Marcel Anders: Frau Midler, warum ein Cover-Album mit Stücken der Andrews Sisters, Supremes oder Shangri-Las aus den 30er- bis 60er-Jahren?
Bette Midler: Ich stand schon immer auf den Gesang von Frauen, die miteinander harmonieren. Und es ist die Musik meiner Kindheit. Meine erste Single war von den Boswell Sisters, einer Girl Group aus New Orleans, die in den 20ern und 30ern aktiv und ziemlich anspruchsvoll war - mit Modulationen, Tempowechseln und tollen Begleitmusikern. Selbst wenn sie heute weitestgehend vergessen sind: Ich erinnere mich noch gut an sie.
Anders: Bedeutet dieser Blick zurück auch, dass Sie mit dem aktuellen Musikgeschäft und der heutigen Popkultur nicht wirklich viel anfangen können?
Midler: Es fühlt sich so an. Und das ist eine Entwicklung, die mit dem Internet und den sozialen Medien zusammenhängt - wo sich täglich alles ändert. Das muss auf ein vernünftiges Maß zusammenschrumpfen, weil das Angebot viel zu inflationär und schnelllebig ist.
Außerdem halte ich es für keine gute Idee, dass Musik als etwas Kostenloses erachtet wird - als etwas, das man nicht bezahlen muss. Denn das sorgt dafür, dass Musiker nicht mehr in der Lage sind, ihre Familien zu ernähren und ihre Rechnungen zu bezahlen. Von daher müssen sie sich eine andere Profession suchen und können Musik höchstens noch in ihrer Freizeit machen. Was eine gefährliche Entwicklung ist.
Ich habe keine Ahnung, wo das hinführt. Aber ich weiß, dass sich da eine Menge Leute Sorgen machen - gerade Komponisten und Songwriter, die von diesen Onlineportalen regelrecht ausgenommen werden. Das ist ja der Grund, warum sich Taylor Swift entschieden hat, Spotify zu verlassen - weil ihre Musik da fast verschenkt wurde. Und das muss sich schnellstmöglich ändern, wobei eigentlich der Gesetzgeber auf den Plan treten sollte. Leider kümmert sich unsere Regierung nicht darum. Entweder, weil sie es nicht versteht - oder die Portale selbst nicht benutzt.
Anders: Bleiben talentierten Menschen, die Entertainer oder Musiker werden wollen, dann nur noch Castingshow-Formate wie American Idol? Ist das ein legitimer Weg, um eine Karriere zu starten?
Midler: American Idol "ist eine ziemlich langweilige Formel"
Midler: Das ist eine ziemlich langweilige Formel, die vielleicht für ein Jahr funktioniert, aber dann geht es darum, Originalität und Kreativität unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass man auf eigenen Beinen stehen kann. Woran fast alle scheitern, weil das Konzept gar nicht darauf ausgerichtet ist.
Und woran es noch mangelt, sind vernünftige Hallen und Klubs. Also Orte, an denen sich Newcomer profilieren und etablieren können, indem sie langfristige Engagements erhalten und lernen, wer sie sind, was sie können und wer ihr Publikum ist. Sie müssen ihre eigene Stimme finden, die entweder komisch oder tragisch ist.
Anders: Also wie Bette Midler, die Ihre Weltkarriere in den New Yorker Schwulenclubs der späten 60er begonnen hat?
Midler: Das war eine tolle Zeit: Die Stadt war völlig heruntergekommen und pleite, aber wahnsinnig kreativ. Im Sinne von: Es war lustig, es war verrückt, es wurde tolle Musik gemacht und es wurden Stars geboren. Was es heute nicht mehr gibt. Ich meine, wir haben tolle Restaurants und Luxusapartments für 25.000 Dollar pro Monat, aber das Künstlerische ist weg. Einfach, weil jeder, der kreativ war, die Stadt verlassen musste, weil er sie sich nicht mehr leisten kann. Was keine gute Entwicklung ist. Aber: Ich habe Vertrauen in die Jugend. Und ich weiß, dass Künstler immer Nischen und Schlupflöcher finden.
Anders: Und wie denken Sie über das moderne Hollywood? Wie hat sich das Filmgeschäft verändert?
Midler: Ich habe das Gefühl, dass es ein reines Kumpel-Ding geworden ist. Ein Klub für junge Männer, die sehr respektlos im Bezug darauf sind, was Frauen können und leisten. Denn obwohl die Innungen alles getan haben, um uns den Zugang zu Berufen wie Bühnenhelfern oder Kameraleuten zu erleichtern, gibt es längst nicht so viele weibliche Regisseure wie ich es mir wünschen würde.
Und was die Filmprojekte betrifft, die grünes Licht erhalten, so werden die meisten Entscheidungen von Männern getroffen, die für große Konglomerate arbeiten. Für sie sind die Studios nur ein Vehikel, um ihre Eitelkeit zu kultivieren. Von daher kümmern sie sich auch nicht um Qualität, sondern nur um Profit. Sprich: Sie befassen sich ausschließlich mit Comic-Helden und Comic-Action-Abenteuern. Also Batman, Superman und so weiter.
