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Berliner LaGeSo
Helfer beklagen Misstände bei der Versorgung von Flüchtlingen

Die Situation bei der Registrierung von Flüchtlingen im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin ist nach Einschätzung von Helfern weiter kritisch. Es gebe Menschen in der Bundeshauptstadt, die hungern müssten, weil sie kein Geld für Lebensmittel hätten, sagte die Mitarbeiterin der Organisation "Moabit hilft", Diana Henniges, im DLF.

Diana Henniges im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Diana Henniges, Gründerin und Sprecherin von "Moabit Hilft!".
    Diana Henniges, Gründerin und Sprecherin von "Moabit Hilft!". (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Familien und Kranke stünden ohne Versorgungsleistungen da. Es würden Termine für die Registrierung von Flüchtlingen vergeben, bei denen man von vornherein wisse, dass sie nicht haltbar seien. Angesichts der zu erwartenden Wintertemperaturen müsse man sich Sorgen um die Flüchlinge machen. Schuld an der Lage sind laut Henniges nicht die Mitarbeiter des Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), sondern die Misswirtschaft der vergangenen Monate.
    Inzwischen habe man aber auch Aufgaben wieder an die öffentlichen Stellen abgeben können - etwa die Versorgung mit Essen und den Witterungsschutz. Man werde aber nicht aufgeben, bis es vernünftige Bedingungen für die ankommenden Flüchtlinge gebe. Die Helfer seien darauf eingestellt, noch Monate oder Jahre weiterzumachen.
    Dennoch ist die Ehrenamtlerin optimistisch. Man befinde sich schließlich in der Hauptstadt eines der reichsten Länder. "Wir sind vor Ort, wir schaffen das wirklich", sagte Henniges mit Blick auf die Worte der Bundeskanzlerin, allerdings: "Frau Merkel habe ich vor Ort noch nicht getroffen."

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Es läuft nicht gut am Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin, vor allem, weil die meisten nicht laufen, sondern stehen müssen, warten müssen in langen Schlangen, sich um Termine rangeln müssen. Flüchtlinge harren in langen Schlangen aus vor der Tür, bekommen Termine, die dann nicht wahrgenommen werden, müssen wiederkommen, wiederkommen und noch mal wiederkommen. Vor der Tür dieses Landesamtes versuchen seit Wochen und Monaten Ehrenamtliche, zu helfen, sie versuchen mit Essen zu helfen, mit Decken, Kleidung, Kinderbetreuung, Tränentrocknen – all das ist dabei, und Formulare werden auch noch übersetzt.
    Eine Organisation, die hilft, heißt "Moabit hilft", weil das Landesamt in Moabit, im Berliner Stadtteil Moabit liegt. Und meistens vorne mit dabei ist auch Diana Henniges, und die ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Frau Henniges!
    Diana Henniges: Schönen guten Morgen!
    Grieß: Geben Sie uns einen Eindruck: Wie ist das jetzt zwischen den Feiertagen, zwischen den Jahren, wie man so sagt? Wie viele Menschen helfen immer noch?
    Henniges: Also nach wie vor ist das Haus D, wo wir quasi die Kleiderausgabe und die humanitäre Versorgung auf sehr niederschwelligem Niveau machen, relativ gut. Gerade muslimische Helfer, ehemalige Geflüchtete, aber auch Leute christlichen Glaubens, die durchaus das Weihnachtsfest feiern und sich auf Silvester vorbereiten, kommen ins Haus D und helfen mehrere Stunden, wenn nicht gar Tage, um vor Ort die Arbeit zu gewährleisten.
    Grieß: Ist es irgendwie schwieriger geworden, Leute zu finden, die helfen wollen, weil das jetzt Urlaubszeit ist und Familienzeit?
    Henniges: Ja, das ist durchaus schwierig, ganz klar, und ich glaube, dass wir es uns auch durchaus verdient haben. Sehr viele von uns haben monatelang jeden Tag 15 Stunden, 18 Stunden ihres Tagesablaufs damit verbracht, um entsprechend für ein einigermaßen menschliches Niveau auf diesem Gelände zu sorgen, und ich finde, da ist es auch nur gerechtfertigt, zu sagen, man findet vielleicht für ein paar Tage zu dem Sozialleben zurück, das früher selbstverständlich war.
    "Über Silvester werden sich die Zustände zuspitzen"
    Grieß: Aber ohne Sie geht es nach wie vor nicht?
    Henniges: Nein, es geht nach wie vor nicht, und es ist halt leider auch so, dass sich die Zustände auch über Weihnachten zuspitzen werden oder auch über Silvester sich auch zuspitzen werden, weil die Termine, die absurderweise auf den 27., 28., 29. gelegt wurden, nicht eingehalten werden ...
    Grieß: Die Termine, die Flüchtlinge bekommen haben, oder welche meinen Sie?
