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Bildungszeit Baden-Württemberg
Erste Bilanz nach einem Jahr

Baden-Württemberg hat vor einem Jahr die Bildungszeit eingeführt, also eine Art Bildungsurlaub, wie es ihn auch schon länger in anderen Bundesländern gibt. Man müsse das noch viel mehr bei den Arbeitnehmern bekannt machen, forderte Gabriele Frenzler-Wolf, stellvertretende Vorsitzende des DGB Baden-Württemberg, im Deutschlandfunk.

Gabriele Frenzer-Wolf im Gespräch mit Michael Böddeker | 27.06.2016
    Diese Studentin interessiert sich momentan weit mehr für ihr Smartphone als für die Inhalte ihres Seminars.
    Mit der Bildungszeit können Arbeitnehmer auch Weiterbildung in Baden-Württemberg während der Arbeitszeit in Anspruch nehmen. (dpa / picture alliance / Jens Kalaene)
    Michael Böddeker: Für viele beginnt ja in diesen Tagen die Urlaubszeit. Urlaub, das muss aber nicht zwangsläufig Sonne, Strand und Meer bedeuten, es gibt ja auch noch den Bildungsurlaub – und den können Arbeitnehmer mittlerweile in fast allen Bundesländern nehmen, um sich weiterzubilden. Meist sind das bis zu fünf Tage im Jahr – je nach Bundesland heißt das auch mal Bildungsfreistellung. In Baden-Württemberg heißt es Bildungszeit. Und dort gibt es diese Möglichkeit erst seit einem Jahr. Ein landesweites Bündnis hatte sich dafür stark gemacht. Heute zieht das Bündnis Bildungszeit Bilanz. Mit dabei ist auch der Deutsche Gewerkschaftsbund.
    Darüber habe ich mit Gabriele Frenzer-Wolf gesprochen, der stellvertretenden Vorsitzenden des DGB Baden-Württemberg. Sie habe ich gefragt, wie denn die erste Zwischenbilanz nach einem Jahr ausfällt.
    Gabriele Frenzer-Wolf: Also das Gesetz ist ja noch relativ neu, auch die Bildung für ehrenamtliche Tätigkeiten gibt es erst seit einem halben Jahr, seit dem 1. Januar. Aber wir können schon jetzt feststellen, dass es eine starke Nachfrage nach Seminaren gibt. Wir haben insgesamt aktuell 470 Bildungseinrichtungen im Land als Träger der beruflichen und politischen Bildung anerkannt. Und jetzt auch aktuell 22 anerkannte Träger von Qualifikationen für ehrenamtliche Tätigkeiten. Wir haben uns also gut aufgestellt, auch die Verbände haben sich gut aufgestellt. Dennoch braucht es einige Jahre, bis das Gesetz ganz in der Breite wirken kann, denn es hat sich noch nicht bei allen Beschäftigten herumgesprochen, dass sie einen Anspruch auf Bildungszeit haben. Also das braucht noch Zeit. Und es braucht auch Zeit, dass es selbstverständlich wird, im Berufsalltag Bildungszeit zu nehmen.
    Böddeker: Können Sie denn was dazu sagen, wie viele Menschen ungefähr die Bildungszeit in Baden-Württemberg nutzen?
    Frenzer-Wolf: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir keine seriösen Zahlen zu Teilnehmerzahlen oder Teilnahmequoten machen, das ist einfach noch viel zu früh. Man kann es im Grunde auch nicht mit anderen Bundesländern vergleichen, weil eben Baden-Württemberg das einzige Bundesland mit Ehrenamtsqualifizierung ist.
    Böddeker: Aber Sie haben auch gerade schon gesagt, viele wissen womöglich noch gar nicht davon, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt. Wie könnte man die informieren?
    Frenzer-Wolf: Wir werden als DGB eine Kampagne machen, sprechen auch mit dem Bündnis darüber, dass wir das breit bekannt machen können – das halten wir unbedingt für notwendig. Wir werden aber auch mit der Landesregierung drüber sprechen. Im Gesetz ist ja vorgesehen, dass man das nach vier Jahren evaluiert – die grün-schwarze Koalition will es bereits jetzt nach zwei Jahren evaluieren –, und wenn man was vernünftig evaluieren will, dann muss man dafür sorgen, dass die Leute auch davon wissen, damit sie es in Anspruch nehmen. Ich denke, dass auch die Landesregierung da in der Verantwortung ist, da etwas dafür zu tun.
    Böddeker: Sie sagen es, es war bisher gedacht, dass es nach vier Jahren evaluiert wird, also im Bildungszeitgesetz, jetzt heißt es im Koalitionsvertrag, dass es nach zwei Jahren schon evaluiert werden soll. Und es gibt auch Überlegungen dahingehend, das Ganze vielleicht zu verändern. Arbeitgebervertreter hätten es vielleicht lieber, wenn dieser Bildungsurlaub vor allem sich auf die betriebsbezogene Fortbildung konzentriert, auch die baden-württembergische Wirtschaftsministerin hat sich dahingehend geäußert. Also befürchten Sie, dass jetzt an dem Modell Bildungszeit große Änderungen vorgenommen werden?
