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Birthday Letters

Ted Hughes:

Alexander von Bormann |
    - Der Tiger tötet nicht Ausgewählte Gedichte. Englisch-deutsch. Auswahl, Übertragung und Nachwort von Jutta und Wolfgang Kaußen. Insel, 1998, 366 Seiten Preis: 48 Mark

    - Birthday Letters Gedichte. Deutsche Erstausgabe Deutsch von Andrea Paluch und Robert Habeck. Frankfurter Verlagsanstalt, 1998, 206 Seiten Preis: 38 Mark

    Wer ist Ted Hughes, der hierzulande vor allem als Ex-Ehemann von Sylvia Plath firmiert, eigentlich? Der populäre Sammelband der Penguin-Taschenbücher "British Poetry" nennt ihn "die explosivste poetische Begabung im Nachkriegs-England". In den 50er und 60er Jahren wirkte er polarisierend, weil er ungeniert, ja betont an alten poetischen Redeweisen und Techniken festhielt, welche seine Generation längst erledigt fand, und weil er zugleich kühne Bild-Verschmelzungen riskierte. So läßt er im frühen Gedicht "Gog" einen Ritter aus Eisen "heraus aus der klaffenden Wunde der Erde" galoppieren:

    "Der blutbekreuzte Ritter, der Heilige Streiter, eisenver mummt, der Seraph des öden Abgrunds, Galoppiert im Mondlicht entlang dem Kamm der Erde. (...) Der Ritter aus Eisen, auf dem Roß, behuft mit Schamlippen aus Eisen, Galoppiert über den Schoß, der keinen Anspruch stellt, der aus Stein ist. Seine Waffen glitzern unter den Lichtern des Himmels. Er folgt seinem Kompaß, der Lanzenspitze, dem Gewehrvisier, hinaus, Den Fängen des Grals ... entgegen..."

    Aus seiner Herkunft hat Hughes sozusagen ein Programm gemacht: Er wurde 1930 in Mytholmroyd in Yorkshire geboren, einer sagenumwobenen, altertümlichen Gegend, in die sich das letzte keltische Königreich Englands zurückgezogen hatte. Ein wenig sieht er sich auch als Magier und Schamane. Er thematisiert Krieg, Opfer, Untergang, aber auch Lebensvorgänge wie Geburt, Töten, Leiden, dazu immer wieder Landschaften und Tiere. Er wendet sich - durchaus ein wenig in der Pose des Gralsritters - gegen die modischen Dichter, gegen den Hang zu Stadtkultur, Klassik und Gemütlichkeit:

    "Was diese Dichter gemeinsam hatten, war, glaube ich, die Nachkriegsstimmung, daß man jetzt genug gehabt hätte (...) genug von der Rhetorik, genug vom sanften Druck einer übereifrigen Mutterbrust, genug von den dunklen Göttern, genug vom Es, genug von den Engelsmächten und den heroischen Bemühungen um die Erschaffung neuer Welten. Sie hatten gesehen, wie all diese sich in Todeslager und Atombomben verwandelten. Alles, was sie wollten, war, wieder in ihre Zivilkleidung zu schlüpfen und nach Hause zu Frau und Kind zu kommen, und für den Rest des Lebens sollte zwischen der netten Zigarette und dem netten Blick auf den Park nichts mehr kommen. Der Zweite Weltkrieg war ja schließlich eine kolossal negative Offenbarung (...) es hat sie verhandlungsunfähig gemacht gegenüber allem, was nicht das Gemütlichste vom Gemütlichen war. Sie wollten es anheimelnd haben (...). Nun ja, ich bin ein bißchen später gekommen. Ich hatte noch nicht genug gehabt. Ich war ganz offen, mich mit all dem anzulegen, was da draußen vor sich ging."

