolfgang Kumm)
    Jürgen Zurheide: Wenn Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in Moskau über die russische Aufrüstung im Baltikum redet, dann wird das in den Ländern, in Litauen unter anderem, ganz besonders und intensiv wahrgenommen. Denn dort hat man ja inzwischen Nato-Soldaten stationiert als Reaktion auf russische Aufrüstung – so ist zumindest die westliche Sicht der Dinge –, und das alles gilt es zu diskutieren. Die Kollegin Rebecca Harms von den Grünen, für die Grünen im Europaparlament, ist im Moment in Vilnius in Litauen, und sie ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Frau Harms!
    Rebecca Harms: Guten Morgen!
    Zurheide: Frau Harms, was spüren Sie im Moment in den baltischen Staaten oder genau genommen in Litauen an Verunsicherung, wie erleben Sie im Moment die politische Situation Russland gegenüber?
    Harms: Also ich habe die baltischen Staaten, gerade auch Litauen, in den letzten Jahren immer wieder besucht, und seit der Besetzung der Krim und seit des Krieges gegen die Ukraine im Donbass gibt es hier eine sehr starke Verunsicherung und gibt es das Drängen, dass die Nato stärker präsent sein soll, damit man sich sicherer fühlt. Und mit der Stationierung, die jetzt im letzten Herbst in Warschau beschlossen worden ist und die jetzt ja stattfindet und gerade auch durch Deutschland unterstützt wird, fühlen die Leute sich hier besser.
    "Die Deutschen fühlen sich wahnsinnig gut aufgenommen"
    Zurheide: Ich hab’s gerade schon gesagt, es gibt Nato-Soldaten, die stationiert worden sind, 4.000 insgesamt, darunter auch 400 Bundeswehrsoldaten. Wie erleben Sie dort diejenigen, die dort für Sicherheit sorgen?
    Harms: Ich war gestern in Rukla und ich hab mit den deutschen Soldaten, aber auch mit den Belgiern und den Niederländern, die zu der Stationierung in Rukla gehören, gesprochen, auch mit den Litauern, die da natürlich auch immer noch ihre eigene starke Rolle spielen, und was ich angetroffen habe, war eine sehr gut gelaunte Truppe. Die Deutschen und die anderen Nato-Unterstützer, die fühlen sich wahnsinnig gut aufgenommen, fühlen sich willkommen, und ich glaube, dass das eine ganz besondere Erfahrung auch ist, weil das erste Mal eigentlich seit Ende des Kalten Krieges teilen diese verschiedenen Soldaten aus verschiedenen Ländern den Eindruck, dass ihre Präsenz, einfach ihre Präsenz wichtig ist für die Bürger in Litauen.
    Zurheide: Welche Rolle spielt da im Moment die Situation in Kaliningrad? Gabriel hat das in Moskau ja auch angesprochen, die Russen haben dort bestimmte Raketen im Moment stationiert.
    Harms: Ja, die russische Seite hat in Kaliningrad nuklear aufgerüstet, da sind Iskander-Systeme installiert worden. Gleichzeitig ist ja über die letzten Jahre die russische Armee sehr stark aufgerüstet worden, also die Streitkräfte, die russischen Streitkräfte, in die wurde sehr viel investiert und die wurden entlang der russischen Außengrenzen stationiert. Die Litauer fühlen sich richtig in die Zange genommen.
    Zurheide: Auf der anderen Seite, Sie kennen natürlich die russischen Gegenargumente, Lawrow hat sie auch bei der Pressekonferenz mit Gabriel immer wieder genannt. Er hat gesagt, na ja, man muss sich nur die Landkarte anschauen, was sich da in den letzten 20 Jahren verändert hat, sieht man ganz klar, dass auch natürlich die Nato weiter nach Osten gerückt ist. Solche Argumente finden in Litauen keinen Widerhall, das hält man komplett für falsch?
    Harms: Die Litauer sowie die anderen baltischen Staaten wollten seit ihrer Unabhängigkeit stärkeren Schutz, und die fühlen sich seit dem, was auf der Krim passiert ist und seit sie beobachten, wie sich der Krieg im Donbass einfach nicht beruhigen lassen will, in diesem Wunsch nach Anschluss oder nach Eintritt in die Nato fühlen die sich einfach bestätigt. Und ich glaube, wie auch immer man die Geschichte bewertet, es ist einfach weiterhin wahr, dass Russland das Budapester Abkommen und internationales Recht gebrochen hat.
