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Bischof Juliusz Bursche
Exhumierung eines polnischen NS-Opfers bewegt Polen

Ein Deutscher und ein Pole haben sehr wahrscheinlich die Überreste des polnischen evangelischen Bischofs Juliusz Bursche auf einem Berliner Friedhof entdeckt. Er war zwei Jahre im KZ Sachsenhausen interniert, bevor er 1942 starb. Die Urne galt als verschollen, jetzt soll sie exhumiert werden.

Von Sebastian Engelbrecht |
    Der Friedhof Reinickendorf liegt in der Einflugschneise des Berliner Flughafens Tegel. Nicht nur in der Luft herrscht Unruhe, auch am Boden. Bischöfe, Männer und Frauen in Schwarz strömen zur neugotischen Kapelle. Der Korrespondent des staatlichen polnischen Fernsehens, Cesary Gmyz, baut seine Kamera auf einer Rasenfläche auf.
    Ein Pole und ein Deutscher haben das Grab entdeckt
    "Wir wollen das im polnischen Fernsehen noch heute gegen 12 Uhr berichten, über diese Andacht. Aber für uns ist das eine sehr interessante Geschichte, und wir werden auch über die Ausgrabungen berichten, und ich hoffe, dass wir die sterblichen Überreste von Bischof Bursche finden, und wir werden diese Überreste in Polen in einem Familiengrab begraben."
    Zwei geschichtsinteressierte Männer, ein Pole und ein Deutscher, haben das Grab des Bischofs der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen entdeckt. Pawel Wozniak, 52, und der 77 jährige Klaus Leutner, Eisenbahningenieur im Ruhestand, fanden im Bundesarchiv die Krankenakte des polnischen Märtyrers, im Krematorium von Berlin-Wedding den Eintrag im "Einäscherungsbuch", dann auf dem Friedhof die Grabkarte, die Grabnummer und den Friedhofsplan. Klaus Leutner, ein Mann mit weißem Haar und Schnurrbart, weist auf eine Linde.
    "Also wir wissen ja aus dem Lageplan, dass das Grab im Bereich eines Baumes war. Und wir sind fälschlicherweise von diesem Baum ausgegangen, dem dort. Tatsächlich haben sie dann mit Metalldetektoren hier 200 Quadratmeter abgesucht, und hier hat es wohl angeschlagen."
    Die Nachfahren des Bischofs sind angereist
    Vor einer Woche untersuchten zwei archäologische Teams, ein polnisches und ein deutsches, die Rasenfläche mit Metalldetektoren und Georadar. Sie halten es für sehr wahrscheinlich, dass die Urne des Bischofs aus Warschau hier in der Erde liegt. In den kommenden Tagen soll sie exhumiert werden.
    Bursches Urenkel Juliusz Gardwaski, 70 Jahre alt, Professor für Sozioökonomie aus Warschau und vier andere Nachfahren des Bischofs sind angereist. Vorbei an Birken, Fichten, vorbei an Tannengrün auf deutschen "Ruhestätten" betreten sie die Kapelle mit den transparenten, nach oben spitz zulaufenden Fenstern. Fünf Blumengebinde sind vor dem Bildnis des Bischofs drapiert. Am Tag zuvor hatten die Angehörigen die Zelle ihres Ahnen in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen besichtigt.
    "Es war vor allem Traurigkeit, weil ich die schmale, kahle und kalte Gefängniszelle und den Gang in der Baracke gesehen habe, wo Bischof Bursche inhaftiert war. Er hat ja Briefe geschrieben, in denen er berichtet hat, wie es dort war."
    In Sachsenhausen war Julius Bursche mehr als zwei Jahre in Haft. Die Nationalsozialisten sahen in ihm einen Verräter. Als deutschstämmiger evangelischer Christ betrieb er aus der Sicht der Nazis die "Polonisierung" der Protestanten in Polen. Gottesdienst, Seelsorge, Unterricht sollten, so fand Bursche, auf Polnisch stattfinden. Er stand zum polnischen Staat.
    Juliusz Gardawski und die anderen Nachfahren des Bischofs wollen nun, dass die Urne des Bischofs auf dem evangelischen Sankt-Trinitatis-Friedhof in Warschau beigesetzt wird. Bei der Exhumierung und Überführung verzichtet die Familie auf die Hilfe des staatlichen polnischen Instituts für das nationale Gedächtnis, IPN.
    Der Berliner Bischof Markus Dröge tritt vor die Trauergemeinde, mit einer Stirn in Falten.
    "Ich bin Ihnen, Herr Leutner, und Ihnen, Herr Wozniak, von Herzen dankbar, dass Sie mit nicht nachlassender Energie nun die Stelle ermittelt haben, an der die sterblichen Überreste von Bischof Bursche beigesetzt wurden."
    Figur des Bischofs lasse sich nicht von Polens Nationalisten vereinnahmen
    Dröges polnischer Kollege, Bischof Jerzy Samiec aus Warschau, dunkelblond, im Talar mit Bischofskreuz und Beffchen, erinnert an seinen einstigen Vorgänger Bursche.
    "Vor 76 Jahren waren hier nur die Friedhofsarbeiter und bestimmt irgendein Beamter versammelt, der für die Formalitäten zuständig war. Man dachte, das wird die nächste Person sein, die bald vergessen sein wird. Noch mehr: Es wurde viel unternommen, dass es so kommt. Trotz vieler Bemühungen konnten die Familienangehörigen keine Informationen bekommen, was mit den sterblichen Überresten des geliebten Menschen geschehen war."
    Zwei Stunden später, beim Empfang in den Räumen der Evangelischen Kirche in Deutschland in Berlin-Mitte, bei Gemüsesuppe und Butterbrezeln, diskutieren Deutsche und Polen auch über Rechtspopulismus und Nationalismus in ihren Ländern. Einer der Bischofs-Nachfahren, Stefan Gardawski, 35 jähriger Ururenkel, glaubt nicht, dass das Gedenken den Nationalisten in Polen nützen wird.
    "Es besteht natürlich immer die Gefahr, dass historische Fakten manipuliert werden. Aber ich glaube, dass die Stimme des Bischofs und sein Wirken nicht manipuliert werden sollten und können, wenn man ernsthaft mit dieser Person umgeht. Er war gegen jeden Chauvinismus, er war gegen jede Ethnisierung der Kirche. Wenn man das alles bedenkt, fällt es sehr schwer, die Ereignisse dieser Tage in der öffentlichen Debatte zu missbrauchen."
    Auch wenn die Urne des Bischofs bald nach Warschau gebracht wird – die Zeiten im deutsch-polnischen Verhältnis bleiben unruhig.