"Es ist null Uhr und unser Warnstreik bei Mercedes in Berlin hat begonnen."
Das Mercedes-Benz-Werk in Marienfelde im Süden von Berlin. 400 Metaller haben sich vor Tor 2 versammelt, mit Tröten, Trillerpfeifen und roten Fahnen. Aus einer Blechtonne lodern Flammen, Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Eine Mischung aus Party und Klassenkampf.
"Gute Leistung, gute Arbeit braucht auch guten Lohn und den fordern wir jetzt."
Fünf Prozent mehr Lohn für die rund 3,8 Millionen Beschäftigten fordert die IG Metall. 0,9 Prozent hatten die Arbeitgeber geboten, kurzfristig aufgebessert auf 2,1 Prozent, allerdings bei verdoppelter Laufzeit. Eine Provokation, sagt IG Metall-Bezirkschef Olivier Höbel:
"Die Arbeitgeber sollen sich warm anziehen. Wir sind bereit für die Mobilisierung. Glückauf!"
Völlig überzogen nennen die Arbeitgeber die Forderung der Gewerkschaft, die Auftragslage in der Metall- und Elektroindustrie lasse keinen Spielraum für große Gehaltssprünge, warnte Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger:
"Von den wichtigsten Absatzmärkten China und USA zum Beispiel bis hin zu den Erwartungen der Unternehmen stehen alle Anzeichen auf Krise. Es ist der denkbar falsche Zeitpunkt für Höhenflüge, und es ist der denkbar falsche Zeitpunkt für derart hohe Lohnforderungen."
Für den Gewerkschafter Höbel ist das nichts Anderes als die übliche Schwarzmalerei der Arbeitgeber vor Lohnverhandlungen. Die Auftragsbücher seien gut gefüllt, die Ertragslage solide. Kein Grund also für Bescheidenheit:
"Traumrenditen einfahren, ordentlich Dividenden an die Aktionäre ausschütten, da kann ich nur sagen, nicht mit uns."
Und deshalb erhöht die IG Metall jetzt den Druck auf die Arbeitgeber, die Streikkasse ist gut gefüllt, die Gewerkschaft ist gerüstet für einen zähen Arbeitskampf.
Fast zeitgleich mit den Metallern bläst auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zum Arbeitskampf. Am vergangenen Mittwoch traf es die Flughäfen. Die Lufthansa musste allein in Frankfurt 900 Flüge streichen, auch in München, Düsseldorf, Köln-Bonn, Dortmund und Hannover blieben viele Maschinen am Boden, weil die Beschäftigten die Arbeit niederlegten. Verdi-Chef Frank Bsirske:
"Gute Arbeit, gute Leute und die dafür zurecht auch gutes Geld erwarten können, Kolleginnen und Kollegen, das gehört zusammen."
"Unangemessen und völlig überzogen" hatte Innenminister Thomas de Maizière die Forderungen der Gewerkschaft genannt. Die Fronten schienen verhärtet. In der Nacht zum Samstag dann der überraschende Durchbruch.
"Wir haben einen für beide Seiten fairen, annehmbaren Kompromiss erreicht."
Der drohende Arbeitskampf im Öffentlichen Dienst ist damit abgewendet. Um 4,75 Prozent sollen die Löhne und Gehälter der 2,1 Millionen Beschäftigten steigen, in zwei Schritten bei einer Laufzeit von zwei Jahren. Die Gewerkschaften hatten deutlich mehr gefordert, nämlich sechs Prozent für ein Jahr, aber auch Verdi-Chef Frank Bsirske ist zufrieden:
"Wir haben uns vorgenommen gehabt, eine deutliche Reallohnverbesserung in dieser Lohnrunde durchzusetzen. Gemessen an der außerordentlich niedrigen Inflationsrate ist das mit diesem Abschluss gewährleistet. Das ist ein gutes Signal, die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes insgesamt zu stärken."
Beschäftigte profitieren vom steigenden Wachstum
Schluss mit der Bescheidenheit, Schluss mit der Lohnzurückhaltung, das ist die Botschaft der Gewerkschaften auch an diesem 1. Mai, der unter dem Motto steht: Zeit für mehr Solidarität – viel erreicht und noch viel vor:
"Seit einiger Zeit sehen wir, dass die Gewerkschaften umsteuern und für ihre Mitglieder versuchen, doch wieder mehr herauszuholen, was ihnen natürlich angesichts der Verengung auf dem Arbeitsmarkt gerade im Bereich der Fachkräfte auch zunehmend gelingt."
