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Bei Schweinswalen und Gurkenfischen

Rund 45 Touristen stehen am Strandeingang von Dagebüll in Nordfriesland – ihr Blick schweift auf den Hafen, das offene Meer und die einfahrenden Fähren. Gemeinsam wollen sie das Watt erkunden: Familien aus der Region, Reisende aus anderen Teilen Deutschlands und drei Hunde, die heute ebenfalls dabei sind. Sie alle sammeln sich um den promovierten Biologen und Wattführer Walter Petersen-Andresen – er wird die Gruppe ins Watt führen.

Von Thomas Gith |
    „Ja, ich darf sie ganz herzlich zur Wattwanderung mit Krabbenfischen begrüßen. Moin, moin alle zusammen. Wir werden also von hier aus nicht direkt rausgehen, sondern wir gehen ein Stückchen am Deich entlang und dann, hinter der Kurve, dort sind schöne feste Wattflächen, Sandwattflächen, wo man sehr gut laufen kann. Was vielleicht noch interessant ist: Am besten ist, barfuß zu laufen. Barfuß ist das Gesündeste, Angenehmste und Schönste. Man kann zur Not auch mit Stiefeln laufen, aber wenn etwas weicherer Schlickboden ist, dann bleiben die Stiefel stecken und dann laufen sie sowieso barfuß weiter. Also, in sofern ist es besser, gleich barfuß zu gehen.“

    Nachdem Walther Petersen-Andresen die Gruppe begrüßt hat, geht es los – den Deich entlang, weg vom Hafen. Nach einigen hundert Metern hält die Gruppe noch einmal an: Erwachsene und Kinder ziehen ihre Schuhe aus – dann geht es über eine Treppe das letzt Stück Deich hinunter ins Watt.

    Kleiner Junge: „Oohh, hoha, das ist ja schön. Matsche, Patsche.“
    Geschwister: „Oohh, das ist schön.“
    Mutter: „Ja nee, schön glitschig – aber komm, nicht so ein Schweinkram machen!“

    Begeistert ist die Mutter nicht, dass sich ihre drei Kinder mit dem matschigen Boden bewerfen – denen aber bereitet es einen Riesenspaß, mit den Händen in das dunkle Watt zu greifen und sich mit dem weichen und nassen Boden zu bewerfen.

    Doch nach einer Weile wirken die Worte der Mutter und die Familie schließt zur Gruppe auf, die schon ein gutes Stück ins Watt gelaufen ist. Zügig geht es vom Festland weg, um noch bei Ebbe möglichst weit hinauszukommen.

    Auf dem Weg nach draußen erzählt Walther Petersen-Andresen von den Besonderheiten des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Er zeigt zum Horizont, in Marschrichtung nach Westen – dort draußen ist ein Walschutzgebiet ausgewiesen. Große Tiere wie Potwale kommen hier zwar nur selten her, die kleineren Schweinswale allerdings ziehen westlich von Sylt ihre Jungen auf. Dort gibt es ruhige und fischreiche Wasserfläche, sagt Walter Petersen-Andresen – ideale Bedingungen für die Schweinswale also.

    „Wenn sie auf Sylt mal baden gehen, kann es passieren, dass neben ihnen mal eine schwarze Rückenflosse auftaucht. Die meisten, die das erleben, geraten ein bisschen in Panik, viele schreien auch, ‚Hilfe, ein Hai“ und dann rennt dort alles auf den Strand, aber diese Schweinswale sind vollkommen ungefährlich. Aber drei, vier Schweinswale haben sich an den Menschen gewöhnt, schwimmen zwischen den Badenden durch, und das sind immer die gleichen Tiere. Und manchmal hat man den Eindruck, sie machen sich einen Spaß daraus, den Menschen zu erschrecken.“

    Nach einer knappen halben Stunde und rund zwei Kilometer Marsch sind alle am Priel. Hier beginnt das Krabbenfischen: Walther Petersen-Andresen nimmt sein großes, rechteckiges Netz und zieht es kräftig über den mit Wasser bedeckten Boden. Mehrere Dutzend Krabben – eigentlich heißen sie Garnelen – fallen in den Eimer, als er das Netz leert. Der 10-jährige Owe aus Sachsen ist begeistert.