    Diese Streitbarkeit und Bereitschaft zur Ungemütlichkeit ist Hughes menschlich und dichterisch nicht immer bekommen. Er hat es nicht leicht gehabt, als seine gestorbene Frau Sylvia Plath zur Ikone der Frauenbewegung erhoben wurde: Regelmäßig wurden seine Lesungen gestört, und sein Name wurde vom Grabstein von Sylvia Plath-Hughes gekratzt. Hughes ließ sich nicht provozieren, hat ihrem Werk gedient, den Kindern und ihrem Andenken. Sein Band "Birthday Letters", der diese Beziehung lyrisch nachzeichnet, gehört zu den ganz großen Gedichtbüchern unserer Jahre. Hughes, der noch zwei Jahre braucht, um siebzig zu werden, ist so kraftvoll tätig wie eh und je: als Dichter und Übersetzer, als Kinderbuchautor, Anthologist, Essayist, Wissenschaftler. Für seine originäre Bearbeitung der Ovidschen "Metamorphosen" hat er im Januar dieses Jahres einen der wichtigsten englischen Literaturpreise bekommen, den Whitbread Award. Zweimal hat Hughes seine Gedichte in Sammlungen zusammengefaßt, und diese bilden die Grundlage für die Auswahl von Jutta und Wolfgang Kaußen, wie selbstverständlich auf Englisch und Deutsch. "Der Tiger tötet nicht" - der Titel ist dem sehr charakteristischen Gedicht "Tiger-Psalm" entnommen. Darin wird das Töten der Maschinengewehre dem des Tigers gegenübergestellt, und so wird die Folgerung verständlich, auch wenn genug Expressionismus im Spiele bleibt. Das Gedicht endet:

    Der Tiger Tötet Mit der Kraft von fünf Tigern, tötet außer sich. Die Maschinengewehre Gestatten sich ein Kichern. Sie vernichten den Irrtum Mit einer Hin-und-her-Dialektik - Hörn auf dem Punkt auf zu reden. Der Tiger Tötet wie der Sturz einer Klippe, ein Herz und eine Seele mit der Erde, Himalaya unterm Lid, Ganges unterm Fell -

    Tötet nicht.

    Tötet nicht. Der Tiger segnet mit einem Fang. Der Tiger tötet nicht, öffnet vielmehr einen Pfad, Weder zum Leben noch zum Tod. Der Tiger im Tiger: Der Tiger der Erde. O Tiger! O Geschwister der Viper! O Bestie in Blüte!

    Das ist in der Tat keine gemütliche Lyrik, geschweige denn "das Gemütlichste vom Gemütlichen". Eine solche Verherrlichung des Tigers, die selbst die Tötung noch umbiegt in einen Segen, muß Anstoß erregen und macht verständlich, daß man Ted Hughes den "Dichter der Gewalt/poet of violence" genannt hat. Wenn man geistesgeschichtlich reden will, kann man hier einen Impuls von Nietzsche her wahrnehmen, der über Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain auch die englische Kultur beeinflußt hat. Die Tiergedichte von Hughes haben regelmäßig einen anarchisch-kulturkritischen Gestus. Sein Jaguar-Gedicht geht so über Rilkes "Panther" deutlich hinaus; es endet: Nicht abgestumpft ist er - Blind in Flammen zu stehn genügt seinem Aug, Vom Pulsschlag im Hirn ist sein Ohr ertaubt - Prallt von Gittern zurück. Doch ist ihm sein Zwinger nicht mehr

    Als dem Visionär sein Gehäus: Wildnisse an Freiheit greift sein Lauf. Die Welt rollt dahin unterm langen Schub seiner Ferse. Überm Käfigboden wachsen Horizonte auf.

    Es ist, wie man vernehmen kann, ein hoch poetisches Programm, das auf eine mythisch verklärte Natur zurückgreift und sich um die Ideologiekritik seit dem 19. Jahrhundert nicht kümmert. Die Einfühlung in machtvoll auftretende Tiere meint eine Absage an unsere schwächlich gewordene Kultur, und das Pathos der Verse ist zu groß, als daß man sie kritisch-ironisch lesen könnte. Das Falken-Gedicht "Hawk Roosting" aus dem Tiger-Band demonstriert dieses Bekenntnis zur Naturmacht, die über alle Zeiten der Geschichte hinausreicht:

    Falke, ruhend Ich sitze im Mastkorb des Walds, die Augen geschlossen, Nichtstun, kein verfälschender Traum Zwischen meinem Klauenkopf und den Klauenfüßen: Oder im Schlaf geübtes perfektes Töten und Fressen.

