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Bernhard von Clairvaux
Verteidiger der Juden und Ermahnungen an den Papst

Bis heute gilt Abt Bernhard von Clairvaux als eine prägende Figur seiner Zeit. Er hatte nicht nur in theologischen, sondern auch in politischen Fragen enorme Macht - und war an einer der größten Niederlagen der abendländischen Christenheit beteiligt.

Von Rüdiger Achenbach |
    Bernhard war ein Befürworter der Kreuzzüge.
    Bernhard war ein Befürworter der Kreuzzüge. (AFP/Olivier Morrin)
    Dieser Beitrag ist eine Wiederholung vom 01.05.2013.
    "Es wird schlimmster Schrecken und tiefstes Entsetzen die Welt erschüttern, dann wird alles Feste, alles Sichere zergehen. Wie schrecklich und furchtbar wird dieser Tag hin brechen."

    Diese Worte schrieb ein Zisterziensermönch 1146. Damals hatte es im Sommer Unwetter und Missernten gegeben und vor allem waren die Menschen durch das Erscheinen des Halley'schen Kometen beunruhigt. Überall waren jetzt Weltuntergangspredigten zu hören, die die Gläubigen ermahnten, sich auf das Jüngste Gericht vorzubereiten.
    Bernhard von Clairvaux war zu dieser Zeit auf einer Propagandareise für den 2. Kreuzzug in Deutschland unterwegs. Als er dort von den Pogromen gegen die Juden erfuhr, verurteilte er dies aufs Schärfste, denn die Juden dürften nicht verfolgt werden, weil Gott nach seinem Heilsplan dieses derzeit noch verstockte Volk am Ende der Zeit zu Christus bekehren werde. Der Mediävist Hans-Dietrich Kahl:

    "Im persönlichen Einsatz, offenbar auch gegen drohend murrende Massen, hat er daraufhin zahllose Menschenleben gerettet. Entsprechend hoch feierten ihn jüdische Berichte; Bernhard wurde sogar irgendwann ein beliebter Vorname im deutschen Judentum."

    Aber nicht nur die Juden, sondern auch die Heiden im fernen Orient und im Osten Europas sollten vor dem Weltende christianisiert sein. Bernhard von Clairvaux verfasste deshalb ein Rundschreiben an alle Gläubigen, in dem er auch deutlich machte, was mit den Heiden geschehen sollte, die sich der Christianisierung widersetzen:

    "Es ist bereits bekannt, wie Gott Könige und Fürsten dazu entflammt hat, Rache an den Heidenvölkern zu nehmen und von der Erde die Feinde des Christentums auszurotten. Die Heidenvölker müssen deshalb vollständig liquidiert oder unwiderruflich bekehrt werden. Es ist ein Ärgernis, dass die Heidensöhne – wie ich sagen möchte – mit eurer Erlaubnis von der Christenmacht schon zu lange toleriert wurden."

    Bernhard spielt auf die Praxis an, nach der christliche Herrscher oftmals mit den Heiden aushandelten, sie gegen Tributzahlungen in ihrer Religion unbehelligt zu lassen. Dagegen hatte sich bereits auch der Papst ausgesprochen und verboten, den Heiden zu gestatten, in ihrem Irrglauben zu bleiben, wenn diese dafür Geld bieten sollten.
    Abt möchte deutschen König für Kreuzzug gewinnen
    Der Abt von Clairvaux war aber vor allem nach Deutschland gekommen, um den deutschen König für einen Kreuzzug ins Heilige Land zu gewinnen. So reiste er zur Weihnachtszeit nach Speyer, wo sich Konrad der Dritte mit seinem Hof aufhielt, um im Kaiserdom vor dem König zu predigen. Was sich dort ereignete, wurde in einer zeitgenössischen Chronik festgehalten.

    "Mitten in der Predigt rief Konrad unter Tränen aus, ich bin bereit Christus zu dienen. Unter tosendem Beifall der Gläubigen nahm der König das Kreuz und die Heerfahne vom Altar aus der Hand Bernhards."