Sagt Stefan Sell, Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Koblenz. Deutschland gilt nicht mehr als der kranke Mann Europas, sondern als Musterschüler - mit robustem Wachstum, ausgeglichenem Haushalt und steigender Beschäftigung. Davon profitieren inzwischen auch die Beschäftigten:
"In der Tat, wir sehen, dass die realen Einkommen wieder gestiegen sind. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen sind die Lohnabschlüsse schlicht besser geworden als in den 2000er Jahren. Zum Zweiten profitieren wir natürlich stark von der niedrigen Inflationsrate, im vergangenen Jahr 0,3 Prozent, also fast Null."
Erklärt Reinhard Bispinck, der Tarifexperte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Ein Grund zum Jubeln sei das aber noch nicht, meint er. Die Zuwächse in den vergangenen Jahren reichten gerade aus, um die davor erlittenen Verluste auszugleichen:
"Wenn man sich das ganze anschaut für die Effektiveinkommen, die Pro-Kopf-Einkommen, dann sind wir erst seit dem letzten Jahr in einem leichten Plus seit dem Jahr 2000. Das heißt also, das Ergebnis ist vergleichsweise bescheiden, wenn man sich anschaut, dass etwa die Gewinn- und Vermögenseinkommen in dem gleichen Zeitraum um das Doppelte gestiegen sind und dass natürlich auch die Wirtschaft insgesamt kräftig gewachsen ist."
Vergleichsweise gut abgeschnitten haben die Beschäftigten in den exportorientierten Industrien, in der Autobranche oder der Chemieindustrie zum Beispiel, dort sind die Löhne deutlich stärker gestiegen als in den Dienstleistungsbranchen wie dem Einzelhandel oder in den sozialen Berufen. Verdi-Chef Frank Bsirske will diese Lücke schließen. Mit dem Streik der Erzieherinnen hat seine Gewerkschaft im vergangenen Jahr ein deutliches Zeichen gesetzt:
"Das sind gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen, die historisch gesehen eher unterbewertet gewesen sind und jetzt aufgewertet werden müssen. Das Thema bewusst auf die Tagesordnung zu setzen und im Zweifelsfall auch bewusst mit Arbeitskampf dem Anliegen Nachdruck zu verleihen, das ist natürlich auch eine strategische Entscheidung gewesen."
2015: das Jahr mit den meisten Streiktagen
Verdi hat mit dieser Konfrontationsstrategie die IG Metall als streikfreudigste Truppe im Deutschen Gewerkschaftsbund längst hinter sich gelassen. Hagen Lesch, Tarifexperte des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft:
"Das hängt einmal natürlich mit der Konkurrenz zusammen durch Spartengewerkschaften. Zum anderen ist es natürlich eine bewusst gewählte Strategie, weil Verdi erkannt hat, dass man Mitglieder gewinnen kann, wenn man mobilisiert, wenn man eine Tarifbewegung entfacht."
Während in der Metallindustrie der letzte große Streik schon 13 Jahre zurückliegt, hat Verdi allein im vergangenen Jahr mit den wochenlangen Ausständen in den Kindertagesstätten und der Post zwei Großkonflikte angeführt und damit entscheidend dazu beigetragen, dass 2015 als das Jahr mit den meisten Streiktagen in die Annalen eingeht.
"Aber wir müssen von der Situation im letzten Jahr wieder wegkommen. Durch Streiks werden Millionenschäden in den Unternehmen verursacht. Die halten das auf Dauer nicht aus, ich glaube, das müssen sich die Gewerkschaften deutlicher vor Augen führen, dass sie nicht den Ast absägen, auf dem sie selber sitzen."
