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Beethovenfest Bonn
Beethoven von Wagner frisch entstaubt

Nike Wagner scheint ihr erstes Beethovenfest als Intendantin nach dem Motto "Kill your darlings" bestreiten zu wollen. Neben der Egmont-Ouvertüre und der Eroica würde sie am liebsten noch mehr Sinfonie-Schlager aus dem Programm werfen – doch dann kämen keine Reisebusse mehr nach Bonn. Trotzdem schafft es die Wagner-Erbin, eine eigene Duftmarke zu setzen und einen frisch entstaubten Beethoven zu präsentieren.

Von Henning Hübert |
    Deutsche Publizistin und Dramaturgin Nike Wagner
    Nike Wagner, Intendantin des Beethovenfestes Bonn (Deutschlandradio / Oranus Mahmoodi)
    Das Festival-Schema ist geblieben und wie eh und je kam fast ein Dutzend großer Orchester in die Geburtsstadt des Komponisten - vom bestenfalls routiniert aufspielenden Israel Philharmonic unter Zubin Mehta über Iván Fischers Budapest Festival Orchestra bis zu Daniel Barenboims begeisternder Berliner Staatskapelle. Die eröffnete ganz klassisch mit Beethovens Ouvertüre zum Egmont-Trauerspiel. Abgründige, ja: titanenhafte Musik in der dringend sanierungsbedürftigen Beethovenhalle.
    Trotz des mitreißenden Egmont-Auftakts und der Eroica als Schlusspunkt: Nike Wagner hat diesmal tatsächlich weitere Publikumslieblinge wie Beethovens 2., 4., 5. und sogar die 9. Sinfonie mit Schillers Ode an die Freude aus dem Festspielprogramm verbannt.
    "Jedes Jahr wieder alle Neune abspielen, das hat ja keinen Sinn."
    Besonders das Pathos der Neunten findet sie nur noch schwer erträglich. Die Crux dabei: Die Sinfonien ziehen aber bei den Kulturreise-Veranstaltern. Die Reisebusse fahren vor, Ticketpreise von bis zu 120 Euro werden bezahlt, die Sponsoren bleiben bei der Stange. Deshalb bot das Bonner Beethovenfest 2015 eben nicht nur Veränderungen, wie es das Motto Nike Wagners versprach.
    "Bonn ist eine relativ kleine Stadt, die es zur Festspielzeit durchaus verdient, dass mal die großen Internationalen Klangkörper vorbeikommen mit ihren jeweiligen Chefdirigenten. Daneben gibt es aber die Neuerungen, die Veränderungen. Die Dinge, die im Geist Beethovens geschehen sollen. Es kann ja auch ein Festival für Beethoven sein. Man kann sich doch vorstellen, dass er hereinschaut und guckt, was die heutzutage denn da so treiben."
    In vielen der mehr als 50 Veranstaltungen gab es neue und auch leisere Töne zu hören. Es ist die Kammermusik, die einen spürbar stärkeren Akzent bekommt.
    Beethoven frisch entstaubt
    Wofür auch Nike Wagner wie schon ihre Vorgängerin Ilona Schmiel, die zur Tonhalle Zürich abwanderte, für ihre Programmatik ein schier unerschöpfliches Repertoire nutzt: das Heer der Komponisten der Romantik, die sich an Beethovens Erbe abgearbeitet haben. So gab es besonders viel Brahms, Schubert und Chopin zu hören. Im kleinen Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses in der Bonngasse – dort, wo Ludwig van Beethoven im Jahr 1770 geboren wurde – konnte man seiner Zeit am nächsten kommen. Unter anderem bei einer ganzen Veranstaltungsreihe rund um die Diabelli-Variationen, dem fast einstündigen Klavier-Spätwerk oder bei Ronald Brautigams Deutung der Eroica-Variationen.
    Nike Wagner hat versprochen, dass sich das Klassikfestival auch weiterhin nicht allzu weit vom Lokalhelden entfernen und sie auch nur Variationen aller vorangegangenen Beethovenfeste seit Franz Liszt, ihrem Ururgroßvater, liefern werde. Die Ära Elly Ney während der Nazizeit nimmt Nike Wagner ausdrücklich aus, jener Aktivistin, für die Beethoven die Überlegenheit der deutschen Rasse bezeugen sollte. Die neue Intendantin hat es nach ihrem Wechsel vom Kunstfest Weimar nach Bonn an etlichen Stellen geschafft, ihre Duftmarke zu setzen und einen frisch entstaubten Beethoven zu präsentieren. Etwa durch das Experiment, seine Große Fuge zu vertanzen. Nike Wagner scheut auch keinesfalls die Moderne. Das Auftragswerk, die Uraufführung "Wenn wir erwachen" von Salvatore Sciarrino bewegte sich radikal bis in den Bereich des Unhörbaren hinein. Zu den Fundstücken dieses Bonner Beethovenfestes gehörte auch Steffen Schleiermachers "Bann"-Stück für Orchester aus dem Jahr 2010 – eine freche Auseinandersetzung mit Beethovens 1. Sinfonie.
    Solcherlei Abwandlungen machen Spaß, erfreuen das Ohr. Das Bonner Publikum nimmt die niveauvollen "Veränderungen" gerne an – die Auslastung wird mit sehr guten 85 Prozent im langjährigen Schnitt liegen. Das soll so weiter gehen, mindestens bis ins Jubiläumsjahr 2020. Bonns Kulturdezernent möchte auch zum 250. Geburtstag des Komponisten das Beethovenfest mit Nike Wagner als Intendantin ausrichten.