Gestern Abend in der Volksbühne: Die Besetzer, nein, selbsteingesetzen Theaterperformer diskutieren, wie es weitergehen soll, wie reagieren auf das jüngste Angebot der Gegenseite. Basisdemokratisch geht es zu und gendergerecht, das Mikrofon wird herumgereicht, jeder darf mitreden.
Punkt 17 Uhr hatten Intendant Chris Dercon und Kultursenator Klaus Lederer ein Angebot zur Güte unterbreitet: Die Aktivistengruppe "Von Staub zu Glitzer" könne den Grünen Salon und den Pavillon, zwei kleinere Veranstaltungsorte im Gebäude, "für die Durchführung ihrer künstlerischen Angebote und zur Diskussion ihrer wichtigen stadtpolitischen Anliegen nutzen" - wenn sie den Rest des Gebäudes freigeben und der Probenbetrieb ungestört weitergehen könne.
Im Foyer sitzt Thomas Felecin, Sing-A-Song-Writer, Bauingenieur, und Improvisationstheaterschauspieler bei einer spontan einberufenen Jam-Session. Ob das Angebot angenommen werden solle? Er überlegt.
"Ich meine, Präsidenten der USA haben den Indianern, Nixon glaube ich war's, in den 70er-Jahren wieder Land zurückgegeben, Wüste in Utah, die sie nicht gebraucht haben, und haben sich groß inszeniert als Landzurückgeber."
Und, sagt er, ist es nicht jetzt bei Dercon und Lederer irgendwie genauso? Bis zur Stunde ist die Lage unübersichtlich. Anderthalb Stunden lang wurde heute weiterverhandelt zwischen Dercon und den Besetzern. Die sahen sich zudem mit den Volksbühnenmitarbeitern konfrontiert, – von technischen Mitarbeitern über Kartenverkäufer bis hin zu Regisseurin Susanne Kennedy, die forderten, endlich an ihre Arbeit zurückkehren zu können.
Erneute Tagung des Plenums
Heute Abend um 18 Uhr will das Plenum erneut tagen, um über das Angebot zu beraten. Man wisse das Angebot für eine deeskalierende Lösung zu schätzen, so die Botschaft der Besetzer heute. Doch viele wollen weitermachen, fordern eine Interimsintendanz für die Volksbühne.
"Wir fordern dass Chris Dercon seine Intendanz aufgibt. Und das nicht als was Persönliches betrachtet, sondern sozusagen den Mitarbeitern und der Stadt zwei Jahre Zeit gibt, um das neu zu verhandeln. Zwei Jahre, um zu überlegen, wie kann das weitergehen."
Sagt Viktor, der Teil des Kern-Organisationsteams ist. Und während Lederer politisch immer mehr unter Druck gerät, endlich aufzuräumen mit diesem "Besetzerklamauk" – so Originalton Robbin Juhnke, kulturpolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus – und die AfD-Fraktion für morgen einen Eil-Entschließungsantrag zur sofortigen Räumung der Volksbühne vorbereitet hat, geht im Theater am Rosa-Luxemburg-Platz das Happening weiter.
Noch immer strömen Menschen ins Haus, werden spontan Konzerte, Filmvorführungen, Theaterperformances aufgeführt, Staubsauger, Feudeleimer und Schokoriegel vorbeigebracht. Über Berichte, sie hätten die Einrichtung zerstört, sind die Besetzer empört. Die Volksbühne ist ihr Haus, darum kümmere man sich.
"Man kann ja überhaupt nicht über Zerstörung reden. Außerdem gibt es Leute hier, die die ganze Zeit nur dafür da sind, dass, falls irgendjemand was an die Wand klebt, dass sie es dann gleich wieder wegnehmen, weil wenn das länger an der Wand ist, dann wird es immer schwieriger das wegzukriegen."
Sagt ein Künstler, der seinen Namen nicht nennen möchte. Den hohen Symbolwert des Theaters für die Menschen habe Dercon nie verstanden.
"Solche Orte, die kann man nicht mal an einer Hand aufzählen, dass es die noch gibt, und das ist so was Kostbares!"
Das Haus ist offen
Das Haus ist offen, jeder kann hineinspazieren, auch Dercon, der Hausherr, wird nicht daran gehindert, sein Büro zu benutzen. Auch die Hauptbühne ist frei, dort könnten die Proben für die geplanten Premieren im November weitergehen, so das Angebot der Aktivisten.
Doch Dercon hat die Probenarbeit gecancelt, eine konzentrierte Arbeit sei unter diesen Umständen nicht möglich. Am Tag Sechs der Volksbühnen-Besetzung ist die Situation extrem verfahren. Der linke Kultursenator steckt im Dilemma. Die da gegen Gentrifizierung und eine Kulturpolitik protestieren, die nur nach großen Namen schielt und zulässt, das immer mehr Freiräume für Künstler und Alternativkultur verloren gehen, das ist seine Klientel – vor Kurzem noch hätte er sich an die Spitze der Bewegung gesetzt.
Doch jetzt steht er auf der anderen Seite. Dercon hat seinerseits allen Grund, die Unterstützung des Senats einzufordern, der ihn als Intendanten eingesetzt hat. Doch keiner von beiden kann Interesse haben an Fernsehbildern von Polizisten, die das Theater stürmen. Eine Volksbühne, die mit Einsatzkräften vom Volk befreit wird – undenkbar. Viktor ist jedenfalls gelassen:
"Selbst wenn wir hier weggehen würden oder müssen, könnten wir ja jederzeit wiederkommen. Ist ja ein öffentlicher Ort hier."
"Make Berlin geil again!", steht auf einem Transparent im linken Seiteneingang der Volksbühne. Wird keine Lösung gefunden, könnte sein, dass es am Ende auf allen Seiten Verlierer gibt.