    Wattführer: „Siehst du, wie die aussehen? Was kann man daran sehen an den Garnelen?“
    Owe: „Die sind so glasig durchsichtig. Die Augen kann man sehr schön sehen. Und die haben sehr, sehr lange Fühler. Und so ein Flossenschwanz hinten.“
    Teilnehmer: „Guck‘ mal, die bewegt sich richtig.“
    Owe: „Die zuckt.“
    Wattführer: „Das ist das Fluchtverhalten. Dann schlägt sie ganz kräftig mit ihrem Flossenschwanz und macht dann einen großen Sprung.“

    Zum Springen kommt die Garnele allerdings nicht: Wattführer Petersen-Andresen wirft sie zu den anderen Garnelen in den Eimer. Sein Abendessen, sagt er.

    Inzwischen sind fast alle Teilnehmer der Wattwanderung mit dem Inhalt des Fangnetzes beschäftigt. Vor dem vom Abendlicht gefluteten Horizont zeichnet sich die Silhouette der Gruppe ab: Bildet ein überwältigendes Panorama zusammen mit den entfernten Umrissen der Halligen, den Fähren, die in der Fahrrinne unterwegs sind und dem nur einige hundert Meter entfernten Dagebüller Hafen.

    Doch von der abendlichen Stimmung bekommen die Wattwanderer im Moment kaum etwas mit: Sie sind ganz mit dem Inhalt des Fangnetzes beschäftigt. Neben Krebsen und Muscheln ist auch ein dünner Fisch dabei: Gerade mal so lang ist wie der kleine Finger.

    Petersen-Andresen: „Das ist ein kleiner Stichling. Wer möchte den ins Wasser bringen?“
    Junge: „Kann ich den Stichling mal sehen?“ (Gerede und Lachen im Hintergrund)
    Mann: „Das ist ein Stichling?“
    Petersen-Andresen: „Ein kleiner Stichling, ja. Stichling. Also Stichlinge sind ja sowohl im Salzwasser als auch im Süßwasser vorhanden. Und man findet also hier im Wasser, in der Nordsee immer wieder auch kleine Stichlinge dazwischen.“
    Junge: „Süüüß“
    Petersen-Andresen: „Ja, hier vorne ist der Mund, kannst du das sehen?“

    Kinder und Erwachsene sind über das Netz gebeugt. Einer der Krebse versucht gerade zu fliehen. Seitwärts krabbelt er aus dem Netz. Was dabei auffällt: Eine seiner Scheren ist dick, die andere dünn – denn jede Schere hat ihre eigene Funktion, sagt Walther Petersen-Andresen.

    „Ist tatsächlich so, dass die Krebs Rechts- und Linkshänder sind. Die haben immer eine kräftige Schere, dass ist die Knackschere, damit wird die Nahrung zerkleinert und eine dünne Schere, das ist die Halteschere – die ist nämlich lang und dünn und damit wird die Nahrung zum Mund transportiert. Die Krebse essen genauso wie wir mit Messer und Gabel, das heißt also, mit der dicken Schere wird die Nahrung zerkleinert und mit der Halteschere wird die Nahrung dann entsprechend zum Mund transportiert.“

    Gebannt guckt die Gruppe auf den flüchtenden Krebs und lässt ihn schließlich ziehen – bis auf die Garnelen kommen auch die anderen Tiere ins Wasser zurück. Noch einmal zieht der Wattführer sein Netz über den Boden: Neben den bekannten Garnelen ist diesmal auch ein langer und dünner Fisch dabei, der vielleicht 10 Zentimeter misst. Ein kleiner Junge beugt sich über das Netz und will den Fisch greifen.