    Frenzer-Wolf: Ergebnisoffen evaluieren
    Frenzer-Wolf: Nein, das befürchte ich jetzt erst mal nicht. Die Äußerung der Wirtschaftsministerin, da würde ich jetzt nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Sie ist ja jetzt erst kurz im Amt. Und wir werden mit ihr in den nächsten Tagen das Gespräch suchen und mit ihr ins Gespräch kommen. Das Bildungszeitgesetz muss ergebnisoffen evaluiert werden. Man muss gucken, funktioniert das, an welchen Stellen muss man nachsteuern. Wir halten diese Frist, die im Gesetz vorgesehen ist, von vier Jahren für sehr sinnvoll, weil das einfach lange Zeit braucht, bis das wirklich in der Breite von den Beschäftigten in Anspruch genommen werden kann. Das geht nicht von heute auf morgen. Ich finde, einen Zweijahreszeitraum dafür außerordentlich kurz. Und da müssen wir jetzt gucken, dass es wirklich bekannter gemachter wird.
    Böddeker: Und für diejenigen, die uns jetzt zuhören und die vielleicht bisher noch nicht von dieser Möglichkeit wussten, wie stellt man es denn als Arbeitnehmer an, wenn man diese Bildungszeit in Anspruch nehmen möchte?
    Frenzer-Wolf: Da gibt es eine Homepage vom Land, auf der befinden sich alle Informationen. Dann muss man einen Antrag beim Arbeitgeber stellen, man muss nachweisen, dass der Bildungsträger zertifiziert ist, dass er anerkannt ist. Arbeitgeber können leicht nachgucken auf dieser Liste, auf der Homepage des Landes, welche Bildungsträger zertifiziert sind. Und wenn der Bildungsträger zertifiziert ist, dann können Sie diesen Anspruch auch einlösen.
    Böddeker: Und hat man tatsächlich einen Anspruch darauf. Oder ist man auch vom guten Willen des Arbeitgebers abhängig?
    Frenzer-Wolf: Nein, man hat einen Anspruch darauf. Es können natürlich nicht alle gleichzeitig gehen im Betrieb – also das ist eine Möglichkeit, wo der Arbeitgeber sagen kann, nee. Es gibt eine Überforderungsklausel im Gesetz, danach kann der Arbeitgeber sagen, zehn Prozent und nicht mehr. Ein sehr großer Wermutstropfen ist für uns, dass die Beschäftigten in Kleinbetrieben ausgenommen sind. Das sind Betriebe bis zu zehn Beschäftigten, da kann der Arbeitgeber von vornherein sagen, nee.
    Böddeker: Und wenn man jetzt in einem Betrieb mit mehr als zehn Mitarbeitern ist und das in Anspruch nehmen möchte, welche Arten von Weiterbildung gibt es denn dann, also was kann man da alles lernen und machen?
    Frenzer-Wolf: Wir haben drei Arten von Weiterbildung: Das ist erst mal die berufliche Weiterbildung, und das Wichtige ist, es ist zu unterscheiden von der betrieblichen Weiterbildung. Die betriebliche Weiterbildung liegt im Interesse des Arbeitgebers, die berufliche Weiterbildung nach dem Bildungszeitgesetz, die liegt im Interesse des Arbeitnehmers, das heißt, die Beschäftigten entscheiden, in welche Richtung möchte ich mich weiterentwickeln, möchte ich mich weiterqualifizieren – das kann ja bis hin zum Berufswechsel führen –, und da ist man natürlich auch am motiviertesten. Dann haben wir neben der beruflichen Bildung auch die politische Bildung. Und ich glaube, das ist jetzt gerade in Zeiten eines erstarkenden Rechtspopulismus ein sehr wesentlicher Punkt. Ja, und dann haben wir noch Qualifizierung für das Ehrenamt. Das Ehrenamt muss sich auch professionalisieren, wenn Sie an große Vereine beispielsweise denken. Das kann man nicht mehr alles aus dem Hemdsärmel schütteln, sondern auch da braucht man Bildung. Und das kann man mit der Bildung für das Ehrenamt umsetzen.
    Böddeker: Sagt Gabriele Frenzer-Wolf, die stellvertretende Vorsitzende des DGB in Baden-Württemberg. Mit ihr habe ich über die Bildungszeit gesprochen, eine Form des Bildungsurlaubs, den es in Baden-Württemberg jetzt ja seit einem Jahr gibt. Heute wurde eine erste positive Bilanz gezogen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.