    Die Annehmlichkeit der hohen Bäume! Die Spannkraft der Luft und die Strahlen der Sonne Sind mir von Vorteil; Und das Gesicht der Erde ist offen für meine Aufsicht.

    Meine Füße schließen sich um die rauhe Rinde. Die ganze Schöpfung hat es gebraucht, Meine Füße zu schaffen, eine jede meiner Federn: Nun halte ich Schöpfung in meinem Fuß

    Oder flieg auf und drehe alles langsam um - Ich töte wo ich will, denn alles ist mein. Da sind keine Wortklaubereien in meinem Körper: Kopfabreißen ist meine Manier -

    Die Zuteilung von Tod. Denn meine einzige Flugbahn geht direkt Durch die Knochen des Lebenden. Keine Beweise behaupten mein Recht:

    Die Sonne steht hinter mir. Nichts hat sich geändert seit meinen Anfängen. Mein Aug hat keinen Wandel erlaubt. Ich werde dafür sorgen, daß es so bleibt.

    Das ist eine pseudosachliche Sicht auf Natur, die durch perfektes Töten und Fressen bestimmt scheint. Wir kennen diese Sicht etwa auch von Ernst Jünger. Die Emphase, die pathetische Einfühlung, kommt an ihre Grenze, wenn kühl und knapp festgestellt wird: "Kopfabreißen ist meine Manier." Vielleicht ist es ja sogar Ironie, wenn der Falke und seine "Zuteilung von Tod" als Gipfelpunkt der Schöpfung dargestellt werden. Aber man täusche sich nicht! Der Falke erscheint (wie die anderen Tiere bei Hughes) als Gegenpol der Reflexion - "kein verfälschender Traum" zwischen Kopf und Fuß; Fortinbras ist ausersehen, nicht Hamlet, und die Intellektuellen haben das Nachsehen: "Da sind keine Wortklaubereien in meinem Körper."

    Die Leistung der Übersetzer tritt bei den mythisch eingefärbten Texten und ihrem altertümlich kunstreichen Vokabular besonders hervor. Da gibt es Hexen mit allem Drum und Dran in diesen Gedichten, aber auch Kleopatra und die Uräusschlange, das Heulen der Wölfe, die Erntemondin, klirrende Ritter oder eine Biene, "gewitzt wie Einstein". Häufig arbeitet Hughes mit der Personifikation, ja der Mythisierung, Techniken, die bei uns seit den Nazis und den Naturdichtern einer gewissen Schonzeit bedürfen. Die Denkfigur "Mann, du alles auf Erden", die z.B. Gottfried Benn gern bedichtet hat, gehört irgendwie dazu.

    Hughes' Hinblicke, auch auf Tiere und Pflanzen, setzen den Zusammenhang von Sprache, Wirklichkeit, Reflexion und Selbstsein voraus. Und doch macht er dieses klassische Identitätskonzept stets wieder fraglich, bekommt bei ihm die Absage an den Anderen als ein "einfaches Verborgensein" des Ich in sich selber geradezu philosophischen Rang. Sein Gedicht "Taubstummenschule" endet: Ihre Körper waren wie ihre Hände Behender als Körper, wie die Hämmer eines Klaviers, Von marionettenhafter Lebendigkeit, ein einfacher mechanischer Vorgang, Hieroglyphenleer, Eine stilisierte Aufschrift, Die annähernd richtige Signale zusammenbuchstabierte,