Midler: Noch nie ein schlimmerer Film als "Die grüne Laterne"
Dabei habe ich noch nie einen schlimmeren Film als "Die grüne Laterne" gesehen. Das war mit das Schrecklichste, was mir untergekommen ist. Deshalb bin ich heilfroh, dass es noch so etwas wie "Birdman" gibt - dieser Film über einen alternden Schauspieler, der mal ein Batman-Charakter war. Das ist einer der besten Streifen der letzten Jahre. Er macht sich über Leute lustig, die einen solchen Mist drehen - und er zeigt, wie schlecht diese Industrie für die menschliche Seele ist. Denn es tut wahnsinnig weh, erst ganz oben und plötzlich ganz unten zu sein.
Anders: Was bedeutet das für Sie? Haben Sie sich mit 69 aus dem Filmgeschäft zurückgezogen oder denken Sie darüber nach?
Midler: Ich schwanke noch. Es hängt davon ab, was ich morgens zum Frühstück hatte. Wenn ich mich gut fühle, wenn ich genug Schlaf hatte, nehme ich es mit jedem auf. Hatte ich nicht genug Schlaf, blase ich Trübsal. Von daher ist jeder Tag anders. Und ich habe ein kleines Aufmerksamkeitsdefizit - sprich: Ich lasse mich leicht ablenken.
Die einzige Konstante in meinem Leben sind meine Tochter, mein Ehemann und gutes Essen. Ich liebe gutes Essen! Und ich liebe es, zu lesen und meinen Kopf mit nutzlosen Informationen zu füllen. Der Rest kann meinetwegen den Bach runtergehen. Lass sie alle in der Hölle schmoren - aber bitte nicht in meiner Höhle. (lacht)
Anders: Aber sind Sie nicht im Gespräch für eine HBO-Serie über Sexsymbol Mae West?
Midler: Darüber verhandle ich gerade mit einem fantastischen Regisseur namens Billy Friedkin. Bislang gibt es noch kein Skript, aber ich denke, es könnte ziemlich lustig werden. Denn alle Bücher, die über Mae West geschrieben wurden, sind fantastisch. Wobei das spannendste sicherlich die Interviews mit Charlotte Chandler sind. Also reine Gesprächsmitschnitte, die kaum editiert wurden.
Da wird klar, dass sie wirklich einmalig war. Ein eigenwilliger aber auch eigenständiger Charakter, der seine Karriere selbst bestimmt und diesen Mae-West-Charakter erschaffen hat. Was nachhaltigen Einfluss auf die Kultur hatte. Denn sie war die erste wirklich sexuelle Person auf einer Leinwand. Also mit all den Doppeldeutigkeiten, die man gemäß dem damaligen Hays Code gar nicht einsetzen durfte. Das macht sie zur echten Pionierin.
Anders: Gibt es Parallelen zu Bathhouse Betty, wie Sie einst genannt wurden?
Midler: Na ja, auch ich habe alles getan, um mich zu amüsieren. Aber gleichzeitig habe ich wahnsinnig hart gearbeitet, um unter Musikern und Sängern akzeptiert zu werden, eine gute Show auf die Beine zu stellen, die Leute zum Lachen zu bringen und mir etwas aufzubauen. Genau wie Mae West habe ich eine Kunstfigur geschaffen, nämlich "The Divine Miss M." - eine Person, die nichts mit mir zu tun hat, aber auf eine lange Karriere zurückblicken kann. (kichert)
Anders: Nicht zuletzt dank richtig guter schmutziger Witzen?
Midler: Produkt einer strengen Erziehung
Midler: Absolut! Du musst in der Lage sein, immer einen rauszuhauen. Allerdings nicht als du selbst, sondern als diese Bühnenfigur. Hätte ich sie als ich selbst erzählt, hätte ich sie nie so gut hingekriegt - weil das nicht meiner Persönlichkeit entspricht.
Ich bin das Produkt einer strengen Erziehung, die zu der Zeit ganz normal war - und in meiner Kindheit gab es Dinge, die man nicht sagen durfte. Die Leute waren ganz allgemein sehr vorsichtig, wie sie sich präsentierten. Schließlich wollte niemand freiwillig in den Zeitungen landen oder als Schlampe, Trinker oder Junkie bezeichnet werden. Das konnte das Ende deines bürgerlichen Lebens bedeuten. Von daher waren alle etwas vorsichtiger.
Anders: Dabei haben Sie auf Ihrer letzten Deutschland-Tour für Schlagzeilen gesorgt, indem Sie das Publikum in den ersten Reihen mit den Worten beschimpft haben: "Ihr glaubt wohl, eure Scheiße stinkt nicht." Das war 1978 - und ziemlich heftig.
Midler: Oh ja! Ein Riesenspaß.
Anders: Aber auch Ihre letzten Gastspiele in unseren Breitengraden. Warum sind Sie nie wiedergekommen?
Midler: Das war tatsächlich das letzte Mal, dass ich in Europa unterwegs war. Wobei es nicht so ist, als würde ich mich verweigern - es hat nur nie geklappt. Wahrscheinlich, weil ich eine Tochter, eine Familie und ein Zuhause hatte und in den 80ern und 90ern einen Film nach dem anderen gedreht habe. Ich hatte dieses komplett andere Leben - und kein Verlangen, um die Welt zu reisen. Zumal ich nie verstanden habe, wie einige Kollegen zweieinhalb Jahre unterwegs sein können, um ein Album zu promoten. Also ich könnte das nicht länger als drei Monate machen, dann würde ich vor Erschöpfung kollabieren. Oder ich würde jemanden umbringen - oder jemand mich.
Anders: Vielen Dank für das Gespräch!
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