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Blockupy-Bewegung
"EZB spielt mit Menschenleben"

Die Sprecherin des "Blockupy"-Bündnisses, Hannah Eberle, macht die EZB mitverantwortlich für die Krise in Griechenland. Die Ursachen lägen in einer "verfehlten europäischen Politik", sagte Eberle im DLF. Zur Einweihung der neuen EZB-Zentrale in Frankfurt werden heute umfangreiche Proteste erwartet.

Hannah Eberle im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Protestplakate
    Zur Eröffnungsfeier des EZB-Neubaus werden zahlreiche Proteste erwartet. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Die Europäische Zentralbank (EZB) sei ein Akteur, der neoliberal agiere und mit seiner Politik Menschenleben aufs Spiel setze, sagte Hannah Eberle von der Interventionistischen Linken im Deutschlandfunk-Interview. Sie ist Sprecherin des "Blockupy"-Bündnisses, das zur Einweihung der neuen EZB-Zentrale in Frankfurt am Main heute zu Blockaden und Demonstrationen aufgerufen hat. Sie hat der EZB und der deutschen Politik vorgeworfen, dass es in Zeiten des Kapitalismus allein um Profit und Geldverwertung gehe - und das häufig auf Kosten von Menschenleben.
    So seien laut Eberle in Griechenland die Säuglingssterberate und Suizidrate gestiegen, es gebe Zwangsräumungen, die Menschen könnten sich zum Teil keine Medikamente mehr leisten. Die Hauptverantwortung für diese Entwicklungen liege in einer verfehlten europäischen Politik. Eine Mitverantwortung der griechischen Regierung wollte sie auch auf Nachfrage nicht einräumen.
    Auch in Deutschland werde die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. Doch eine gemeinsame Solidarisierung in der Gesellschaft finde nicht statt. Eberle kritisierte besonders die etablierten Parteien und Institutionen, die statt dessen immer "nach unten treten" würden. Die Folge sei eine "Entpolitisierung der Gesellschaft".

    Das vollständige Interview im Wortlaut:
    Barenberg: Am Telefon ist Hannah Eberle von der Interventionistischen Linken, ein Zusammenschluss linksradikaler Gruppen und Aktivisten. Sie organisiert die Proteste in Frankfurt mit. Schönen guten Morgen, Frau Eberle.
    Hannah Eberle: Guten Morgen.
    Barenberg: Die EZB hält ja mit ihren milliardenschweren Anleihekäufen unter anderem Krisenstaaten wie Griechenland eigentlich über Wasser. Sie leiht einem Land am Rande der Pleite weiter Geld. Warum prügeln Sie einen so wichtigen Helfer des Landes?
    Eberle: Erst mal ist die Europäische Zentralbank natürlich immer noch Teil der Troika. Auch wenn die Troika jetzt Institution heißt, hat sich wesentlich an der Politik der Troika nichts verändert. Das allein ist Grund genug für uns, auf die Straße zu gehen.
    Wir gehen vor allem an die Europäische Zentralbank, weil sie für uns ein politischer Akteur ist in der derzeitigen Krisenpolitik, die ganz klar neoliberal agiert, die ganz klar auf Kosten von Menschenleben letztendlich auch zielt mit ihrer Politik. Wir haben das am krassesten tatsächlich in Griechenland gesehen, wo direkt nach der Wahl von Syriza, nach dieser demokratischen Wahl von Syriza, die EZB aufgestanden ist und gesagt hat, einen Schuldenschnitt lehnen wir kategorisch ab. Das ist für uns allein Grund genug, vor die Europäische Zentralbank zu ziehen.
    Barenberg: Ich habe Sie da richtig verstanden? Sie sagen, die EZB riskiert Menschenleben, setzt Menschenleben aufs Spiel?
    Eberle: Ja. Wir sehen das im Moment in Europa. Auch da natürlich ist Griechenland nur ein krasses Beispiel. Aber ich denke, wir können da für ganz Europa sprechen. Hier wird mit Menschenleben, mit dem Leben von Menschen letztendlich gespielt.