    Während ihr Ich hindurchsah, heraus aus dem Gesicht einfachen Verborgenseins, Einem nicht nur taubstummen Gesicht, einem Gesicht im Dunkel, einem unbewußten Gesicht, Einem Gesicht, das einfach nur die Außenhaut des Ichs war: verborgen und für sich. In seinen Gedichten für Sylvia Plath hat Hughes diese Denkfigur weiter entwickelt, an ihr, die sein Lebensstoff wurde, hat er unaufhörlich gearbeitet. Der Gedichtband "Birthday Letters" war die Sensation des englischsprachigen Büchermarkts in diesem Jahr. Die Frankfurter Verlagsanstalt hat ihn schnell auf Deutsch vorgelegt, doch die Eile ist der Übersetzung nicht anzumerken. Andrea Paluch und Robert Habeck haben die Mischung von Alltagssprache und hochpoetischen Formeln, Bildern, Gesten gut bewahren können. Der englische Text ist leicht greifbar, und da die Gedichte einen deutlich erzählerischen Gestus haben, ist die Entscheidung für die bloß deutsche Textgestalt vielleicht vertretbar.

    Sylvia Plath und Ted Hughes galten als das Traumpaar der jungen englischsprachigen Lyrik, als exzentrisch, grandios, vielversprechend. Sie heirateten 1956. Die folgenden Jahre verbrachte das Paar in den USA, 1959 ging es nach England, wo ihm zwei Kinder geboren wurden. Regelmäßig kam es zu Ehekrisen, dann zur Trennung und bald darauf, 1963, zum Selbstmord von Sylvia Plath. Wie selbstverständlich, wurde sie als Opfer ihres Mannes gesehen. Daß diese verkürzende Lesart nicht aufgeht, zeigen die Gedichte der "Birthday Letters" mit jeder Zeile. Äußerst vornehm stellen sie das Gewicht des eigenen Gefühls, des ersten Zeugen gegen alle simplifizierenden Deutungen. Das heißt: sie stellen gar nicht, sie sind, und sie sind so genau und so ernsthaft, daß man sie nicht als Plädoyer für was auch immer lesen kann - sie sind als Dichtung in einem strikten Sinne über alle Absicht hinaus.

    Die Gedichte erzählen die Geschichte dieser stürmischen und stets gefährdeten Beziehung. Sie erzählen sie mit großer poetischer Kraft und hoher Sensibilität, mit so viel Takt, Schmerz und Wissen, daß man dieses Zeugnis als ein endgültiges nehmen darf.

    Die Gedichte wenden sich alle an das Du und gehen so sehr auf es ein, daß man fast erschrickt, wenn das Ich einmal energischer hervortritt. Die Haltung ist die des Orpheus: Die Geliebte ist verloren, und er hat sie nicht retten können. Jedes Gedicht beschwört eine gemeinsame Szene und endet mit dem ausdrücklichen Hinweis aufs Vorbei - so wird jeder Text zu Gegenwart, Erinnerung und Abschied zugleich, zu einer schmerzlichen Verneigung - voll eines Wissens, das damals nicht gewußt war. Daß einige der Szenen schon aus Texten von Sylvia Plath bekannt sind, macht die Worte von Hughes nicht etwa sekundär, sondern fügt ihnen einen Nachhall, genauer Vorhall hinzu, läßt die Texte mehrdimensional werden. Wie sehr er in die Ängste der geliebten Frau hineinhorchen kann, zeigt das Gedicht "Das blaue Flanellkostüm". Darin geht es um eine Lehrprobe am College, für jeden Kandidaten eine heikle Situation, für Sylvia Plath besonders:

    (...) Was für ein Schmelzofen Aus Augen auf dich wartete, um dein Metall zu prüfen. Ich beobachtete Die merkwürdige Steifheit einer Schaufensterpuppe, das Elend Deines blauen Flanellkostüms, seine Zwangsjacke, seine häßliche, Halbherzige Annäherung an deine Vorstellung Von Schicklichkeit, in die du behutsam zu gleiten hofftest, Und dein Schrecken darin. Und die gebräunte, Beinah grünliche Farbe deines Gesichtes Verblaßt bis auf die Knochen, deine Narbe klobig, dein geflochtener Kopf pathetisch klein.