    Ich hab zum Beispiel vor einigen Wochen den ukrainischen Präsidenten Krawtschuk wiedergetroffen, der das nukleare Abrüstungsabkommen – Budapest genannt – verhandelt hat, und der fühlte sich damals als der Held der Abrüstung, der Held der Friedensbewegung, sein Land hat als Erstes auf Nuklearsprengköpfe verzichtet. Und heute denkt er, wenn er das damals nicht verhandelt hätte, dann wäre sein Land nicht angegriffen worden.
    "Wir sollen uns nicht in eine Spirale zwängen lassen"
    Zurheide: Auf der anderen Seite stehen wir damit vor der spannenden Frage – und ich rede jetzt gerade mit einer grünen Politikerin –, das heißt, Waffen offensichtlich doch notwenig oder ist da irgendeine Logik, die man vielleicht auch irgendwann mal brechen muss?
    Harms: Also ich glaube, dass das, was jetzt passiert, dass das einfach zurzeit unvermeidbar ist. Die Nato muss hier präsent sein, in der Europäischen Union müssen wir auf Sicherheit uns auch neu konzentrieren. Wir sollen nicht hochrüsten, wir sollen uns nicht in eine Spirale zwängen lassen, wir sollen auch nicht …
    Zurheide: Entschuldigung, Frau Harms, sind wir da nicht genau drin?
    Harms: Ich glaube, wenn man sich anguckt, wie schwach die Nato-Präsenz tatsächlich in Osteuropa bisher gewesen ist, dann kann man davon noch lange nicht sprechen. Ich hab gestern mit den Soldaten sehr viel darüber geredet – es geht hier nicht um eine aggressive Strategie, sondern es geht darum, bereit zu sein, sich zu verteidigen. Und das ist wirklich etwas anderes als das, was wir in den letzten Jahren auf der russischen Seite erleben.
    Zurheide: Was heißt das für die Zwei-Prozent-Diskussion, die Herr Trump den Europäern im Moment natürlich aufzwingt, auch den deutschen Staaten, in den baltischen sind es, glaube ich, zwei Prozent, die die für Verteidigung ausgeben – wie wird das wahrgenommen, wie wird das diskutiert, was wird da von uns auch, von Deutschland erwartet?
    Harms: Also in Litauen ist sehr viel in den Verteidigungsetat gegangen. Für ein kleines Land mit einem kleinen Haushalt und großen Problemen ist das wirklich viel, aber das ist auch … Wenn man einen Blick auf die Landkarte wirklich mal riskiert, dann ist das keine Überraschung und dann ist das auch angemessen. Und ich kann Ihnen von meinen Eindrücken aus den letzten zwei Tagen nur sagen, dass es erst mal eine richtige Dankbarkeit gegenüber den Deutschen gibt, die hierhergekommen sind, und das freut die Soldaten.
    Ich hoffe, dass es zu diesem vernünftigen Austausch innerhalb der Europäischen Union und zwischen den Nato-Staaten jetzt kommt, dass wir eben nicht irrational reagieren, sondern rational darüber diskutieren, was für Verteidigung und Sicherheit notwendig ist.
    "Es geht wieder darum, Sicherheit und Frieden zu garantieren"
    Zurheide: Jetzt haben Sie nicht gesagt, was wird da von uns erwartet, dass wir deutlich mehr tun, denn Sie wissen ja, was zwei Prozent bedeuten – das sind 50 Milliarden mehr.
    Harms: Die Zwei-Prozent-Diskussion ist eine wichtige. Die Deutschen weichen dem ja aus, und es ist interessant, dass sozusagen die eigentliche Bedrohung durch die russische Armee in Osteuropa, dass die nicht dazu geführt hat, dass wir vernünftig über Investitionen in Verteidigung diskutiert haben, aber dass es Donald Trump brauchte, dass wir diese Diskussion jetzt führen. Und ich meine, ich bin da eher auf der europäischen Ebene beteiligt, und ich unterstütze sehr stark diejenigen, die sagen, dass die Europäer, ob sie es wollen oder nicht, auf ihre Gründungsideen zurückgeworfen worden sind und dass es tatsächlich wieder auch darum geht, Sicherheit und Frieden zu garantieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.