"Es war ja ein Minimum, was wir damals geleistet haben, aber immerhin es war ein Minimum an Opposition. Es war keine Heldentat."
"Das war für uns eine große Stunde... ein Wunder Gottes für die evangelische Kirche..."
"Ein Wunder Gottes" war das Dokument für den späteren Präses der Rheinischen Kirche Joachim Beckmann; "keine Heldentat" dagegen für den Schweizer Theologen Karl Barth. Auch heute, 80 Jahre später, gibt es noch immer Kontroversen darüber, welche Einschätzung tatsächlich zutrifft.
Die "Barmer Theologische Erklärung", als Beschluss der ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche am 31. Mai 1934 verabschiedet, schärfte Profil und Konturen gegenüber den nationalsozialistisch orientierten "Deutschen Christen". Die Verfasser der Schrift wendeten sich gegen das "Führerprinzip" in der Kirche und betonten die Ausschließlichkeit der Christus-Herrschaft und der göttlichen Offenbarung.
Begonnen hatte der Weg nach Barmen bereits 1933:
"Als das Dritte Reich seinen Anfang nahm, stand die evangelische Kirche vor einer ihr völlig neuen und unbekannten Situation",
Erinnerte sich später der Kirchenhistoriker Wilhelm Niemöller, Bruder des Mitbegründers der "Bekennenden Kirche" Martin Niemöller.
Neu war diese Situation vor allem, weil evangelische Theologen – bedingt durch ihre privilegierte Stellung im Kaiserreich – kaum gelernt hatten, politisch zu denken. Im Gegensatz zu vielen ihrer katholischen Kollegen, die als benachteiligte Minderheit lange Zeit darin geübt waren, sich zu wehren:
"Die braune Obrigkeit erklärte zwar, dass sie der Kirche allen Schutz gewähren wolle, sie wurde aber sofort sehr unangenehm, wenn man ihr nicht jubelnd zustimmte. Sie verlangte eine großzügige Volksmission, die Einführung des 'Führerprinzips' in der Kirche, die Ausmerzung alles 'undeutschen' Wesens, den 'Arier'-Paragrafen und eine mächtige Reichskirche."
Der "Arier"-Paragraf der staatlichen Gesetzgebung wird bereits ab Herbst 1933 auch auf Pfarrer und Kirchenbeamte ausgedehnt: sie werden entlassen, wenn sie jüdische Eltern oder Großeltern haben. Unter der beflissenen Oberhoheit des Hitler-Handlangers "Reichsbischof" Ludwig Müller wird die "Entjudung" des religiösen Lebens konsequent vorangetrieben.
Der reformierte Schweizer Theologe Karl Barth ist damals Professor an der Universität Bonn:
"Ich halte dafür, dass diese Lehre in der evangelischen Kirche kein Heimatrecht hat. Ich halte diejenigen, die sich dieser Lehre angeschlossen haben, entweder für Verführer oder Verführte."
Ein Zeugnis innerkirchlicher Konflikte
Um sich von Verführern und Verführten abzugrenzen, beschließt eine Gruppe von 139 Theologen und Laien aus dem gesamten Deutschen Reich in den Maitagen 1934 der Einladung von Pfarrer Karl Immer in seine Gemeinde in Barmen-Gemarke zu folgen. Man will beraten, wie man sich dem Machtanspruch des Regimes gegenüber verhalten soll. Vor dem Hintergrund von Bedrängnis und Bedrückung durch die neuen Herren, sollen Gegenwart und Zukunft der evangelischen Kirche diskutiert werden. Einen Entwurf hat Karl Barth bereits verfasst.