    Barenberg: Wie kommen Sie darauf, Frau Eberle?
    Eberle: Wir schauen uns die Säuglingssterberaten in Griechenland an, die Selbstmordrate ist gestiegen. Sowohl in Spanien, aber auch in Deutschland gibt es mittlerweile Zwangsräumungen, die Leute werden einfach auf die Straße gesetzt, werden obdachlos gemacht. Die Menschen müssen sich überlegen, ob sie lebensnotwendige Medikamente kaufen, oder ob sie sich was für den Tag zu essen kaufen. Das sind Zahlen, das sind Fakten in Europa, das sind Bilder, die wir tagtäglich sehen.
    Barenberg: Ich frage mich nur, Frau Eberle: Wie kommen Sie darauf, dass dafür nicht die griechische Regierung verantwortlich ist, sondern eine Bank in Frankfurt?
    Es gehe allein um Profit und Geldverwertung
    Eberle: Genau. Ich denke, die Ursachen der derzeitigen Politik liegen letztendlich im politischen System. Da sind wir vielleicht einigen Leuten auch zu radikal, aber wir leben im Kapitalismus, und letztendlich geht es um Profit. Die Europäische Zentralbank macht ja da da auch keinen Hehl draus, die deutsche Regierung macht da keinen Hehl draus. Es geht letztendlich um Geldverwertung, um Profit, es geht um Wettbewerb. Im Zuge der Krisenpolitik in den letzten fünf Jahren wurde unglaublich viel privatisiert. Dabei ist allen mittlerweile klar, dass bei den Privatisierungen meistens diejenigen gewinnen, die danach auf der Seite der Unternehmer stehen. Die Menschen in Europa - und das ist unser Hauptziel - leiden unter genau dieser Politik. Deswegen gehen wir ja auf die Straße, deswegen üben wir Widerstand aus und deswegen sagen wir auch: Wenn wir nicht beginnen, endlich solidarisch mit den Menschen in Griechenland, in Spanien, in Portugal auf die Straße zu gehen, dann werden wir gespalten. Dann sind wir am Ende übrig geblieben, werden vereinzelt, und uns wird die Luft zum Leben genommen.
    Barenberg: Ich habe nur eines immer noch nicht verstanden, Frau Eberle. Welchen Anteil, welche Verantwortung trägt die Regierung in Griechenland, die gegenwärtige, und tragen die vergangenen Regierungen in Griechenland, beispielsweise dafür, dass das Gesundheitssystem so schlecht ist, mit den Folgen, die Sie ja zurecht beschrieben haben? Welche Verantwortung trägt Athen?
    Eberle: Genau. Ich glaube, erst mal müssen wir positiv über Syriza reden, denn was passiert ist in Griechenland: Die Troika wurde krachend abgewählt, Syriza ist angetreten, sie hat ein Programm aufgelegt in Griechenland, was für die Menschen da war. Das heißt, wir haben wieder einen Zusammenschluss zwischen dem, was doch die eigentliche Aufgabe von Parteien und Politik ist, mit den Menschen gemeinsam Politik zu machen, diesen Auftrag anzunehmen, das Geld wieder in die Sozialsysteme zu schicken und letztendlich nicht nur einen völlig überzogenen Schuldenaufbau zu machen. Man muss sich deutlich machen: Die Schulden, die auch in Griechenland gemacht worden sind, haben nicht die einzelnen Menschen vor Ort erwirtschaftet. Die Frage, die wir uns stellen, oder die Frage, mit der wir diese Krisenpolitik beschreiben, ist: Es geht hier um unten gegen oben. Wir haben einen großen Teil der Menschen in Europa, die einfach gerade nicht mehr wissen, wie sie ihr Leben finanzieren sollen. Wir sehen schreckliche Bilder tagtäglich. Und genau das ist für uns der Grund zu sagen, es ist eine Frage zwischen oben und unten, es ist keine Frage zwischen Griechenland und Deutschland.
    Barenberg: Und ich frage noch ein letztes Mal, versprochen, welchen Anteil die griechische Regierung an dieser Entwicklung hat.
