"Beide Seiten hätten vom Bundesverfassungsgericht Recht bekommen, sagte Schulz. "Datenschützer können für sich zufrieden sein. Aber wir als Praktiker sehen dann: Der Großteil des Gesetzes hat Bestand." Teile der Kritik des Gerichts hätten ihn nicht gewundert, aber der Hauptteil des Gesetzes sei erhalten geblieben.
Schulz: "Hysterische Diskussion" beim Datenschutz
"Wir brauchen Gesetze, die praktikabel sind", sagte er mit Blick auf die Nachbesserungen, die in den kommenden zwei Jahren umgesetzt werden müssen. Beim Umgang mit Daten zwischen Behörden wie Verfassungsschutz und Polizei müsse man nun beobachten, was passiert, "um uns nicht handlungsunfähig zu machen". Die Arbeit der Polizei scheitere zu oft an gesetzlichen Bestimmungen und am Datenschutz, der oft falsch ausgelegt werde. "Die Polizei versucht, für Sicherheit zu sorgen und wird oft behindert", sagte Schulz.
In Sachen Datenschutz sprach er von einer "hysterischen Diskussion". Viele Gesetze hätten inzwischen so hohe Anforderungen, das man sie nicht mehr anwendet. Auch in der Polizei seien Defizite nicht behoben. In 16 Bundesländern gebe es 16 Polizeisysteme, die nicht immer kompatibel seien.
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: "Es ist mir wichtig, dass die Eingriffsinstrumente praktikabel bleiben und der zusätzliche Verwaltungsaufwand nicht zu einer faktischen Lähmung der Sicherheitsbehörden führen darf." Das war ein Zitat von BKA-Präsident Münch, der sich gestern nach dem Urteil geäußert hat. Die Karlsruher Richter haben den Sicherheitsbehörden mit ihrem Urteil ja neue Schranken gesetzt.
Die umfangreichen Befugnisse, die das Bundeskriminalamt zur Terrorabwehr seit einigen Jahren hat, sind demnach zum Teil verfassungswidrig. Am Telefon ist jetzt André Schulz. Er ist der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Guten Morgen, Herr Schulz.
André Schulz: Guten Morgen.
Klein: Haben Sie denn zumindest in Ansätzen Verständnis für die Entscheidung der Karlsruher Richter?
Schulz: Ja, grundsätzlich schon. Die Überschrift von Ihnen ist nur falsch gewählt. Der Großteil des Gesetzes ist ja verfassungsgemäß und das haben die Richter auch ganz deutlich gemacht und ganz, ganz wenig Kritik geäußert eigentlich.
Klein: Aber die Datenschützer feiern das als einen Sieg dafür, dass man auch in diesen Zeiten die Befugnisse nicht zu sehr überstrapazieren darf. Das ist offenbar eine Frage der Betrachtungsweise, oder wie?
"Für die Praxis sind zurzeit keine Einschnitte zu befürchten"
Schulz: Ganz genau. Dafür sind Gerichtsurteile ja immer gut, dass sich genau jeder das rauspicken kann, was er gerade möchte. Ich glaube, hier haben schon durchaus beide Seiten recht bekommen. Das heißt, die Datenschützer können durchaus für sich natürlich zufrieden sein und sagen, sehen Sie, hier sind Teile verfassungswidrig.
Aber wir als Praktiker sehen dann, der Großteil hat Bestand. Zwei Jahre hat der Gesetzgeber jetzt Zeit, das zu korrigieren, und einige Dinge sind dort auch sehr weitreichend gewesen, gerade bei Wohnraumüberwachung bei dritten Personen. Dass das kritisiert wird, wundert dann nicht. Aber Teile sind oder der Hauptteil ist dann für die Praktiker erhalten geblieben und unsere Auffassung ist bestätigt worden, und von daher sind für die Praxis zurzeit keine Einschnitte zu befürchten.