Die Endfassung des Dokuments ist zunächst ein Zeugnis innerkirchlicher Konflikte. Gleichzeitig ein Akt des politischen Aufbegehrens – auch wenn das, wie Barth betont, nicht beabsichtigt war:
"Das war ja damals eine streng theologische und kirchliche Angelegenheit, und es wurde großes Gewicht darauf gelegt, zu beteuern: Behüte uns Gott davor, dass das irgendwas mit Politik, vielleicht sogar mit oppositioneller Politik zu tun haben könnte. Nein, es geht uns nur um die Kirche. Faktisch aber hat diese Sache damals, ob wir wollten oder nicht, auch ihre hochpolitische Bedeutung gehabt."
"Die meisten Barmer waren entweder Mitglieder der deutschnationalen Volkspartei oder Sympathisanten dieser Partei... und nur ganz, ganz wenige gehörten zum Umkreis der alten demokratischen Weimarer Parteien. Da sind zwei oder drei Sozialdemokraten dabei gewesen, ein Liberaler wie Gustav Heinemann, aber im Ganzen gesehen ist die Szene politisch eindeutig beherrscht von den Mitgliedern und Anhängern der klassischen, antirepublikanischen Partei: der deutschnationalen Volkspartei."
Das Dokument, das schließlich verabschiedet wird, enthält sechs Thesen, die jeweils aus Bibelwort, Bekenntnis- und Verwerfungssatz bestehen. Die "Bekennende Kirche", die sich auf dieser Synode formiert, erhält so ihr geistiges Widerstandszentrum. In der Einführung der "Erklärung" heißt es:
"Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden, und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der 'Deutschen Christen' und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung zu folgenden evangelischen Wahrheiten..."
"Grundlage der Kirche ist die Schrift... Es gibt keine weiteren Offenbarungsquellen, nicht die Rasse, nicht die Nation, nicht das Blut."
Fasst der Theologe Klaus Ebert zusammen:
"Die Kirche ist die Gemeinde von Brüdern in Wort und Sakrament. Das heißt: Die Kirche soll sich nicht anpassen an weltliche Ordnung und Hierarchie; auch nicht an einen Reichsbischof von Gnaden Adolf Hitlers."
"Fürchtet Gott, ehret den König"
So groß die Bedeutung der "Erklärung", so kurz ihr Text. Er beginnt mit dem Johanneswort: "Jesus Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich."
Die Kirche steht unter dem Wort. Auf Gott zu hören und entsprechend zu handeln - das macht die geistliche Dynamik des Dokuments aus. Die entzündet sich vor allem an der berühmten These 5, dem Petruswort:
"Fürchtet Gott, ehret den König."
"Der Staat garantiert der noch nicht erlösten Welt die Ordnung. Das ist Luther. Aber: Er hat dieses Gewaltmonopol nur, um Recht und Frieden zu wahren. Und die Kirche ist kein Organ des Staates. Sie ist, was ja nach dem Zweiten Weltkrieg so formuliert worden ist: eingesetztes Wächteramt. Sie soll korrigierend eingreifen, wenn der Staat Menschenrechte verletzen sollte."
Um einige der Thesen, die im Kern alle vom Absolutheitsanspruch des Evangeliums handeln, ist immer wieder gestritten worden. Und noch mehr ist um das gestritten worden, was in dem Text nicht steht:
"Der Nationalsozialismus ist in Barmen nicht beim Namen genannt worden."
Die Juden auch nicht:
"Was uns natürlich im Nachhinein auffällt: die Frage der Judenverfolgung. Und wenn man dann sieht, dass Leute wie Bischof Meiser natürlich auch federführend tätig gewesen sind, die sich ja als Antisemiten geäußert haben, ist das kein Zufall. Diese Baustelle wollte man nicht."
Doch die "Erklärung" schweigt nicht nur zur Verfolgung der Juden; sie geht auch mit keinem Wort auf die grundsätzliche Angewiesenheit des Christentums auf das Judentum als seine Wurzel ein:
"Die Deutsche Evangelische Kirche hat mit leiser Stimme dieses Politikum auf den Plan gestellt."
Wäre die Stimme lauter gewesen, wäre die "Barmer Erklärung" vielleicht doch noch eine "Heldentat" geworden.