Warnt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Der Koblenzer Ökonom Stefan Sell sieht die offensive Streikstrategie aus anderen Gründen kritisch. Die Dienstleistungsgewerkschaft überschätze gelegentlich ihre Kräfte, meint er:
"Für Verdi besteht das Problem, dass man sich verstrickt hat in eine Vielzahl gleichzeitig laufender Konflikte, denken Sie an das vergangene Jahr 2015, wo Verdi parallel mehrere durchaus schwere und teure Arbeitskämpfe geführt hat mit sehr, sehr gemischten Erfolgswerten."
Im Kita-Streik wurde Verdi Opfer der eigenen Kampfbereitschaft, als die Basis den Schlichterspruch ablehnte und für weitere Arbeitskämpfe votierte, ohne zählbaren Erfolg. Und auch bei der Post konnte die Gewerkschaft ihr zentrales Ziel nicht erreichen, nämlich die Ausgliederung von Beschäftigten in neugegründete Billigtöchter der Post zu verhindern. Verdi-Chef Frank Bsirske:
"Also, ein gemischtes Bild. Aber auch ein Bild, das deutlich macht: Verdi ist in der Lage und willens, Herausforderungen auch anzunehmen, und lässt sich nicht einfach am Nasenring der Interessen der Arbeitgeber durch die Welt ziehen."
Bei den Beschäftigten zumindest kommt die neue Offensivstrategie an. Während des Kitastreiks traten einige tausend Erzieherinnen in die Gewerkschaft ein. Das sorgte unter dem Strich für eine ausgeglichene Bilanz. Ende des vergangenen Jahres zählte die nach der IG Metall zweitgrößte deutsche Gewerkschaft insgesamt 2.038.000 Mitglieder, fast so viele wie im Vorjahr. Ein Erfolg, angesichts der vorangegangenen Talfahrt. In 15 Jahren hat Verdi 700.000 Mitglieder verloren, rund 25 Prozent.
"Die Gewerkschaften sind in einer guten Verfassung."
Versichert DGB-Chef Reiner Hoffmann. Gewachsen sind im vergangenen Jahr allerdings nur die IG Metall, die Lehrergewerkschaft GEW und die Gewerkschaft der Polizei, der Rest hat zumindest keine dramatischen Verluste erlitten, sodass sich die Mitgliederzahl der acht Einzelgewerkschaften im DGB zuletzt bei 6,1 Millionen stabilisiert hat. Angesichts der stark gestiegenen Beschäftigung in Deutschland ein schwaches Ergebnis, findet Hagen Lesch, der Tarifexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft.
"Die Beschäftigung wächst rasant und da reicht es nicht aus, wenn man einigermaßen die Mitgliederentwicklung stabilisiert. Sondern, man muss ja auch Schritt halten, es gibt ja mehr Menschen, die organisiert werden können. Das heißt, per Saldo ist der Rückhalt der Gewerkschaften immer noch schrumpfend."
Rat der Gewerkschaften wird wieder geschätzt
Doch sie finden wieder Gehör. In den Betrieben und in der Politik. Vorbei die Zeiten, da die Gewerkschaften als unverbesserliche Betonköpfe galten, die sich gegen notwendige Sozialreformen stellten - Stichwort Agenda 2010. Inzwischen wird ihr Rat wieder geschätzt – und von der Großen Koalition nicht selten befolgt.
"Dazu gehört natürlich in allererster Linie der Mindestlohn, von dem mittlerweile 3,7 Millionen Menschen in Deutschland profitieren. Und hinzukommt, dass wir immerhin eine nicht unwichtige Kurskorrektur bei den Renten haben vornehmen können, zumindest bei den Menschen, die 45 Jahre hart gearbeitet haben, dass sie mit 63 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden können. Ich glaube, das ist eine ganz ordentliche Bilanz, was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass wir zwar viel erreicht haben, aber auch noch viel vorhaben."
Den Wirtschaftsverbänden wird die politische Renaissance der Gewerkschaften allmählich unheimlich. Schluss mit den sozialen Wohltaten, Schluss mit zusätzlichen Belastungen für die Unternehmen, forderte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer schon vor anderthalb Jahren. Und sieht sich nun weiteren Gesetzesvorhaben mit gewerkschaftlicher Prägung konfrontiert. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will Leiharbeit und Werkverträge eindämmen, die Frauenquote in Aufsichtsräten soll fixiert und Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen gesetzlich bekämpft werden. Alles Vorhaben, die schon im Koalitionsvertrag vereinbart wurden, wie Arbeitgeberpräsident Kramer beklagt:
"Wir finden kein Gehör, wenn es darum geht, den Koalitionsvertrag neu zu schreiben, das ist bedauerlich. Da haben sich die Partner zusammengefunden und in Nachtsitzungen Dinge beschlossen, die uns als Unternehmen auf die Füße fallen und die Wettbewerbsfähigkeit schlicht und einfach verschlechtern."