    Petersen-Andresen: „Ja, was ist das?“
    Junge: „Was ist das?“
    Petersen-Andresen: „Ja, jetzt brauchen wir einen Eimer mit Wasser. Wo war der Eimer mit Wasser?“
    Junge: „Da drüben, da drüben!“
    Petersen-Andresen: „Tust du den mal ganz schnell hier rein. (Junge legt Fisch in Eimer) und dann darfst du mal deine Hände anriechen. Wie riechen die?“
    Junge: „(überlegt) hmmm...“
    Petersen-Andresen: „Riechen die nicht wie frische Gurken?“
    Junge: „Doch. Wie frische Gurken (lacht).“
    Petersen-Andresen: „(lacht) Weißt du welcher Fisch das ist?“
    Junge: „Der Gurkenfisch!“
    Petersen-Andresen: „Gurkenfisch, ganz genau, oder Stint heißt der.“

    Der Stint gehört zu den lachsartigen Fischen. Da der hier aber noch nicht ausgewachsen ist, wird er samt Wasser in den Priel zurückgeschüttet. Gemeinsam geht die Gruppe ein Stück weiter, zurück Richtung Land. Plötzlich findet ein Teilnehmer einen schwarzen Klumpen im Watt – es ist Torf: Torf, der sich eigentlich nur an Land bildet. Dass er auch hier im Wattenmeer zu finden ist, hat eine einfache Erklärung, sagt Walther Petersen-Andresen.

    „Das heutige Wattenmeer war früher ein tief liegendes, sumpfiges Landgebiet. Dieses Land ist untergegangen bei schweren Sturmfluten, zum Teil vor 700, 800 Jahren, zum Teil aber auch erst vor 400, 500 Jahren untergegangen. Und wenn man hier gräbt, an vielen Stellen sind dann Torfschichten, nach ein bis zwei Metern findet man Torfschichten.“

    Mit seiner Forke sticht Walther Petersen-Andresen in den schwarzen Klumpen. Er bröselt ihn auseinander und zeigt auf Pflanzenreste, die sich in der Masse befinden: Blätter vom Rohrkolben lassen sich erkennen, Moosreste ebenfalls. Mit den Fingern greift der Wattführer in den Torf und holt noch etwas anderes hervor: Eine Daumenkuppen große Bohrmuschel. Mit ihren feinen Zähnen hat sie sich eingefressen – so ist sie geschützt vor Feinden. Und während sich die Gruppenmitglieder noch mit dem Torf beschäftigen, umspült bereits ein wenig Salzwasser ihre Füße.

    „Das Wasser kommt wieder, ich glaube das merken alle. Es steigt an. Wir haben jetzt also 20 Minuten nach Niedrigwasser und das Wasser ich bereits schon wieder etwas angestiegen. Und vielleicht sollte ich auch noch mal ganz kurz drauf hinweisen: An dieser Stelle, wo wir jetzt stehen, steht bei normalen Hochwasser drei Meter Wasser. Das heißt, in sechs Stunden steht hier etwa drei Meter Wasser über uns.“

    Für Wanderer, die ohne professionelle Begleitung ins Watt gehen, kann das lebensgefährlich werden, sagt Walther Petersen-Andresen. Denn: Manchmal bildet sich ganz plötzlich Nebel, der dem nicht Wattkundigen jede Orientierung raubt. Doch auch mit professioneller Führung ist es jetzt an der Zeit, zurück zum Festland zu gehen. Wieder auf dem Deich, wartet noch eine wichtige Aufgabe auf die Wattwanderer: Der Schlamm muss von Füßen und Händen runter.

    Mädchen: „Aber nicht die Hose, ja?“
    Junge: „Meine Hände, meine Hände!“
    Mädchen: „Ja, meine auch!“