    Henniges: Genau, für Geflüchtete, die Termine, die sie schon vor den Weihnachtsfeiertagen für den 27., 28., 29., wo man wusste, das ist nicht haltbar. Wir haben Termine, die sind auf den Sonntag gelegt. Da kann man sich vorstellen, wie sehr das da aus dem Ruder läuft. Und diese Termine wurden auf den 7. Januar verschoben, und diese Termine beinhalten den Krankenschein, Geldauszahlung, wenn man in der Selbstversorgung in einem Hostel wohnt.
    Das heißt, Leute in Berlin hungern, weil sie kein Geld mehr haben, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Und da geht es nicht nur um junge Handy-Besitzer männlicher Natur, sondern da geht es um Familien, da geht es um Neugeborene, Körperbehinderte und Schwerstkranke, die überhaupt keine Versorgungsleistungen bekommen, weil sie einfach ausgesetzt werden.
    "Die Verwaltung wurde in den letzten Jahren extrem vernachlässigt"
    Grieß: Es gibt wahrscheinlich eine ganze Reihe von Gründen, warum das Amt nicht funktioniert, wie es funktionieren sollte, wie man sich das vielleicht wünscht oder vorstellt. Welche sind die wichtigsten?
    Henniges: Die allerwichtigsten sind, dass in den letzten Jahren natürlich die Verwaltung extrem vernachlässigt wurde. Es war auch letztes Jahr schon ein Nadelöhr, wo die Flüchtlingszahlen noch nicht annähernd so hoch waren. Aber jetzt hat es sich natürlich zugespitzt. Und hinzu kommt eine totale Misswirtschaft der letzten Monate, wo nicht rechtzeitig interveniert wurde und gesagt wurde, wir müssen noch mehr Mitarbeiter quasi qualifiziert schulen durch bereits qualifiziertes Personal. Das muss man dann kurz und bündig machen und nicht Zeitarbeitsfirmen in das kalte Wasser schmeißen und sagen, jetzt macht mal.
    Und ein Beamter darf natürlich viel, viel mehr leisten, als es ein Zeitarbeitsmitarbeiter machen kann. Und wenn die nicht vernünftig geschult werden, und wenn die Situation auf dem Platz nicht irgendwie humanitärer Art gewährleistet ist, dass man wenigstens die Wartesituation nicht immer mit einem Aufmerksammachen quasi so gestaltet, dass es den Menschen gut geht. Wir haben monatelang für einen Witterungsschutz gebettelt. Essen kommt erst, wenn Helfer drauf aufmerksam machen, dass an einem Sonntagabend schon seit acht bis neun Stunden kein Essen mehr vor Ort ist.
    Es ist einfach – viele Dinge, wie Überleitung aus anderen Städten nach Königsteiner Schlüssel, die bleiben unberücksichtigt, weil es keinen Ort gibt, der sie aufnimmt für mehrere Stunden, wenn nicht gar für 24 Stunden, sprich, die sind obdachlos.
    Grieß: Jetzt ist der Amtschef, Franz Allert, vor wenigen Wochen geschasst worden, und in Berlin diskutieren viele darüber, ob dasselbe, diesen selben Weg auch Mario Czaja gehen müsste von der CDU, er ist Sozialsenator in Berlin. Was meinen Sie?
    Henniges: Ach, das würde grundlegend nichts an unserer desolaten Situation ändern. Man hört ja, dass Herr Langenbach auch eine Meinung vertritt, die überhaupt völlig fern liegt jeglicher Realität.
    Natürlich gönne ich jedem Mitarbeiter und auch der Personalleitung im LaGeSo entsprechende Ruhetage, aber das müsste sich auf Ehrenamtliche genauso beziehen, und dann müsste es halt einen Notdienst geben, und den gibt es nicht.
    Es wird immer viel mit Worten um sich geschmissen, die von heute auf morgen alles ändern sollen. Die sind aber häufig dann sehr kosmetischer Art, die Veränderungen, also nicht etwas, was auf Dauer jetzt die Situation schaffen würde, dass wir uns keine Sorgen machen müssten wegen der sich zuspitzenden Witterungsverhältnisse und der Minusgrade, die uns nächste Woche erwarten.
    "Die Mitarbeiter des LaGeSo sind auch verzweifelt"
    Grieß: Das steht wohl bevor. Amtsführung ist das eine, aber dann gibt es ja auch eben viele Hundert Mitarbeiter in diesem Amt. Ich nehme an, Sie haben auch Kontakt zu den Leuten, die tatsächlich dann auch an den Tischen sitzen und die Anträge bearbeiten, mit den Flüchtlingen sprechen und so weiter. Was sagen die Ihnen?