    Doch auch wenn vielfach überliefert wurde, wie sehr Bernhard die Menschen mit seinen Predigten mitreißen konnte, wird man wohl kaum annehmen können, dass Konrad plötzlich nur aufgrund dieser Predigt alle rationalen politischen Erwägungen einfach beiseitegeschoben hat. Immerhin hatte er gute innenpolitische Gründe gehabt, das Land nicht zu verlassen. Denn die Welfen versuchten, ihn zu stürzen. Der Mediävist Gerd Althoff:

    "Die Quellen erzählen auch, dass man intensiv und wochenlang über die Kreuznahme verhandelt habe und dass Bernhard von Clairvaux in dieser Zeit sogar zu einer überstürzten Reise an den Bodensee nach Konstanz aufbrach, also genau dorthin, wo Konrads innenpolitischen Hauptgegner, Welf VI., sein Herrschaftszentrum hatte."

    Tatsächlich hatte der Welfe bereits zwei Tage vor Konrad seine Teilnahme am Kreuzzug zugesagt. Damit war also für den König sichergestellt, dass auch sein ärgster Kontrahent das Land verlassen würde. Unter diesen Bedingungen war auch Konrad bereit, sich am Kreuzzug beteiligen. Die innenpolitischen Zwistigkeiten wurden sozusagen vertagt.

    Für Bernhard war dies ein voller Erfolg. Es war ihm als Hauptpropagandist des 2. Kreuzzugs gelungen, nicht nur den französischen, sondern auch den deutschen König für die geplante Orientfahrt zu gewinnen. Doch der Papst war über diese Entwicklung alles andere als begeistert. Denn er hatte gehofft, dass Konrad nach Italien ziehen würde, um für ihn die Ewige Stadt zu unterwerfen. Denn die römische Stadtbevölkerung hatte nach antikem Vorbild einen Senat gegründet und den Papst genötigt, die Stadt zu verlassen und sich in Viterbo niederzulassen. Nachdem aber nun aber Konrad seine Teilnahme am Kreuzzug zugesagt hatte, fühlte der Papst sich vom deutschen König im Stich gelassen.

    Die Organisatoren des Kreuzzuges setzten inzwischen große Hoffnungen auf die vereinten Heere der französischen und deutschen Ritter. Außerdem hatte man noch die Worte Bernhards im Ohr, der einen weltweiten Siegeszug des Christentums vorausgesagt hatte. Doch das vom Abt von Clairvaux prophezeite Heilsereignis sollte ausbleiben. Der Mediävist Hans-Dietrich Kahl:

    "In der Welt der Tatsachen wurde der Kreuzzug der verheerendste Misserfolg, den die abendländische Christenheit je erfahren hatte. Nur ein Bruchteil der Ausgezogenen kehrte ruhmlos zurück, und heftigste Kritik wandte sich gegen den Mann, der sich dermaßen öffentlich unter ausgesprochenen Segensverheißungen mit dem Unternehmen identifiziert hatte. Zweifellos traf den Abt von Clairvaux wesentliche Schuld: gar zu viele Realitäten hatte er falsch eingeschätzt."

    Doch Bernhards großer Popularität konnte auch diese Niederlage letztlich nichts anhaben. Zumal auch ein ehemaliger Schüler aus Clairvaux inzwischen als Papst Eugen III. auf dem Stuhl Petri saß. Bernhard wurde für Eugen zu einem wichtigen Ratgeber, und er nutzte die Gelegenheit, das Papsttum von einer zunehmenden Verweltlichung zu befreien. Dabei sparte er durchaus nicht an Kritik an seinem ehemaligen Schüler. Als Eugen III. sich – wie es am Heiligen Stuhl inzwischen üblich war – mit zahlreichen Rechtsgelehrten umgab, schrieb er ihm:

    "Ich lese nur, dass die Apostel vor Gericht standen, nicht aber, dass sie auf dem Richterstuhl saßen. Für alles Irdische sind schließlich die Fürsten und Könige da. Was brecht ihr also in fremde Gehege, die euch nichts angehen. – Ich kann mich nur wundern, wie es deine gottesfürchtigen Ohren aushalten, die Auseinandersetzungen und Wortgefechte zwischen den Advokaten anzuhören, welche eher dazu dienen, die Wahrheit auf den Kopf als sie klarzustellen."

    Da Bernhard das Treiben an der Kurie kannte, war er besorgt, dass Eugen dem schlechten Einfluss der prunksüchtigen Prälaten verfallen könnte. Er ermahnte deshalb den Papst:

    "Von Petrus ist nicht bekannt, dass er einst im Schmuck von Edelsteinen und Seidenstoffen einher gezogen ist, mit Gold bedeckt auf einem Schimmel ritt, dass eine Leibgarde ihn umgab oder lärmende Diener ihn umringten. In den genannten Punkten folgt der Papst nicht Petrus, sondern Kaiser Konstantin."