    Eberle: Ich glaube wirklich, dass eine Hauptverantwortung insgesamt in einer verfehlten europäischen Politik liegt, und das ist letztendlich auch unser Ansatz. Natürlich gibt es Korruption, aber die gibt es auch hier. Ich glaube, wir haben das Problem, dass die europäische Politik darauf zurast, sich zu entdemokratisieren, dass sie zulässt, dass die Menschen in Europa letztendlich keine politische Teilhabe mehr haben, dass eine Entpolitisierung der Gesellschaft stattgefunden hat, und jetzt sind es genau wir von der Straße, die genau das umdrehen, und das tut auch die griechische Bevölkerung. Das muss man ganz deutlich sagen. Es ist die griechische Bevölkerung, die sich auf den Weg gemacht hat, die gesagt hat, wir wollen das jetzt selber lösen, wir werden unsere Alternativen jetzt in die Hand nehmen. Es geht hier nicht um faule Griechen, wie es die "Bild"-Zeitung immer sagt, sondern ich bin begeistert über das, was die Menschen dort unten angefangen haben aufzubauen, und darüber, glaube ich, sollten wir auch wirklich viel mehr sprechen.
    Barenberg: Okay. Ich halte aber zumindest mal für uns beide fest, dass die griechische Regierung jedenfalls keine Verantwortung trägt für die Entwicklung im eigenen Land. - Ich würde Sie fragen, weil Sie gerade von der Bewegung in ganz Europa sprechen, von Syriza zumal. Wie erklären Sie sich eigentlich, dass Syriza einen solchen Erfolg in Griechenland hat, dass es eine erfolgreiche und stimmmächtige Protestbewegung in Spanien gibt, auch in Italien, aber hier in Deutschland weit und breit von einer linken Massenbewegung nichts zu hören ist, nichts zu sehen ist?
    "Etablierte Parteien tragen zur Entpolitisierung der Gesellschaft bei"
    Eberle: Genau! Da muss ich Ihnen tatsächlich absolut recht geben. Aber gerade deswegen bin ich total begeistert. Ich war heute Morgen schon unterwegs auf Frankfurts Straßen. Es sind wirklich Tausende heute Morgen hier schon in die Stadt geströmt. Ich habe das Gefühl, dass genau dieser Widerstand, der sich in Spanien, in Frankreich, in Griechenland gezeigt hat, jetzt endlich auch anfängt, hier eine Bewegung zu finden, auch letztendlich mit unserem Blockupy-Bündnis. Ich glaube, dass die Leute letztendlich auch an diesem Punkt waren, gezwungen zu sein, sich zu überlegen, macht es nicht mehr Sinn, wenn wir wieder solidarisch miteinander zusammenstehen, uns wehren und gemeinsam anfangen, neu aufzubauen. Die krassesten Beispiele für uns sind immer in Spanien, wenn die Leute gemeinsam sagen, diese Zwangsräumung wird nicht stattfinden, diese Abschiebung wird nicht stattfinden, wir stehen das jetzt gemeinsam durch, wir treten nicht nach unten. Ich habe das Gefühl, dass gerade in Deutschland von den etablierten Parteien, aber auch etablierten Institutionen es immer in die Richtung geht, nach unten zu treten. Es wird immer nach unten getreten. Letztendlich haben wir in Deutschland ja auch das Problem, dass wir mit rassistischen Mobilisierungen alle gemeinsam zu kämpfen haben. Aber anstatt dort gemeinsam solidarisch nach vorne zu kämpfen, wird weiter ein Keil in die Gesellschaft getragen. Wir haben eine extrem große Spanne zwischen Reich und Arm, und ich spiele den Ball auch hier an die etablierten Parteien zurück. Sie tragen zu einer Entpolitisierung der Gesellschaft bei.
    Barenberg: ..., sagt Hannah Eberle von der Interventionistischen Linken, die heute die Blockupy-Proteste in Frankfurt mitorganisiert. Danke für das Gespräch, Frau Eberle.
    Eberle: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.