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Berührungsangst

Mit seinem neuesten Roman "Am Morgen des zwölften Tages", wagt sich Vladimir Vertlib erstmals auf ihm teilweise unbekanntes Terrain. Er erzählt aus der Perspektive einer Frau, die durch arabische Männer traumatisiert wurde, und verknüpft ihre Geschichte mit der ihres Großvaters.

Von Eva Schobel |
    "Worte sind wie ein Vorhang, während Hände alles offenlegen. Doch Adels Hände geben nichts preis. "Gnädige Frau, wären sie bereit mit mir zu schlafen?" fragt er. "Nur ein einziges Mal! Sie würden mir damit einen mehr als 30 Jahre alten Traum erfüllen." In der rechten Hand hält er die Zigarette, in der linken das Whiskyglas."

    So der fulminante Anfang eines Romans in dem es sofort in medias res geht: Die potenzielle Beziehungsgeschichte zwischen einem muslimischen Mann und einer deutschen Frau.

    "Das ist ein Thema, das mich auch aus biografischen Gründen interessiert, denn ich bin ja selber als Zuwanderer nach Österreich gekommen. Das heißt, dass ich mehrere Kulturen, die russische, die jüdische und die österreichische internalisiert habe. Wenn mehrere Kulturen zusammenkommen, so ist das spannend für mich und ich möchte mehr darüber erfahren."

    Adel, Besitzer des arabischen Lokals "Ali Baba" in der fiktiven Kleinstadt Gigricht, hat Astrid Heisenberg, Buchhändlerin und ledige Mutter einer 19-jährigen Tochter, gerade erst kennen gelernt. Aber sie erinnert ihn an die unerreichbare Frau seiner Sehnsüchte, ein Covergirl, das auf der vergilbten Seite einer Illustrierten aus den 70er-Jahren, auf der Kühlerhaube eines Audi posiert. Astrid scheint eine merkwürdige Disposition für den Charme arabische Männer mitzubringen. Ohne größere Umstände geht sie auf das Angebot des Verführers ein und nimmt ihn mit nach Hause.

    Tatsächlich laboriert sie noch immer an der gescheiterten Beziehung zu Khalid, dem Vater ihrer Tochter, der sich als irakischer Flüchtling ausgab. Nach elf wunderbaren Nächten, in denen sie sich eine gemeinsame Zukunft ausgemalt haben, ist er am Morgen des zwölften Tages für immer aus ihrem Leben verschwunden. Das liegt nun fast zwei Jahrzehnte zurück. Aber ein Trauma muss aufgelöst oder wiederbelebt werden. Im Bett mit Adel kommt es zum Eklat. Der Mann beendet das Liebesabenteuer abrupt, als er feststellt, dass seine Partnerin die Regel hat und in seinem Verständnis "unrein" ist. Ein intimer "clash of civilisations" sozusagen, ein Wort, das der Autor allerdings nicht schätzt, weil es im rechten Eck der "daham statt Islam"-Populisten Verwendung findet.

    Und tatsächlich sind es nicht schlicht zwei Kulturen, die hier aufeinanderprallen, sondern zwei unterschiedliche Haltungen.
    Astrid hat jedenfalls bekommen, was sie nicht wollte und flieht in den Keller ihrer Wohnung, ihr ganz persönliches Reich, in dem die Aufzeichnungen jenes Mannes lagern, der ihr Faible für alles Morgenländische gestiftet hat. Sie transkribiert das Kriegstagebuch ihres Großvaters, eines begeisterten Orientalisten und Mitläufers der Nationalsozialisten, der gegen Ende seines Lebens ironischerweise Opfer seiner postulierten Ideologielosigkeit wurde. Mit einer Abhandlung, in der er den Islam vor dem Vorwurf des Islamismus in Schutz nimmt, hat er sich durch einen unreflektierten Nebensatz aus dem Wissenschaftsbetrieb katapultiert: Die einflussreichen Juden Amerikas hätten eine vernünftige Haltung Khomenei und der iranischen Revolution gegenüber torpetiert. Der Großvater hofft auf die posthume Rehabilitation durch seine Enkelin, der er seine Aufzeichnungen aus dem englisch-irakischem Krieg anvertraut, einem Krieg in dem die Nationalsozialisten Seite an Seite mit den Irakern gegen die britische Besatzung kämpften.