Die Gewerkschaften sind zurück auf der politischen Bühne, selbstbewusst, mit politischem Gestaltungswillen. Bundespräsident Joachim Gauck würdigte auf dem DGB-Kongress schon vor zwei Jahren deren Verdienst für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Demokratie:
"Freie Gewerkschaften sind ein wesentlicher Teil der Demokratie, sie ermächtigen zur Teilhabe. Freie Gewerkschaften und freie Gesellschaften sind für mich untrennbar miteinander verbunden."
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ist auf Gewerkschaftskongressen ein gern gesehener Gast, anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder, der mit seiner Reformpolitik das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften grundlegend zerrüttete. Merkel dagegen sucht die Nähe zu den Gewerkschaften, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik. Auf dem Verdi-Bundeskongress im vergangenen Herbst lobte sie die Gewerkschaften - nicht ohne Hintersinn - für deren Engagement bei der Integration der Einwanderer aus Südeuropa in den fünfziger und sechziger Jahren.
"Sie waren Ihrer Zeit voraus, und seien Sie das bei den Flüchtlingen auch wieder."
DGB-Chef Reiner Hoffmann sieht die Betriebsräte und Gewerkschafter auch jetzt wieder in der Verantwortung, wenn es darum geht, Flüchtlingen zu helfen, sich in Deutschland zu Recht zu finden. Er weiß aber auch um die Vorbehalte, die es an der gewerkschaftlichen Basis gibt.
"Wenn Sie darauf hinweisen, dass wir in den Betrieben Menschen haben, die in hohem Maße verunsichert sind, Abstiegssorgen haben, dann nehmen wir die ernst. Und es ist überhaupt nicht erfreulich, dass für meinen Geschmack viel zu viele Arbeitnehmer AfD gewählt haben. Dann stimmt uns das schon mit Sorge."
Auffällig viele Gewerkschafter wählten die AfD
Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben auffällig viele Gewerkschafter die AfD gewählt, mehr als im Bevölkerungsdurchschnitt, so das Ergebnis einer Analyse des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die intern für Aufruhr sorgte. Die Gewerkschaften als Nährboden für die rechtspopulistische Alternative für Deutschland, für DGB-Chef Reiner Hoffmann eine schwer erträgliche Vorstellung:
"Ich weiß, dass unsere politischen Antworten weitaus tragfähiger sind als die zum Teil dumpfen, rechtspopulistischen Antworten, die nichts Anderes im Sinn haben, als Menschen zu verunsichern und die Fremden- und Europafeindlichkeit zu schüren, da werden wir klare Kante zeigen."
Warnstreik beim Internet-Händler Amazon in Koblenz. 30 Beschäftigte sitzen an langen Tischen und löffeln Erbsensuppe. Sie sind sauer, weil sich der Konzern weigert, die im Einzelhandel üblichen Tarife zu zahlen.
"Amazon versucht, hier in der Bundesrepublik ein ganz exklusives Geschäftsmodell durchzusetzen, das heißt nämlich, 'wir wollen gewerkschaftsfrei, tariflos und mitbestimmungsfrei sein'."
Sagt Hans Kroha, Verdi-Sekretär in Rheinland-Pfalz. Dieses Geschäftsmodell darf sich nicht durchsetzen:
"Wir brauchen Einkommens- und Beschäftigungsbedingungen, von denen Menschen leben können, sonst haben wir künftig Armut in Arbeit und später Armut in Rente - auch darum geht es in dieser Auseinandersetzung."
Die Geschäftsleitung von Amazon hält die Vorwürfe für unbegründet.
"Wir sind der Meinung, dass man auch ohne Tarifvertrag ein guter und fairer Arbeitgeber sein kann."
