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Bildungspolitik in Polen
Protest gegen Reformpläne

Tausende Polen protestierten landesweit gegen die Pläne der Regierung, das polnische Bildungssystem komplett umzukrempeln. Sie fürchten, dass viele Schulen aus Spargründen geschlossen werden. Und etliche Direktoren durch Lehrer aus dem rechtskonservativen Regierungslager ersetzt werden.

Von Florian Kellermann |
    Lehrerproteste in Polen gegen die geplanten Reformpläne der rechtskonservativen Regierung, hier in Krakau, am 10. Oktober 2016
    Lehrerproteste in Polen gegen die geplanten Reformpläne der rechtskonservativen Regierung, hier in Krakau, am 10. Oktober 2016 (imago/Zuma Press)
    Slawomir Sikora ist Direktor des Gymnasiums Nummer 20 in Warschau. Eine Schule, die in den nächsten Jahren aufgelöst werden soll – als Teil der Schulreform, die die polnische Regierung plant. Doch obwohl er persönlich betroffen ist – es ist nicht allein die Auflösung seiner eigenen Schule, die ihn auf die Straße treibt:
    "Im staatlichen Schulsystem wird die Reform zu einem Chaos führen. Außerdem werden die verbliebenen Schulen wohl einsparen müssen. Ich fürchte, in den Klassen, in denen bisher 25 Schüler sitzen, werden es dann 30 oder noch mehr sein. Es wird kaum möglich sein, in kleineren Gruppen zu arbeiten oder den Unterricht auf bestimmte Schüler zuzuschneiden."
    Slawomir Sikora demonstrierte gestern mit anderen Lehrern, Schülern und Eltern gegen die geplante Reform, ähnliche Proteste gab es in ganz Polen, insgesamt 25.000 Menschen gingen auf die Straße.
    Regierungspartei PiS will das Schulsystem umbauen
    Die rechtskonservative Regierung der Partei PiS will das Schulsystem umbauen. Bisher folgen auf sechs Jahre Grundschule drei Jahre Gymnasium. Danach können die Schüler entweder auf ein allgemeinbildendes Lyzeum wechseln oder auf eine Berufsschule.
    Künftig soll der Zwischenschritt "Gymnasium" wegfallen. Nach acht Jahre Grundschule können die jungen Polen dann sofort aufs Lyzeum wechseln oder eine Berufsausbildung beginnen.
    Bildungsministerin Anna Zalewska begründet das so:
    "Die Schulbildung ist schlecht organisiert, das müssen wir ändern, so wollen das auch die Eltern. Denn sie wollen nach zwölf Jahren einen Absolventen, der ein hervorragender Student wird oder einen Arbeitsplatz findet. De facto bestehen ja schon jetzt die meisten Gymnasien in Schulverbänden, gemeinsam mit Grundschulen. Und an diesen Gymnasien erzielen die Schüler die besten Ergebnisse."
    Polnische Schüler liegen vor Briten und Deutschen im Pisa-Test
    Die Kritiker der Regierung halten dagegen, dass sich das aktuelle Schulsystem bewährt habe. Vor 16 Jahren wurden die Gymnasien eingeführt, heute schneiden die 15-Jährigen im Pisa-Test deutlich besser ab als damals. Sie liegen in allen getesteten Wissensgebieten vor den Gleichaltrigen in Großbritannien oder Deutschland.
    Es gehe der Regierung auch gar nicht um eine bessere Bildung, meint eine 65-Jährige, die auch zum Protest in Warschau gekommen ist:
    "Diese Regierung will einfach das ganze Land umkrempeln, in jedem Bereich, das ist ihre fixe Idee. Ich bin wegen meiner Enkel hier. Der Junge geht schon in die erste Klasse Gymnasium, mit einem mathematischen Profil, er ist sehr zufrieden. Aber was wird aus meiner Enkelin, die noch in die Grundschule geht? Sie gerät jetzt mitten das in das Chaos, das die Regierenden anrichten wollen. Das darf nicht passieren."
    Direktoren sollen ausgetauscht, Schulen geschlossen werden
    Die Vertreter des Lehrerverbandes ZNP, der die Proteste organisiert, haben eine Vermutung, warum die Regierung unbedingt die Reform anstrebt: Zum einen wolle die Regierung Schulen schließen und so an der Bildung sparen. Zum anderen: Wenn die Schulen umgruppiert würden, könne sie etliche Direktoren auswechseln. So würden mehr Lehrer, die der rechtskonservativen Regierungspartei PiS nahe stehen, in hohe Positionen kommen.
    Slawomir Sikora, Direktor des Warschauer Gymnasiums Nummer 20:
    "Die Regierung will die Schulen ideologisieren. Sie hat angekündigt, dass es mehr Geschichtsunterricht geben soll. Schon jetzt haben die Kuratoren, die für die Regierung die Schulen kontrollieren, mehr Macht bekommen. Auch die Inhalte des sogenannten Erziehungsunterrichts, den es an polnischen Schulen gibt, sollen künftig überwacht werden. Mit anderen Worten: Kritisches Denken ist nicht mehr gefragt."
    Dass die PiS eine Bildung möchte, die Kinder auch zum Patriotismus erzieht, haben Regierungsvertreter immer wieder deutlich gemacht.
    Mit den aktuellen Reformplänen habe das aber nichts zu tun, beteuert Bildungsministerin Anna Zalewska. Ihr gehe es um mehr selbstständiges Denken:
    "Die polnischen 15-Jährigen sind sehr gut darin, Inhalte wiederzugeben. Aber es fällt ihnen schwer, selbstständig Probleme zu lösen."
    Sie sei zu weiteren Gesprächen mit Lehrervertretern bereit, versicherte die Ministerin.