    Du wartetest, Wußtest, daß du hilflos warst in der Pinzette Des Lebens, das dich begutachtete, und ich sah Die geschundenen Nerven, die unheilbare Wunde im Gesicht, Die alles war, was du an Mut hattest. Ich sah, daß das, was dich ergriff, während du so nipptest, Die Schrecken waren, die dich schon einmal getötet hatten. Nun sehe ich, ich sah das einsame Mädchen dasitzen, Das sterben würde. Dieses blaue Kostüm, Eine wahnwitzige Hinrichtungsuniform, Überlebte deine Exekution. Ich saß da, still geworden, Unfähig zu ermessen, was dich still gemacht hatte, Während ich dich beobachtete, wie ich nun für immer Still bin, mich für immer So kurz an deinem offenen Sarg verneige.

    Beinahe alle Schlüsse der Gedichte in "Birthday Letters" sind als solche Verneigungen zu verstehen, als Hinweise auf die Gegenwart des Todes in diesem Leben. "Ich erkannte nicht", heißt es in einem der Schlüsse, "Das Zucken in deinem Hirn, das Verlangen, welches später/ Das Szenario unseres Scheitern in eine Geschichte verwandelte."

    Darin ist auch eine Kritik an der Ästhetisierung des Scheiterns angedeutet, wie überhaupt viele Gedichte einen leisen Vorbehalt, ein gewisses Unverständnis gegenüber hochgespannten Ich-Zuständen anmelden. Jedenfalls sprechen die "Birthday Letters" deutlich auch eine eigene Sprache, beharren darauf, nicht nur Diener im Tempel des Du zu sein:

    Ich blicke auf - wie um deiner Stimme zu begegnen Mit all ihrer drängenden Zukunft, Die über mich hereinbrach. Blicke dann zurück Auf das Buch mit den gedruckten Worten. Du bist zehn Jahre tot. Es ist nur eine Geschichte. Deine Geschichte. Meine Geschichte.

    Das Humanum dieser Gedichte ist der Frage-Gestus. Nichts gilt als ausgemacht - die Abhängigkeit vom Vater, der Ehrgeiz und die Depressionen, die Triumphe und Glücksmomente, die oft vergeblichen Beschwörungen der Angst: das erscheint stets von seinem Rande her. Die hohe Sprach- und Verskunst von Ted Hughes setzt die Bilder und Zeichen so, daß alles immer gleichzeitig gegenwärtig und gleichzeitig vergangen ist. Es sind große Erzählgedichte dabei, aber auch wieder quasi-mythische Konstruktionen, und gelegentlich schwer zu übersetzende Lieder. Fast immer haben die Gedichte einen gegenständlichen Ansatz - das Pflücken von Osterglocken, einen von Sylvia Plath gefertigten Flickenteppich, einen Tisch, Bienen oder auch Fallenstellerei, die Erinnerung an ihre Hände, an ihre Finger, deren Abdrücke: die Texte. Damit geben sie dem Grundgefühl der Plath nach, der Angst, alles könne ihr jederzeit genommen werden; die wuchs sich regelmäßig zur Panik aus und besetzte alle Gegenstände. Immer neu setzt die Erinnerung an, immer wieder brechen die Texte auch ab, treffen sie auf die Schwelle, die der Tod dem Vergegenwärtigen setzt. Die Lyrik als "abgebrochene Rede" erscheint so als das gültige Medium dieses dichterischen Versuchs, etwas zu bewältigen, was sich nicht bewältigen läßt. Ganz offensichtlich auch 35 Jahre später nicht. So endet das Buch mit jenem Grausamkeitsgestus, der Hughes so umstritten gemacht hat.

