Archiv

Bernhard Schlink: "Olga"
Im Schnellzug durch die Weltgeschichte

In seinem neuen Roman "Olga" reißt Bernhard Schlink das deutsche Panorama vom späten 19. Jahrhundert bis in die 70er-Jahre ab. Der deutsche Größenwahn ist dabei eines seiner Leitmotive, wobei Schlink kein Klischee auslässt.

Von Christoph Schröder |
    Buchcover Bernhard Schlink: Olga und ein Bild des Autors
    Buchcover Bernhard Schlink: Olga und ein Bild des Autors (Diognes Verlag / dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    Bernhard Schlinks neuer Roman verarbeitet alle Zutaten, die ein Bestseller braucht: Eine starke und sympathische Frau als Hauptfigur. Eine zunächst innige und später tragische Liebesgeschichte. Und das historische deutsche Panorama vom späten 19. Jahrhundert der Kaiserzeit bis in die 1970er-Jahre hinein, als die Bundesrepublik nach den 68er-Protesten zu einem liberaleren Land wurde.
    Olga heißt Schlinks Protagonistin, wird um 1880 herum in Breslau geboren, wächst nach dem frühen Fleckfieber-Tod der Eltern bei der strengen Großmutter in Pommern auf und lernt dort auf dem Dorf den Gutsbesitzersohn Herbert kennen.
    Bestandteile des Fertigbauteilkasten-Vokabulars
    Die beiden werden zunächst Freunde, dann Liebende, wobei es Schlink wie über den gesamten Roman hinweg nicht gelingt, Worte zu finden, die über den Bestand des Fertigbauteilkasten-Vokabulars hinausreichen:
    "Olga trieb die Kutsche holpernd und rüttelnd über Stock und Stein, in ihrem Gesicht lag eine trotzige Entschlossenheit, und ihr Haar wehte. So kannte er sie nicht, so schön, so fremd."
    Es ist ein Kennzeichen von Trivialliteratur, stets nur das Bekannte und Erwartbare abzuliefern und Bilder zu reproduzieren, die man schon Dutzende Male gesehen hat, vorzugsweise in deutschen Fernsehfilmen, die Geschichte in individuelles Leid kleiden. Und so rattert auch Bernhard Schlink in "Olga" brav sämtliche Klischees herunter, die im Kontext seiner erzählerischen Anlage naheliegend sind: Die arme Waise, die intrigante und missgünstige Schwester des Gutsherrensohns Herbert. Und dessen ganz und gar teutonischer Drang nach Weite, nach Expansion, nach heroischer Selbsterfahrung, der von Schlink in ein dürftiges philosophisches Konzept eingebettet wird:
    "Er beschloss, ein Übermensch zu werden, nicht zu rasten und nicht zu ruhen, Deutschland groß zu machen und mit Deutschland groß zu werden, auch wenn es ihm Grausamkeit gegen sich und andere abverlangte. Olga fand die großen Worte hohl."
    Ein Roman über deutsche Zustände
    "Olga" will auch ein Roman über deutsche Zustände sein. Der deutsche Größenwahn ist eines der Leitmotive, das die bescheidene und vernünftige Olga bis an ihr Lebensende immer wieder ins Feld führt, sei es gegen die Nationalsozialisten, sei es gegen die rebellierenden 68er-Studenten.
    Wie ein Schnellzug rast Bernhard Schlink durch die Weltgeschichte. Herbert geht zunächst als Soldat nach Deutsch-Südwestafrika und startet im Jahr 1913 eine Expedition zum Nordpol, von der er nicht zurückkehren wird. Währenddessen sorgt Herberts Schwester dafür, dass Olga als Lehrerin in den hintersten Winkel des Deutschen Reichs versetzt wird, nach Ostpreußen, in ein Kaff in der Nähe von Tilsit. Nationalsozialismus? Zwei Weltkriege? Kommen so nebenbei vor. Den Anforderungen, die ein derartig ausufernder Stoff stellt, ist Schlink nicht gewachsen, deswegen rauscht er der Einfachheit halber über ihn hinweg. Viel bekommt Olga davon ohnehin nicht mit, was auch daran liegt, dass sie während einer Erkrankung ihr Gehör verliert.
    All das erzählt Schlink in einer brottrockenen Bürokratensprache. Überhaupt ist das Dilemma dieses misslungenen Buchs recht kurz zu fassen: Es besteht aus einer permanenten Abfolge von wechselweise unanschaulichen oder kitschigen Passagen. Der zweite von drei Teilen spielt in der Nachkriegszeit und ist aus der Perspektive von Ferdinand erzählt, einem jungen Mann, für dessen Eltern Olga regelmäßig Näh- und Haushaltsarbeiten verrichtet. Olga wird für Ferdinand zu einer Art Mentorin. Für den revolutionär und progressiv gestimmten Ferdinand hat sie stets einen guten Ratschlag in Sachen Lebensführung parat:
    "Wir mussten warten lernen. Heute fahrt und fliegt und telefoniert ihr und denkt, der andere sei verfügbar. In der Liebe ist der andere nie verfügbar."
    Hauptfigur als Gegenentwurf zu einem dunklen Deutschland
    Bernhard Schlink hat seine Hauptfigur ganz bewusst als einen positiven, hellen Gegenentwurf zu einem dunklen, aggressiven Deutschland angelegt. Olga ist ein friedfertiges, gemäßigtes, konstantes Element in Zeitumbrüchen voller politischer Radikalität. Moralisch betrachtet ist es schwierig, etwas gegen die Geisteshaltung dieser Figur vorzubringen, die im höheren Alter als wackere Sozialdemokratin endlich zu einem selbstbestimmten, freien Leben findet:
    "Endlich konnte sie alles lesen, was sie immer hatte lesen wollen. Sie ging ins Kino und sah Filme, in denen wenig geredet wurde und viel geschah. Sie wählte weiter die Sozialdemokraten, ging am 1. Mai zur Demonstration der Gewerkschaften und an Feiertagen in die Kirche."
    Der dritte Teil des Romans besteht ausschließlich aus Briefen Olgas an Herbert, die diese postlagernd nach Norwegen geschrieben hat, als Herbert unterwegs im Eis in Richtung Nordpol war. Es ist Ferdinand, der diese Briefe in einem Antiquariat aufstöbert und kauft. In diesen Briefen lösen sich einige der noch ungeklärten Handlungsfragen auf und Schlink wartet noch einmal mit zwei Überraschungseffekten auf, die das zuvor erzählte Geschehen in ein anderes Licht rücken. Erstaunlicherweise sind diese Briefe der am wenigsten sentimentale Part des Romans. Sonderlich überraschend, originell oder erkenntnisfördernd sind allerdings auch sie nicht:
    "Du bist wirklich tot, und wenn Du mir gegenwärtig bist, bist Du die Ausgeburt meiner Erinnerung und meiner Sehnsucht. Du bist mir immer gegenwärtig, nach wie vor, und so muss ich es mir auch immer sagen: Du bist tot. Ich muss lernen, mit dieser Wirklichkeit zu leben."
    Bernhard Schlink ist einer der wenigen deutschsprachigen Autoren mit internationaler Reputation, auch in den USA. Er hat eine große Fangemeinde, die auch dieses Buch, das im Übrigen nach einer Verfilmung schreit, zu einem Erfolg machen wird. Ein Roman wie "Olga" allerdings ist durchaus geeignet, den guten Ruf eines Schriftstellers anzukratzen.
    Bernhard Schlink: Olga
    Diogenes Verlag, Zürich. 312 Seiten, 24 Euro