Der Hamburger Senat hatte beim Bundesverfassungsgericht Einspruch gegen das Gesetz eingelegt, heute wird in Karlsruhe verhandelt. Dabei geht es um mehrere Aspekte: Sind Bund oder Länder zuständig? Entspricht das Gesetz dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau? Und kann man eine Leistung erwarten, weil man eine öffentliche Leistung nicht in Anspruch nimmt?
"Das kann eine Grundsatzentscheidung werden"
Denn in Deutschland gibt es öffentlich geförderte Kindergärten. "Dass jemand, der ein Angebot nicht wahrnimmt, dafür einen Ausgleich bekommt, das ist einmalig. Das gibt es bisher nicht", sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und verwies auf Universitäten und Bibliotheken, die ebenfalls öffentlich gefördert werden. "Das kann eine Grundsatzentscheidung werden."
Leutheusser-Schnarrenberger hatte als Justizministerin in der schwarz-gelben Koalition zwischen 2009 und 2013 Bedenken gegen das Gesetz, dennoch wurde es im August 2013 verabschiedet. Zuletzt wurde das Betreuungsgeld gefragter, 400.000 Familien sollen es beantragt haben.
"Antiquiertes Gleichberechtigungsmodell"
Auch sie wiederholte einen häufig genannten Kritikpunkt: "Hier wird ein antiquiertes Gleichberechtigungsmodell gefördert. Man will erreichen, dass Mütter zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern." Das sei nicht das Bild, was der "Verfassungsgesetzgeber von der der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung hatte", so die FDP-Politikerin. Frauen würden nicht dazu gezwungen, Schlagworte wie "Herdprämie" seien polemisch. "Aber es wird damit ein ganz klarer Anreiz geschaffen."
Als weiteres politisches Argument führte sie die Bedeutung von frühkindlicher Pädagogik an. Es gebe eine "gesellschaftspolitische Debatte, wie man Kinder aus Migrationsfamilien möglichst frühzeitig die Unterstützung geben kann, dass sie integriert werden, teilhaben können." Wenn die Familien mit Migrationshintergrund lieber das Geld nehmen, "kann das diesen Kindern die Chance der Teilhabe nehmen."
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: Verstößt das über Jahre umstrittene und dann schließlich doch eingeführte Betreuungsgeld gegen die Verfassung? Damit beschäftigt sich heute jedenfalls das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe, und zwar in einer Verhandlung. Eine Entscheidung dazu wird zu einem späteren Zeitpunkt erwartet. Aber angesichts des politischen Zündstoffs wird schon diese Verhandlung heute von Politikern auf beiden Seiten, bei Befürwortern und Gegnern, wohl mit Argusaugen verfolgt.
Beschlossen wurde das Betreuungsgeld bekanntlich bereits in der Zeit der schwarz-gelben Bundesregierung und auch damals war es innerhalb der Koalition nicht unumstritten. Die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP etwa warnte bereits vor drei Jahren ihre Regierung davor, das Gesetz könne in Karlsruhe scheitern, das sollte die Bundesregierung nicht riskieren. Und die frühere Ministerin ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Beschlossen wurde das Betreuungsgeld bekanntlich bereits in der Zeit der schwarz-gelben Bundesregierung und auch damals war es innerhalb der Koalition nicht unumstritten. Die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP etwa warnte bereits vor drei Jahren ihre Regierung davor, das Gesetz könne in Karlsruhe scheitern, das sollte die Bundesregierung nicht riskieren. Und die frühere Ministerin ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen.
Klein: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Hamburg versucht, nun das Projekt in Karlsruhe zu kippen. Fühlen Sie sich jetzt schon bestätigt?
"Es geht um spannende Fragen von Familien und Familienförderung"
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Man muss jetzt ja wirklich abwarten, wie das Bundesverfassungsgericht die vorgebrachten Bedenken tatsächlich bewertet. Aber gerade die Auseinandersetzungen schon bei der Beratung des Gesetzentwurfes haben ja all diese Bedenken auch gezeigt und zutage gebracht, die jetzt vom Bundesverfassungsgericht gewichtet werden. Also es ist ein normaler Weg, dass da, wo Vorhaben auch verfassungsrechtlich umstritten sind, dann das Verfassungsgericht das letzte Wort hat, und da geht es wirklich um spannende Fragen von Familie, Familienförderung auf welche Art und Weise, aber auch der Durchsetzung von Gleichberechtigung.