Klein: Überhaupt nicht? Sie sind da vollkommen konform mit dem Urteil und sagen, das was da verändert werden soll, gerade was die private Wohnraumüberwachung angeht, was die Weitergabe von Daten angeht, das war ohnehin völlig irrelevant, das haben Sie nie gebraucht, deswegen kann das jetzt auch ruhig abgeschafft werden, oder wie?
Schulz: Nein. Ich bin erst mal konform mit dem, was Sie eben von Herrn Münch zitiert haben, dem BKA-Präsidenten. Wir brauchen Gesetze, die praktikabel sind, aber wir brauchen natürlich auch Gesetze - und dann bin ich beim Verfassungsgericht -, die deutlich machen, wo die Grenzen des Rechtsstaates sind. Hier haben wir natürlich jetzt zwei Jahre Zeit, der Gesetzgeber hat zwei Jahre Zeit, hier dann konkreter zu werden, Verhältnismäßigkeiten einzubauen, und das sind die ganzen Knackpunkte.
Die sind da gerade bei dem Umgang mit Daten, mit Informationen auch zwischen den Behörden, sprich zwischen Verfassungsschutz und Polizeibehörden, und hier werden wir beobachten müssen, was jetzt die nächsten zwei Jahre passiert, um uns nicht handlungsunfähig zu machen.
Klein: Wir diskutieren ja über die Fragen der inneren Sicherheit immer dann vor allen Dingen sehr intensiv, wenn es Anschläge gegeben hat mit vielen Opfern, zum Glück im Augenblick nicht in Deutschland, aber in unseren Nachbarstaaten, und da war ja auch immer wieder ein großes Thema, die Weitergabe von Daten auch zwischen den Behörden klappt nicht so richtig, vor allen Dingen auf europäischer Ebene. Jetzt lesen wir aus dem Urteil, diese Weitergabe hat viel zu viele Möglichkeiten gehabt, und Sie sagen auf der anderen Seite, das behindert dennoch nicht die Terrorabwehr. Das müssen Sie noch mal erklären.
Polizei legt Datenschutz in Teilen falsch aus
Schulz: Man darf beides nicht vermengen. Hier geht es ja ganz konkret darum, was wir auch fordern, und da muss man nicht auf andere europäische Länder gucken. Wir haben genauso die Defizite der Informationsweitergaben alleine zwischen den Polizeibehörden in Deutschland. Hier hat die Polizei selber ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht und scheitert oft dann an den gesetzlichen Bestimmungen, das heißt am Datenschutz, der sicherlich in Teilen falsch verstanden wird und falsch ausgelegt wird.
Das verstehen die Bürgerinnen und Bürger auch nicht, wenn hier dann die Polizei versucht, hier für Sicherheit zu sorgen, Straftaten und Terroranschläge zu verhindern, und dann so massiv behindert wird. Aber das ist immer der Spagat des Rechtsstaates zwischen Eingriffen in Grundrechte gerade bei nicht verdächtigen Personen und Befugnissen der Polizei. Auch die Ermittler sind durchaus zufrieden, dass wir so ein Regularium wie das Verfassungsgericht haben, das dann hier auch - und das müssen wir ganz deutlich attestieren - Defizite des Gesetzgebers versucht, dann wieder auszubügeln.
Klein: Bleiben wir noch mal bei dem Beispiel, Herr Schulz. Sie sagen, es ist ein Spagat und Sie werden das genau beobachten. Sie haben jetzt auch nicht die Formulierung parat, die dann greifen könnte. Aber in welcher Hinsicht sollte denn das verändert werden, gerade was die Datenweitergabe angeht? Wo sind zu viele Daten weitergegeben worden?