    Die Hunde fressen eure Mutter

    Das ist nicht eure Mutter, sondern ihr Körper. Sie sprang aus unserem Fenster Und stürzte dorthin. Das sind keine Hunde, Die Hunde zu sein scheinen, Und an ihr zerren. Erinnert ihr euch an den mageren Jagdhund, Der den Weg entlanglief, stolz die baumelnde, blutige Luftröhre und Lunge eines Fuchses In der hochgereckten Schnauze? Nun seht, wer Am Ende der Straße auf alle viere fällt Und auf eure Mutter zuhetzt, An ihren Überbleibseln mit den Lippen, Geifernden Lefzen, Herumzerrt. Versucht doch, sie zu beschützen - Sie werden euch in Stücke reißen, Als wärt ihr ein Teil von ihr. Sie werden jeden Bissen von euch so saftig finden Wie sie. Zu spät Zu retten, was sie einmal war. Ich begrub sie, wo sie hinstürzte. Ihr spieltet an ihrem Grab. Wir legten Bilder Aus Seemuscheln und großen geäderten Kieseln, Die wir aus Appledore mitgebracht hatten, Als wären wir sie. Aber dann kam eine Art Hyäne gierig angeschlichen. Sie buddelten sie aus. Nun weiden sie sich An der reichen Beute Ihres Leichnams. Ja, Zerfleischen das Gesicht auf ihrem Grabstein, Verschlingen den Grabschmuck. Fressen selbst die nackte Erde. Laßt sie zurück. Überlaßt sie den Leichenfledderern. Geht und verhüllt Eure Köpfe mit den verschneiten Flüssen Des Brooks Range. Bedeckt Eure Augen mit den wirbelnden Winden Der Nullarbor Plains. Laßt sie Mit ihren Stummelschwänzen wackeln, das Fell sträuben und Sich über ihrem Gelage erbrechen. Denkt sie euch lieber Mit heiliger Sorgfalt auf einem hohen Gerüst aufgebahrt, Auf daß Geier Sie zurück in die Sonne tragen. Stellt euch vor, Diese knochenzermalmenden Mäuler seien Mäuler, die die Arbeit des Käfers tun, Der sie zurück in die Sonne rollen wird.

    Das ist nun wirklich ein grausames Gedicht, und wenn man es wörtlich nimmt, ließe sich sagen: Hier läßt Hughes die Maske fallen und seinen aufgestauten Aggressionen freien Lauf. Wir kennen diesen Gestus von Menschen, von Autoren, die ihren Eltern das Versagen nicht verzeihen können: etwa ins KZ gekommen oder vergewaltigt oder getötet worden zu sein. Also tötet man sie im Text noch einmal. Gewiß ist das irrational. Aber doch eine Art Bewältigung, jedenfalls offen für Gefühle, die unsere Tabus unterlaufen. So würde man reden müssen, nimmt man das Gedicht wörtlich. Und das muß man zunächst immer tun. Es ist aber auch plausibel, diesen ungeheuren Ausbruch am Ende von so viel treuem, sensiblem, poetischem Eingedenken nicht auf das Verhältnis der beiden zu beziehen, sondern in der Meute der Hyänen und Hunde die Journalisten und Kritiker beschimpft zu sehen, die aus dem Tod der Sylvia Plath ihren Gewinn gezogen haben: "Das sind keine Hunde, die Hunde zu sein scheinen." Sylvia Plath sozusagen als vorangegangene Lady Diana, als posthumes, stets wieder exhumiertes Opfer. Daß sich die Leichenfledderer dann über ihrem Mahl erbrechen sollen, ist ein Fluch, dessen Schärfe von der Hilflosigkeit zeugt, die Hughes' Erfahrung war. Gegen diese Meute ist nicht anzukommen: "Versucht doch", ruft er den Kindern zu, "sie zu beschützen - Sie werden euch in Stücke reißen, Als wärt ihr ein Teil von ihr." Das ist die Erfahrung, die Hughes jahrzehntelang zu teil wurde. Und es spricht für ihn, daß er diese Zugehörigkeit, "ein Teil von ihr zu sein", trotzdem nie verleugnet hat. Daß er zugleich ein Anderer ist, mit eigener Herkunft, eigener Stimme, eigenster Machart, spricht aus fast jeder Zeile seiner Gedichte. Und daß die nun ausführlich zugänglich sind, ist das große Verdienst dieser beiden Ausgaben.