    "Ich hatte die Figur des Großvaters erst kreiert, nachdem ich beschlossen hatte, diese historische Dimension in den Roman einzuführen. Ich wollte untersuchen, inwiefern der Islamismus, die Bedrohung durch islamische Fundamentalisten und gleichzeitig unsere Islamophobie oder die im Westen vorherrschende Angst vor Menschen aus dem islamischen Raum, historisch verortet ist. Und je weiter ich in die Vergangenheit zurückgegangen bin, desto ähnlicher wurden sich die beiden Gruppen, nämlich die imperialistisch und rassistisch agierenden Deutschen und jene Protoislamisten, die damals in Ägypten oder im Irak mit ihrer nationalistischen und gleichzeitig religiösen Rhetorik, ihre eigene Welt in Angst und Schrecken versetzt haben."

    Man muss genau hinhören und differenziert lesen, um den Autor richtig zu verstehen. Was er schreibt, ist nicht nur durch im Nachwort erwähnte historische Werke fundiert, sondern auch durch das Buch "Orientalism" des palästinensischen Literaturtheoretikers Edward Said inspiriert. Said, der gemeinsam mit dem argentinisch-israelisch-palästinensischen Dirigenten Daniel Barenboim das West-Eastern-Divan-Orchestra gründete, in dem Jugendliche aus den Konfliktregionen des Nahen Ostens miteinander musizieren und gemeinsam die Konzertsäle der Welt erobern, war ein prononcierter Gegner der These, dass sich Orient und Okzident per se feindlich gegenüberstehen.

    Für ihn waren es soziale und politische Gründe, die die Menschen trennen. Über die Mauer in der Westbank hinweg, gemeinsam eine Beethoven-Sonate einzustudieren, ist aber offenbar etwas anderes als eine harmonische Beziehung zwischen einer deutschen Frau und einem arabischen Mann aufzubauen. Das Verhältnis steuert auf eine Katastrophe zu, und Astrid landet beim "Weißen Halbmond" einer Selbsthilfegruppe für von arabischen Männern geschädigte Frauen.

    Wer mit israelischen Siedlern im besetzten Westjordanland über Palästinenser spricht, wird weder die Wahrheit über Palästinenser, noch über die Auffassungen anderer Israelis erfahren, wer die Erfahrungsberichte der traumatisierten Frauen beim "Weißen Halbmond" liest, nicht die Wahrheit über islamische Männer. Das liegt in der Natur der Sache, meint der Autor.

    "Es wäre falsch und gefährlich anzunehmen, dass Beziehungen dieser Art nicht funktionieren können oder der Islam mit dem Islamismus gleichzusetzen wäre, weil Figuren meines Romans schlechte Erfahrungen mit Moslems machen."

    Trotzdem ist man dankbar, dass Vertlib zumindest ein Exempel für die Auswüchse wild wuchernder, hochnotpeinlicher Islamophobie findet. In einem Passagierflugzeug bricht die Panik aus, weil ein mutmaßlicher Araber zu viel Zeit auf der Toilette verbringt.

    "Ich will ja niemandem etwas Böses unterstellen",

    sagt die Sitznachbarin der Erzählerin,

    "aber dieser Araber am Klo schaut wirklich aus wie ein Terrorist"! Die Frau hatte laut gesprochen. Einige andere Passagiere schauten in unsere Richtung. Ein unruhiges Murmeln ging durch die Reihen, die Flugbegleiterinnen schauten besorgt, und dann ertönte hinter meinem Rücken eine sonore männliche Stimme, die den ganzen Raum füllte: "Der kackt aber wirklich lange der Araber".

    Das Ende dieser Geschichte soll genauso wenig erzählt werden, wie der Schluss des Romans. Denn nicht zuletzt ist "Am Morgen des zwölften Tages" ein spannendes Buch, im dem die Handlung immer wieder überraschende Wendungen nimmt. Ein Buch, das nicht nur auf angenehmste Weise bildet und unterhält, sondern auch viel Zündstoff für Diskussionen hergeben könnte.

    Vladimir Vertlib: "Am Morgen des zwölften Tages". Deuticke Verlag, Wien 2009, 558 Seiten, 24,90 Euro