Grundrechtseingriffe bei nicht verdächtigen Personen sind Spagat
Schulz: Ich glaube, es sind nicht zu viele weitergegeben worden. Es sind zu unkonkrete Daten weitergegeben worden. Es geht hier immer darum bei Tatverdächtigen und bei Unverdächtigen, und das ist, glaube ich, der Knackpunkt, weil die Richter ganz deutlich gemacht haben, dass bei Tatverdächtigen das nicht das Problem ist. Es geht darum, wie weit gehen die Grundrechtseingriffe bei Personen, die eigentlich noch keiner Tat weder im Vorfeld, noch konkret verdächtigt werden, und das ist der Spagat und da müssen wir in Deutschland insgesamt - wir haben es in vielen Bereichen erlebt, Vorratsdatenspeicherung - weg von der hysterischen Diskussion. Dann die Diskussion stellen, wie funktioniert Sicherheit eigentlich in der digitalisierten Gesellschaft, und da sind wir noch weit, weit von entfernt.
Klein: Wir bemühen uns hier um eine sachliche Diskussion und nicht um Hysterie an der Stelle. Aber wenn wir den Bundesinnenminister gerade auch noch mal gehört haben, der sich ja sehr besorgt zeigt und sagt, das macht die Terrorabwehr nicht einfacher, da übertreibt der einfach auch oder wie?
Gesetze sind so kompliziert, dass die Polizei sie nicht versteht
Schulz: Wir haben viele Gesetze. Wenn man den großen Lauschangriff, wie er heißt, sich betrachtet, haben wir Gesetze mittlerweile so verkompliziert, dass sie in der Praxis kaum noch Anwendung finden, weil sich weder bei der Polizei, noch bei der Staatsanwaltschaft wirklich Leute damit großartig auskennen, und dann verzichtet man lieber darauf. Man hat dann Gesetzgebungskompetenzen geschaffen, die unpraktisch sind und Menschen überfordern.
Das darf es nicht sein bei aller Rechtsstaatlichkeit, und da müssen wir immer den Zwischenweg finden. Und auch jetzt sind wir auf Daten, das ist das A und O, aus unseren Sicherheitsbehörden angewiesen, hier Informationen haben, siehe den NSU-Komplex zum Beispiel, wo genau der Vorwurf uns gemacht wurde als Sicherheitsbehörden, ihr habt die Informationen, ihr gebt sie aber nicht weiter und ihr kommuniziert nicht. Das ist etwas, wo ich dann wieder von Hysterie spreche, wenn ich sage, wir müssen konkret hingucken, was müssen Sicherheitsbehörden leisten, um Straftaten, schwerste Straftaten verhindern zu können, und die Diskussion wird in Deutschland trotzdem wie gesagt noch nicht so sachlich gemacht oder geführt, wie sie sein sollte.
Klein: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist ein Problem für Sie auch, dass Gesetze zu bürokratisch gefasst sind oder zu weit interpretierbar gefasst sind?
"Wir brauchen eine Grundsatzdiskussion in Sachen Datenschutz"
Schulz: In Teilen ist das definitiv so. Da sind die Anforderungen so hoch, dass sie fast unerfüllbar sind. Das führt im Umkehrschluss dazu, dass man sie nicht anwendet, was wiederum andere dann dazu bewegt zu sagen, dann braucht ihr die Gesetze auch nicht, und das ist dann ein bisschen die Pervertierung von solchen Gesetzen. Sie müssen praktikabel bleiben und das ist gerade der Punkt, wie gehen wir mit Informationen um, aber auch da müssen wir als Polizei erst mal die Hausaufgaben machen.
Sie dürfen sich vorstellen, dass wir 16 Länder haben mit 16 Länderpolizeien, die 16 verschiedene Polizeisysteme haben, die nicht kompatibel sind im Großteil. Wir haben auch heute die Gefahr, alleine die, die dann uns auch der Bundestag attestiert hat, unsere Defizite der Polizei nach NSU, die haben wir zum Großteil heute auch noch nicht behoben. Von daher brauchen wir eine Grundsatzdiskussion in Sachen Datenschutz.
Klein: … sagt André Schulz, der Vorsitzende vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, zum gestrigen Karlsruher Urteil in Sachen BKA-Gesetz. Herr Schulz, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
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