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Barleben in Sachsen-Anhalt
Bürgerwehr als Polizeiersatz

Sachsen-Anhalt plant die Einsparung von rund 1.000 Stellen im Polizeidienst. Nun organisieren sich erste Bürgerwehren im Land, die als eine Art Hilfspolizei selbst für Recht und Ordnung sorgen wollen. In Magdeburg wurden am Wochenende drei Flüchtlinge von einer Bürgerwehr tätlich angegriffen und mussten anschließend im Krankenhaus behandelt werden.

Von Christoph Richter |
    Ein Polizeischild vor einem Himmel mit dunklen Wolken.
    Sachsen-Anhalt plant die Einsparung von rund 1.000 Stellen im Polizeidienst. (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Dicker Nebel liegt in der Luft. Nur das Rauschen der A2 ist zu hören. Nachts um 11 ist in Barleben im Speckgürtel von Magdeburg nichts los, kein Mensch unterwegs. Dennoch hat sich eine sogenannte Nachbarschaftshilfe gegründet, andere nennen es Bürgerwehr.
    "Ich finde das gut. Na weil, hier so viele Einbrüche sind in Barleben."
    "Eigentlich müsste man viel mehr Schutz haben."
    Barleben galt bisher nicht als die Bronx Sachsen-Anhalts. Mit einer Arbeitslosenquote von gerade einmal zwei Prozent ist der Ort eine Ausnahmegemeinde im Land. Bis Ende Oktober gab es nach Angaben der Polizei in Barleben 252 Straftaten, letztes Jahr waren es im gleichen Zeitraum 20 Straftaten weniger.
    Weniger Stellen für die Polizei
    Jetzt ist die Angst bei den Menschen groß, das das noch schlimmer werden könnte. Denn die Auswirkungen der Polizeireform - die Zahl der Polizisten soll in Sachsen-Anhalt bis 2020 von derzeit rund 6.500 Stellen auf knapp 5.500 Stellen sinken - seien auch in Barleben zu merken, sagt ein Mann um die 60 vor einem Supermarkt.
    "Sollen sie sich doch darum kümmern. Ist ein Zeichen von der Verbundenheit mit dem Ort, ist doch natürlich, die wollen nichts auf sich kommen lassen. Sicher, das sind natürliche Reaktionen. Und wenn die Polizei woanders ist, weil sie sich um Anderes kümmern muss, um Fußballspiele oder derselben, dann müssen Sie sich halt selber helfen."
    Definitionssache Hilfspolizei
    Über den Internet-Messenger-Dienst WhatsApp halten sich etwa 70 Einwohner auf dem Laufenden. Wenn etwas Auffälliges passiert, meldet man es den zwei oder drei Mitgliedern, die gerade Streife fahren. Das sich Bürger aus dem Ort selbst organisieren, Patrouille fahren und damit gewissermaßen hoheitliche Aufgaben der Polizei übernehmen, für den Barlebener FDP-Bürgermeister Franz-Ullrich Keindorff kein Problem:
    "Nein, ich hab da keine Bauchschmerzen, weil das nicht nach Hilfspolizei im Augenblick aussieht. Ich kenne die Hilfspolizisten, die es zu DDR-Zeiten gab, die hatten eine Armbinde. Sowas habe ich in Barleben nicht festgestellt, ich kann mir auch gar nicht vorstellen, dass es sowas geben wird in Barleben. Weil es nicht notwendig ist."
    Zweifelhaftes Recht als Handlungsgrundlage
    Initiator der sogenannten Nachbarschaftshilfe in Barleben ist Marcel Rauch. Nach eigenen Angaben ein ehemaliger Fallschirmjäger und früherer Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma, für die er in der JVA Burg im Einsatz war.
    Nachzulesen auf seiner privaten Facebook-Seite, auf der Bürgerwehr-Gründer Rauch teilweise fragwürdige Bilder postet. Beispielsweise ein Foto von Boxer Max Schmeling, der zusammen mit anderen Soldaten in Wehrmachts-Uniform zu sehen ist. Kommentiert hat er das mit den Worten: "Max wusste, wer die Elite ist."
    Gerne hätten wir Marcel Rauch darauf angesprochen, doch für eine Stellungnahme war er nicht zu erreichen. Bürgermeister Keindorff sieht darin für seine Gemeinde kein Problem.
    "Erstens kenne ich die Facebook-Seite nicht, sicherlich werde ich dort mal reinschauen. Zweitens ist das nur ein Name der Initiative. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind es 70, die sich an dieser Initiative beteiligen. Insofern ist ein schwarzes Schaf nicht mit einem weißen Schaf zu vergleichen."
    Die unbewaffnete Schutzpatrouille bezieht sich auf das sogenannte Jedermannsrecht, den Paragraf 127 der Strafprozessordnung. Demnach darf jeder Bürger im Fall einer Straftat einen Täter ohne richterliche Anordnung bis zum Eintreffen der Polizei vorläufig festhalten.
    Erst am Wochenende haben 30 Mitglieder einer Magdeburger Bürgerwehr – die sich zu großen Teilen aus der rechten Hooligan- und Kampfsportszene zusammensetzt - drei Flüchtlinge tätlich angegriffen, die anschließend im Krankenhaus behandelt werden mussten. Sebastian Striegel, der innenpolitische Sprecher der Grünen im Magdeburger Landtag warnt daher vor dem Einsatz privat organisierter Hilfspolizisten und nennt es einen Irrweg.
    "Und es zeigt sehr deutlich, welche Probleme hier mitschwingen. Hier wird ein rassistischer Mob entfesselt, der auf die Straße geht, um Ausländer zu klatschen. Das kann nicht sein."
    Bürgerwehr als Mittel der Einschüchterung
    "Bürgerwehren sind ein großes Risiko", sagt auch Kriminologe Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum. Bei Bürgerwehren, wie sie sich jetzt in Barleben oder Magdeburg organisieren, gehe es nicht nur um das Sicherheitsgefühl im Ort, sondern auch um eine Art Einschüchterung, sagen Experten und Politikberater. Ähnlich sieht es der Magdeburger Polizei-Gewerkschafter Ingo Neubert.
    "Der Bürger, der da Gutes tun will, kommt schnell in die Gefahr, Grenzen zu überschreiten. Und das kann schnell mal zu einer Nötigung ausarten, und dann ist man als helfender Bürger Beschuldigter im Strafverfahren."