    Bernhard lehnt jede Form von weltlicher Pracht und Machentfaltung des Papstes ab. Für ihn hat der Nachfolger Petri ein geistlicher Führer der Kirche zu sein. Am meisten ärgerte ihn, wenn der Oberhirte der Kirche sich in die weltliche Politik einmischte:

    "Warum willst Du Dir das Schwert anmaßen, wurde Dir nicht schon einmal befohlen, es in die Scheide zu stecken!"

    Kirche und Staat stehen für Bernhard eigenständig nebeneinander und nehmen getrennte Aufgaben wahr. Sie haben sich gegenseitig zu schützen und zu stützen, aber ihre unterschiedlichen Sphären nicht miteinander zu vermischen. Die Unterscheidung möchte er auch beim Papst gewahrt sehen. Der Mediävist Bernhard Dinzelbacher:

    "Bernhards Papst soll frei von jeder Machtgier sein Regiment nur als Diener seiner Untertanen führen, indem er nur in deren Interesse und nicht dem eines Kirchenstaates handelt."
    Erörterung theologischer Streitfragen

    Aber der Abt von Clairvaux gab nicht nur Ratschläge zu kirchenpolitischen Fragen, sondern er beteiligte sich – obwohl kein Schultheologe – auch immer wieder an der Erörterung theologischer Streitfragen. Als zum Beispiel die Diskussion über die unbefleckte Empfängnis Marias aufkam, und Kanoniker in Lyon eigens ein neues kirchliches Fest dafür einführten, warf ihnen Bernhard vor, mit diesem Ritus entgegen der kirchlichen Tradition zu handeln. Obwohl auch Bernhard höchste Anerkennung für die Heiligkeit der Gottesmutter hatte, lehnte er jedoch die Vorstellung ab, nach der sie unbefleckt empfangen worden sei:

    "Maria ist ebenso in Sünde empfangen worden wie alle anderen Menschen. Auf sie darf nicht übertragen werden, was allein dem Sohn zukommt. Gern wird Maria auf diese falsche Ehre verzichten."

    Noch 800 Jahre später haben sich katholische Theologen auf diese Argumentation Bernhards berufen, der 1830 von Pius VIII. zum "doctor ecclesiae", also zu einem offiziellen Lehrer der Kirche, ernannt worden war. Doch das 19. Jahrhundert kannte andere kirchenpolitischen Notwendigkeiten. 1854 wurde die Unbefleckte Empfängnis Marias zum Dogma in der katholischen Kirche.

    Bernhard hat in seinem Leben, das eigentlich der Kontemplation in der Abgeschiedenheit von Clairvaux gewidmet sein sollte, an vielen Fronten außerhalb der Klostermauern gekämpft. Er war zweifellos die bedeutendste geistliche Autorität in seiner Zeit, aber er hat auch im Laufe der Jahre erkennen müssen, dass sein Stern irgendwann zu sinken begann. Hans-Dietrich Kahl:

    "Gerade im Kardinalskollegium war man Bernhards müde geworden als eines ewigen Rechthabers und Schulmeisters, der die ihm als Abt zukommenden Grenzen nicht zu wahren vermochte."

    Am 20. August 1153 ist Bernhard von Clairvaux dann im Alter von 63 Jahren in seinem Kloster gestorben. Er war auch für seine Zeitgenossen eine Persönlichkeit, die polarisierte. Die einen brachten ihm grenzenlose Verehrung entgegen, andere hassten ihn. Aber zweifellos hat der Abt von Clairvaux das christliche Leben in seiner Zeit und weit darüber hinaus entscheidend mitgeprägt. Und es ist vor allem ihm zu verdanken, dass der Orden der Zisterzienser einen enormen Zulauf verzeichnen konnte. Der Kirchenhistoriker Karl Suso Frank:

    "Man spricht auch vom 'bernhardinischen Zeitalter' und im gleichen Sinne vom 'Jahrhundert der Zisterzienser'. Denn unter Bernhards Einfluss breitete sich der Orden über ganz Europa gewaltig aus."