    Henniges: Die sind auch verzweifelt. Sie haben ja vor einigen Wochen genau das gehört, dass anonym beim RBB quasi von Mitarbeitern dokumentiert werden konnte, was denn die Situationen sind und womit sie zu kämpfen haben tagtäglich. Und da muss man sich vorstellen, dass Leute 400 Fälle zu bearbeiten haben, die sich auf ihren Tischen stapeln, wo sie aber gar keinen Durchblick mehr haben, weil das Papierakten sind. Es gibt keine digitalisierte Version. Die Menschen arbeiten, obwohl sie eigentlich nur acht Stunden arbeiten dürfen, dann trotzdem zwölf, weil sie sich dem verpflichtet fühlen. Natürlich sind sie emotionalisiert, das sind wir alle. Und es liegt nicht an den Mitarbeitern des LaGeSo, die leisten wahnsinnig gute Arbeit. Es liegt an den Strukturen. In jedem anderen Land würde man das "systemische Fehler" nennen, in unserem nicht.
    Grieß: Bundesland? Oder Staat?
    Henniges: In jedem Land. In Ungarn nennt man so was systemische Fehler, oder da wurden eine ganze Zeit lang Überleitungen nach Ungarn ausgesetzt, weil es systemische Fehler gab, weil es keine vernünftigen Versorgungsleistungen für Geflüchtete gab. Jetzt spielt es sich mitten in Deutschland, in der Hauptstadt ab, und da wird kein Wort drüber verloren.
    "Diskussion um Obergrenzen ist absurd"
    Grieß: In der Politik wird viel diskutiert über das "O-Wort", über das Obergrenzenwort. Haben Sie inzwischen auch Verständnis dafür, zu sagen, wir haben so viele Probleme, wir kommen damit nicht klar, wir müssen mal eine Pause machen?
    Henniges: Ach, das ist doch absurd, das zu sagen, dass es daran liegt. Die Leute, die sich in unserem Land befinden, das sind die Leute, die jetzt versorgt werden müssen, und die werden nicht nur deswegen nicht versorgt, weil neue Geflüchtete dazukommen, sondern weil sie einfach keine Strukturen vorfinden, die das gewährleisten.
    Die weiterbewilligenden Leistungen verschaffen uns gerade im Landesamt extreme Probleme, und nicht die neuankommenden Geflüchteten, weil das funktioniert tatsächlich sehr gut mit der Neuregistrierung.
    Grieß: Haben Sie sich drauf eingestellt, dass Sie in den nächsten Monaten das machen werden, was Sie in den letzten Monaten auch schon getan haben?
    Henniges: Wenn nicht gar in den nächsten Jahren. Ja.
    Grieß: Und das ist in Ordnung, dass Sie quasi-staatliche Aufgaben mit erfüllen, weil der Staat nicht in der Lage ist?
    Henniges: Wir sind da jetzt vielleicht ein bisschen cleverer. Man hat durchaus noch was zu erwarten. Wir haben in den letzten Monaten auch immer wieder staatliche Aufgaben abgegeben. Wir haben eine ganze Zeit lang eine Essensversorgung gemacht, wir haben eine ganze Zeit lang Dinge gewährleistet, die auf hauptamtlicher Ebene waren, und nach und nach abgegeben. Auch der Witterungsschutz hat Monate gedauert. Das ist eine Verwaltung, da mahlen die Mühlen langsam. Und wir werden da nicht aufgeben, bevor wir nicht irgendwie erreichen, dass es humanitäre, möglichst vernünftige Situationen vorzufinden sind an der Turmstraße 21.
    "Wir werden das schon schaffen, irgendwie"
    Grieß: Sie haben aber schon noch Hoffnung, dass sich die Lage ändert, oder warten Sie einfach weiter ab?
    Henniges: Selbstverständlich, es bleibt uns gar keine andere Möglichkeit.
    Grieß: Aber konkret ist sie nicht?
    Henniges: Konkret ist sie nicht. Aber wir befinden uns in einem der reichsten Länder der Erde, mitten in der Hauptstadt. Wir werden das schon schaffen, irgendwie.
    Grieß: Klingt wie Merkel.
    Henniges: Gut. Tja. Kann sein, dass es wie Merkel klingt, aber wir schaffen das wirklich. Wir sind vor Ort, wir kleiden Menschen ein, wir geben ihnen Essen und versorgen sie mit Privatunterkünften. Frau Merkel habe ich vor Ort noch nicht getroffen.
    Grieß: Wer weiß, vielleicht kommt die auch noch. Diana Henniges war das von "Moabit hilft". Sie ist an vielen Tagen in der Woche rund um das LaGeSo anzutreffen und hilft dort mit ihrem Verein, gemeinsam mit anderen Organisationen. Frau Henniges, danke für das Gespräch und einen guten Rutsch!
    Henniges: Einen guten Rutsch ins neue Jahr, ebenso!
    Grieß: Danke schön, schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.