Erklärt Unternehmenssprecherin Anette Nachbar. Amazon zahle an allen Standorten mindestens zehn Euro pro Stunde, das sei doch ein lukratives Angebot. Aber eben deutlich weniger, als die Beschäftigten nach Einzelhandelstarif bekämen, kontert Verdi. Seit drei Jahren ruft die Gewerkschaft immer wieder zu Arbeitsniederlegungen auf, bislang allerdings ohne durchschlagenden Erfolg, meint der Ökonom Stefan Sell:
"Mittlerweile gibt es wenigstens überall Betriebsräte, insofern kann man das als Teilerfolg sehen dieses mühsamen Kampfes. Aber es ist ein Beispiel dafür, dass Verdi das Problem hat, überhaupt reinzukommen in diese neuen, mächtigen Unternehmen, die einer völlig anderen Unternehmenskultur verpflichtet sind."
Nur jeder Zweite wird nach Branchentarifverträgen bezahlt
Das Tarifsystem gerät ins Wanken, weil sich immer mehr Unternehmen der Bindung einheitlicher Flächentarifverträge entziehen, nicht nur im Handel. Nur jeder zweite Beschäftigte wird inzwischen noch nach einheitlichen Branchentarifverträgen bezahlt, vor 15 Jahren waren es noch fast 70 Prozent. Das heißt: Die Verträge, die Arbeitgeber und Gewerkschaften aushandeln, verlieren an Strahlkraft.
"Uns ist ganz wichtig, und zwar als langfristiges Ziel, das Thema Tarifbindung langfristig wieder in eine andere Richtung zu entwickeln."
Sagt IG-Metallchef Jörg Hofmann, das heißt konkret: Die Gewerkschaft will den Arbeitskampf in der laufenden Tarifrunde auch auf Betriebe ausdehnen, die aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sind.
"In welcher Intensität, in welcher Form entscheidet sich vor Ort. Hängt auch davon ab, wie stark ist die IG Metall im Betrieb. Deswegen möchte ich da gar nicht spekulieren, sondern nur das Signal aussenden: Kein Betrieb ist sicher, der sich aus der Tarifbindung flüchtet."
Aber auch tarifgebundene Unternehmen haben längst Wege gefunden, die starren Flächentarife zu umgehen, zum Beispiel durch den Einsatz von Leiharbeitern und Werkverträgen.
Das BMW-Werk in Leipzig, eine der modernsten Autofabriken in Europa. Knapp 9.000 Menschen arbeiten hier, schätzt Betriebsratschef Jens Köhler, aber nur jeder zweite ist direkt bei BMW angestellt. Zu den 4.700 Stammkräften kommen 1.800 Leiharbeiter und 2.500 bis 3.000 Werkvertragskräfte.
"Da ist eine Spanne von 20 bis 25 Prozent aufs Jahreseinkommen betrachtet, die da uns unterscheidet. Die wir BMW-ler mit unseren guten Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie bekommen. Ich glaube, dass ein gewisser Abstand immer bleiben wird, die werden nie das Niveau des Flächentarifvertrags herankommender, aber der muss deutlich weniger werden, also kürzer werden."
Leiharbeit und Werkverträge seien nötig, um flexibel auf die Anforderungen des Marktes reagieren zu können, entgegnet Personalchef Dirk Wottgen.
"Ich denke, dass in einer arbeitsteiligen Welt es ganz selbstverständlich ist, dass sich die Firmen auf ihre Kerngeschäfte konzentrieren und andere Dinge, von denen sie nicht ganz so viel verstehen, auf Partnerfirmen überträgt. Ich denke, dass das ein Konzept ist, was notwendig ist, um im weltweiten Wettbewerb erfolgreich agieren zu können, gerade wenn wir am Standort darüber reden, dass wir in Deutschland weiter erfolgreich Autos bauen wollen."
Die Gewerkschaften sehen das anders. Leiharbeit und Werkverträge seien in Ordnung, um Auftragsspitzen auszugleichen, nicht um Stammbeschäftigte zu ersetzen, sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann:
"Wenn wir Unternehmen haben, wo der Anteil der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer bis zu 25 und 30 Prozent und mehr beträgt, das ist schlicht und ergreifend Lohndumping."