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Belastbarkeit der Erde
"Wir sind dabei, an mehreren Fronten Grenzen zu überschreiten"

Die Belastbarkeit des Planeten Erde gerät zunehmend an ihre Grenzen. Es sei deshalb wichtig, den jetzigen Erdsystemzustand nicht weiter zu verändern, sagte der Klimaforscher Wolfgang Lucht im DLF. Lebens- und Wirtschaftsweisen müssten deshalb zukunftsfähig gemacht werden.

Wolfgang Lucht im Gespräch mit Georg Ehring |
    Die Erde im Weltall, aufgenommen am 26.7.1971
    Nicht nur der Klimawandel gefährdet die Erde, sagt Klimaforscher Wolfgang Lucht von der Uni Potsdam. (picture alliance / dpa / NASA)
    Georg Ehring: Von Grenzen ist in diesen Tagen häufig die Rede, doch eine besonders relevante Grenze wird dabei meist übersehen: Es geht um die Belastbarkeit des Planeten Erde. Wir verbrauchen mehr Rohstoffe als langfristig zur Verfügung steht, wir betreiben Landwirtschaft, die Boden auslaugt, und wir missbrauchen die Meere und die Atmosphäre als Müllkippe. Um diese Grenzen geht es heute und morgen bei einer Konferenz, die das Bundesumweltministerium zusammen mit dem Umweltbundesamt und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in Berlin veranstaltet. Einer der Referenten ist Professor Wolfgang Lucht, Experte für Erdsystemanalyse beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, um welche Grenzen es dabei im Einzelnen geht.
    "Erde als ein zusammenhängendes System begreifen"
    Wolfgang Lucht: Es geht darum, dass wir die Erde als ein zusammenhängendes System begreifen und zum Beispiel, dass man sich klarmacht, dass es nicht nur beim Klimawandel um Gefahren für die Zukunft geht, für unsere Gesellschaften, sondern dass jenseits des Klimawandels natürlich auch andere Dimensionen – die Ozeane, die Landoberfläche – wichtige Themen sind und dass die alle miteinander zusammenhängen. Wir erweitern also die Diskussion über den Klimawandel hinaus auf die Erde insgesamt, und das Thema handelt davon, welche Grenzen zu beachten sind, bevor die Gefahren für unsere gesellschaftliche Entwicklung so groß werden, dass es kontraproduktiv wird und eine Gefahr dafür darstellt, dass wir nachhaltige Entwicklung verwirklichen können.
    Ehring: Beim Klimawandel hat sich ja die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, dass die Erwärmung deutlich unter zwei Grad bleiben muss. Gibt es andere Maßstäbe bei anderen Grenzen, die ebenfalls zu beachten sind?
    Lucht: Ja, im Jahre 2009 hat der schwedische Wissenschaftler Johan Rockström das Konzept der planetaren Grenzen vorgestellt, zusammen mit einer großen Anzahl von weiteren Autorinnen und Autoren, zu denen auch wir gehören, und neben dem Klimawandel gibt es acht andere Grenzen, die für das Erdsystem relevant sind. Da ist zum Beispiel zu nennen etwas, das nennt sich Biosphären-Integrität: Da geht es darum, ob die strukturelle Beschaffenheit der Biosphäre bewahrt werden kann, sodass die Ökosysteme funktionieren, aber auch Artensterben ist mit drin. Dann geht es um die sogenannten biogeochemischen Flüsse, vor allem Stickstoff und Phosphor, aber es geht auch um Themen wie Ozeanversauerung, Aerosol in der Atmosphäre oder die Ozonproblematik. Das sind alles verschiedene Dimensionen, die gemeinsam den Gesamtzustand der Erde beschreiben, und die Erde sollte etwa in dem Zustand sein, den wir seit der letzten Eiszeit hier hatten, den Zustand der Jetztzeit des Holozän, denn das ist der einzige Klima- und Erdsystemzustand, den alle Zivilisationen der Menschheit bisher jemals erlebt haben, und im Moment sind wir dabei, an mehreren Fronten, diese Grenzen zu überschreiten, und das sollte uns Sorge bereiten, und darum geht es auf dieser Konferenz.
    Belastbarkeit der Systeme ist begrenzt
    Ehring: Welche Folgen befürchten Sie denn konkret, wenn wir diese Grenzen überschreiten?
    Lucht: Also das hat verschiedene Folgen. Also beim Klimawandel ist das ja gut bekannt, dass er große Auswirkungen hat. Bei anderen Themen wissen wir es nicht genau. Also zum Beispiel, wie stark kann man die Biodiversität der Biosphäre reduzieren, bevor tatsächlich große Systeme zusammenbrechen. Darüber wissen wir nicht sehr viel, mal unabhängig davon, ob die Frage ist, ob wir wirklich in einer Welt ohne Elefanten und Nashörner leben wollen. Gerade wenn man über manche Themen nicht genug weiß, sollte man einen Sicherheitsabstand halten. Eins ist klar: Die Belastbarkeit der Systeme, die auf Selbsterneuerung setzen und deren Fähigkeit, Störungen zu absorbieren, begrenzt ist, ist begrenzt, und wir sollten nicht denken, dass die Gesellschaften, die von diesem System abhängen, irgendwie robuster sind gegenüber diesem Wandel. Deswegen ist sicherlich ein guter Rat, den jetzigen Erdsystemzustand nicht allzu sehr zu verändern. Veränderung ist unvermeidlich. Wir haben die Erde schon stark verändert, aber wir sollten uns klarmachen, dass das nicht beliebig so weitergehen kann. Darum geht es: Wie kann man das in praktische Politik umsetzen, damit Entwicklung eine Chance hat.