Klein: Machen wir es doch mal ein bisschen konkreter. Der Grundsatz der Gleichbehandlung, haben wir gehört, könnte verletzt sein. Das ist die eigentliche Gefahr für das Gesetz?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke, es gibt schon mehrere Aspekte. Einmal die Zuständigkeitsfrage, die ja Hamburg hier sehr dezidiert auch anmerkt in seinem Normenkontrollantrag: Hat der Bund eine Kompetenz, wo es hier ja nicht um Fragen der Bedürftigkeit von Familien geht, denn das Betreuungsgeld wird unabhängig von der sozialen Lage der Familien gezahlt? Das ist ein wichtiger Punkt. Und der zweite ist: Geht es hier wirklich um Wahlfreiheit? Dann geht es damit auch um Artikel sechs, Familiengleichbehandlung, aber Freistellung von Familien, wie sie sich verhalten, und da ist die Frage, dass ja hier bei dem Betreuungsgeld für angeblich geförderte öffentliche Einrichtungen ein Ausgleich, wenn man sie nicht nutzt, gezahlt wird. Und das haben wir ja in ganz vielen Fällen: Universitäten, Bibliotheken, öffentliche Infrastruktur. Das sind schon Grundsatzfragen, die jetzt hier auch zur Entscheidung anstehen.
Klein: Was Sie gerade genannt haben, Wahlfreiheit, das ist ja eines der Argumente der Befürworter. Weshalb soll das denn verfassungswidrig sein?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es geht ja eigentlich gar nicht um Wahlfreiheit. Es geht darum, dass es ein öffentlich gefördertes Angebot gibt für Familien, nämlich Kitas zu benutzen, und für die müssen sie dann auch je nach Region und Angebot zahlen. Das ist die Wahlfreiheit, die Familien haben. Aber dass jemand, der ein öffentlich gefördertes Angebot nicht wahrnimmt, dafür einen Ausgleich bekommt, das ist einmalig. Das gibt es bisher nicht.
Klein: Sie haben auch als ein Gegenargument gegen das Gesetz genannt, es gehe nicht um Bedürftigkeit der Familien, weil das unabhängig vom Einkommen gezahlt werde. Die Familien selber, die das in steigender Zahl beantragen, werden sich allerdings sehr wohl als bedürftig empfinden.
"Kann eine Grundsatzentscheidung werden"
Leutheusser-Schnarrenberger: Ob sie sich empfinden, ist jetzt letztendlich verfassungsrechtlich nicht relevant. Aber es ist nicht Voraussetzung, dass zum Beispiel die Mutter oder der Vater oder auch beide deshalb ihre Berufsausübung aufgeben. Das war der Grund für das Erziehungsgeld und da geht es dann wirklich um echte Wahlfreiheit. Hier haben wir aber eine andere Konstellation und ich glaube, das zeigt, dass das doch schon hier auch eine Grundsatzentscheidung werden kann.
Klein: Und inwieweit ist die Gleichbehandlung von Mann und Frau da betroffen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es geht um die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung, die der Staat zu fördern hat nach Artikel drei Absatz eins und Absatz zwei. Aber wenn man sich die Zahlen ansieht, dann wird hier wohl eher ein, wie ja auch die Gegner sagen, antiquiertes Gleichberechtigungsmodell gefördert, nämlich man will doch erreichen, dass Mütter zuhause bleiben und sich um die Kinder kümmern, und das passiert ja auch, denn es sind überwiegend Frauen, ich glaube, über 90 Prozent der Frauen, die das Betreuungsgeld beanspruchen und dann sich um die Kinder kümmern. Das aber ist nicht das Bild, was der Gesetzgeber, der Verfassungsgesetzgeber von der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung hatte, und deshalb werden hier Argumente vorgebracht.
Klein: Aber Frauen werden doch nicht gezwungen, das Elterngeld in Anspruch zu nehmen.
Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich werden sie nicht gezwungen, aber es wird damit ja ein ganz klarer Anreiz geschaffen, und das ist ja auch die politische Begründung gewesen für all diejenigen, die gesagt haben, wir brauchen das Betreuungsgeld. Es gibt Familienangehörige, es gibt Mütter, die zuhause bleiben, um sich um die Kinder zu kümmern. Das ist gerade aber nicht das Bild, was auch in früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eigentlich das Bild von Familie ist. Auch da können Argumente hergeleitet werden. Ob sie am Ende tragen, ist natürlich vollkommen offen, und das wird jetzt ja heute in der mündlichen Verhandlung, glaube ich, auch unter allen Facetten mit Experten diskutiert werden.
Klein: Ich möchte noch mal ganz kurz bei dem letzten Argument bleiben, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Das Gesetz erfährt zunehmenden Zuspruch. Wir lesen, allein im letzten Quartal 2014 bezogen fast 400.000 Eltern das Familiengeld. Wie gerecht ist es denn, diesen Eltern mit dem Schlagwort Herdprämie so eine Diffamierung entgegenzuschleudern, wenn sie einfach nur ihr Bild von Familie vielleicht leben wollen?
"Wir kennen doch die große Bedeutung gerade von frühkindlicher Pädagogik"
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke auch, dass man hier nicht polemisch argumentieren sollte mit Herdprämie und anderen Dingen. Es ist wirklich freigestellt, wie sich Eltern entscheiden bei der Betreuung ihrer Kinder. Die Frage ist, was kann und sollte der Staat und muss der Staat an finanzieller Unterstützung tun, und das steht ja allein hier im Streit. Ich möchte aber ein politisches Argument doch gerne noch bringen. Wir kennen doch die große Bedeutung gerade von frühkindlicher Pädagogik, gerade auch schon in Kinderbetreuungseinrichtungen, und wir führen eine gesellschaftspolitische Debatte, wie man auch gerade Kindern auch aus Migrationsfamilien möglichst frühzeitig all die Unterstützung geben kann, dass sie integriert werden, teilhaben können. Und dass gerade dann doch möglicherweise die Familien mit Migrationshintergrund ihre Kinder nicht in die Kita schicken, sondern lieber das Geld, die 150 Euro vom Staat nehmen, kann ja diesen Kindern diese Chance der Teilhabe, schon möglichst der frühzeitigen Förderung nehmen, und deshalb ist das ein politisches Argument in meinen Augen, das gegen das Betreuungsgeld spricht.
Klein: Ich würde gerne noch mal auf die politische Ebene schauen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Weshalb hat sich denn die FDP damals darauf eingelassen, wenn auch Sie schon damals ja diese Kritikpunkte angeführt haben?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist immer so in einer Koalition. Es war ja eine gewisse Ausgangslage geschaffen worden schon durch die damals vorherige Große Koalition, die ja mit der Förderung von Kitas ins Gesetz geschrieben hat, dass auch andere Möglichkeiten der Förderung zu prüfen sind, und das war ja damals die Kondition dafür gewesen, dass überhaupt Frau von der Leyen als damalige Familienministerin diese staatliche Förderung von Kitas und diesen Förderungsanspruch durchsetzen konnte. Also hatten wir schon mal eine Ausgangslage, die politisch in eine bestimmte Richtung zeigte. Aber es gab diese unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Koalition und da war am Ende nach einer Abwägung aller Gesichtspunkte und der Verhandlungen genau der Stand wie auch in dieser Koalition, dass letztendlich politisch es vollkommen umstritten gewesen ist und am Ende dann die Weichen in Richtung Betreuungsgeld gestellt wurden und jetzt die Überprüfung beim Bundesverfassungsgericht bleibt.
Klein: Abschließend noch kurz, wir haben noch eine halbe Minute ungefähr. Das heißt, Sie haben auch Verständnis für die jetzige Familienministerin, die ja eigentlich dagegen war, das Gesetz dann aber mitgetragen hat, es aber nun in Karlsruhe nicht selbst verteidigen wird?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, das ist eine schwierige Situation. Die kommt politisch vor, wenn durch Wahlen andere Regierungskonstellationen entstehen. Und jetzt, denke ich, muss man auch gegenüber dem Verfassungsgericht sehr korrekt und fair Pro und Contra vortragen. Aber das Verfassungsgericht prüft ja von sich aus alle Argumente, die auch für eine Verfassungswidrigkeit sprechen können. Von daher kommt es da nicht auf jeden Vortrag an.
Klein: Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP zur heutigen Verhandlung in Karlsruhe über das Betreuungsgeld. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.