    Ehring: Es gibt da ja immer zwei Konzepte: das eine ist Verzicht, das andere ist Technik, also die Erwartung, dass die Technik die Probleme schon löst oder dass sich Technik entwickeln lässt, die die Probleme löst. Welche Lösung finden Sie denn richtig?
    Lucht: Ja, wir brauchen alles. Also wir brauchen … Natürlich, ohne Technologie werden wir es gar nicht mehr schaffen, aber alleine wird das nicht ausreichen. Das wissen wir auch schon sehr lange. Es geht schon darum, dass wir die Lebens- und Wirtschaftsweisen, die wir heute haben, zukunftsfähig machen und in einer nachhaltigen Weise weiterentwickeln. Also zum Beispiel die Ökonomie, die bisher immer von der Verfügbarkeit von Stoffen ausgeht, muss stärker eine vertretbare Ernterate dieser Stoffe in Bezug nehmen, oder bei den Abfallstoffen, wie beim CO2, aber auch bei Giftstoffen in der Umwelt, die Aufnahmefähigkeit der Umwelt mit berücksichtigen, und die begrenzen das Volumen an Ressourcen, die wir ernten können und nicht die reine Verfügbarkeit einer Ressource, wenn man sich dann über die Folgen des Erntens oder der Abfallströme, die entstehen, keine Gedanken macht. Deswegen braucht es eine Ökonomie, die diese Grenzen beachtet, und innerhalb dieser Grenzen ist dann eine nachhaltige Entwicklung möglich.
    "Wandel wird häufig erstmal mit Unruhe wahrgenommen"
    Ehring: Wissenschaftlern, die auf solche Grenzen hinweisen, schlägt ja neuerdings zum Teil offene Feindschaft entgegen. Haben Sie da eine Erklärung für, wie kommt das?
    Lucht: Wandel wird häufig erstmal mit Unruhe wahrgenommen, weil sich Dinge verändern, weil man spürt, dass die Fundamente, auf denen unser Wohlstand und unser Wohlergehen beruhen, brüchig werden und die Zukunft etwas unklar ist. Deswegen ist es so wichtig, dass man, wenn man solche Dinge diskutiert, das nicht nur als eine Beschränkung diskutiert, die natürlich notwendig ist, aber gleichzeitig auch als eine Chance für Entwicklung darstellt. Es geht eben nicht nur um das Konzept der planetaren Grenzen, sondern das ist eine Triade: planetare Grenzen, aber dann auch gesellschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb dieser Grenzen, weil die Beachtung dieser Grenzen ja gerade die Voraussetzung dafür ist, dass wir Wohlstand und Entwicklung haben können und die negativen Folgen der Überschreitung der Grenzen vermeiden. Das Dritte wäre, dass wir neue Verbindungen mit der Welt des Lebendigen, mit der Biosphäre, mit der Erde herstellen müssen. Es geht also nicht nur um eine rationale Analyse, sondern es geht auch um Werte, es geht um eine kulturelle Einstellung, es geht um Fragen der Zivilisation, und dazu gehört natürlich nachher auch eine wissenschaftliche Analyse, wenn man in dem Sinne eine Vision vor Augen hat, wie wir gut leben können in der Zukunft, in einer Welt, die immer noch sehr viele Probleme hat, aber was nicht dazu gehören sollte, sind große Umweltverschiebungen. Das ist dann eine positive Vision, für die sich kämpfen und eintreten lässt, statt dass man es nur als eine Politik der Begrenzung begreift.
    "Es müssen Weichen gestellt werden"
    Ehring: Lässt sich das denn auf die Dauer einhalten? Was ist Ihre Prognose?
    Lucht: Also wir wissen, was zu tun ist. Ob das gelingt, ist eine offene Frage, aber ich halte es nicht für ratsam, Schlachten aufzugeben, bevor sie geschlagen sind. Also noch besteht eine Chance, das alles zu tun. Wir wissen eigentlich, wie es gehen könnte. Wir haben die notwendigen Technologien. Es müssen Weichen gestellt werden. Ob das gelingt, das ist jetzt die Aufgabe der Weltgemeinschaft. Das sieht man ja schon beim Klima: Wir wissen genau, was zu tun ist, und es wäre auch umsetzbar, kann natürlich trotzdem noch scheitern. Also wir dürfen uns jetzt nicht in der Gewissheit wiegen, dass das schon irgendwie dann nachher hinkommen wird, sondern es muss auch tatsächlich geschehen, dann nachher zum Vorteil von allen.
    Ehring: Soweit Professor Wolfgang Lucht über die Grenzen der Belastbarkeit des Planeten Erde. Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.