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Bologna-Prozess
"Man muss ein Studienprogramm nicht in Module teilen"

Mathias Brodkorb, Mecklenburg-Vorpommerns Minister für Bildung und Wissenschaft, sieht eine "relativ große Diskussion über Bologna" kommen. Im DLF kritisierte er die Überregulierung, zu der die Einführung eines mobilitätsfördernden Studiensystems geführt habe, wie auch die Modularisierung.

Mathias Brodkorb im Gespräch mit Kate Maleike |
    Kate Maleike: Über den sogenannten Bologna-Prozess ist ja in den letzten Wochen besonders intensiv diskutiert worden, denn schließlich ist die Vereinbarung zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes im Juni 15 Jahre alt geworden. Was alle Bilanzen allerdings eint: Die Bologna-Reform hat noch Nachbesserungsbedarf, vor allem bei der Umsetzung der Reform der Studiengänge auf das Bachelor- und Mastersystem und beim Thema Mobilität beziehungsweise der Anerkennung von Studienleistungen im Ausland. Da sehen nicht nur Studierende noch Defizite, wie eine jüngste Umfrage des studentischen Dachverbandes fzs ergeben hat. Auch in Hochschulleitungen und Wissenschaftsministerien weiß man um diese Baustellen. Mathias Brodkorb, Mecklenburg-Vorpommerns Minister für Bildung und Wissenschaft, denkt jetzt besonders laut nach. Er hat von seinen Kollegen in der Kultusministerkonferenz die Bereitschaft gefordert, sich einzugestehen, es bei der Reform der letzten Jahre etwas übertrieben zu haben. Guten Tag, Herr Brodkorb!
    Mathias Brodkorb: Ja, guten Tag!
    Maleike: Was soll dieses Eingeständnis denn bringen, wenn keine Taten folgen?
    Brodkorb: Ja, ich gehe davon aus, dass wir ohnehin vor einer relativ großen Diskussion über Bologna stehen. Das hat es in den letzten Jahren zwar schon gegeben, aber doch eher sich auf kleinere Korrekturen und kleinere Probleme konzentriert. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir vor einer solchen grundsätzlichen Debatte stehen, weil es ja auch beim Bundesverfassungsgericht Klagen gibt, die sich gegen ein Herzstück der Bologna-Reform, nämlich die Akkreditierung richten, insbesondere auf die wahrscheinlich nicht völlig korrekte Rechtsgrundlage der Akkreditierung. Und wenn dies das Bundesverfassungsgericht bestätigen sollte, stehen wir ohnehin vor der Situation, völlig grundsätzlich über Bologna nachdenken zu müssen.
    Maleike: Da müssen wir dazusagen, dass Ihr Bundesland, also Mecklenburg-Vorpommern, 2010 das Diplom ja wieder eingeführt hat. Damals waren nicht nur die Hochschulrektorenkonferenz und auch Arbeitgeberverbände teilweise entsetzt, weil man ja dachte, jetzt gibt es nur noch Bachelor und Master. Das sind die Klagen, die Sie meinen?
    Brodkorb: Nein, das sind zwei verschiedene Dinge. Das, was schon seit geraumer Zeit auf der Tagesordnung steht, sind ja rechtliche Auseinandersetzungen, die überhaupt die Legitimität der Akkreditierung infrage stellen. Die Akkreditierungsagenturen werden ja tätig aufgrund eines Landesgesetzes aus Nordrhein-Westfalen. Und es ist strittig, ob überhaupt ein Landesgesetz die Grundlage sein kann dafür, dass Akkreditierungsagenturen bundesweit tätig werden. Denn in unserem föderalen Staatsaufbau ist es ja so, dass die Landesparlamente jeweils und die Länder entscheiden, was in ihren Hochschulen passiert. Und sollte das Bundesverfassungsgericht der Argumentation dieser Kläger folgen, steht im Prinzip die gesamte Akkreditierung und damit ein Herzstück der Bologna-Reform zur Disposition. Und darüber hinaus gibt es noch eine Klage der Fachhochschule Stralsund aus Mecklenburg-Vorpommern dagegen, dass das Diplom bei der Akkreditierung nicht anerkannt wird. Und auch das verstärkt natürlich in der Tat die Debatte noch einmal, was die Rechtskonformität der Bologna-Regelung angeht.
    Maleike: Das eine ist ja dann sozusagen die Rechtslage, die eine neue Diskussion erzwingt, das andere ist, dass Sie sagen, wir brauchen eine wissenschaftsfreundliche Reform der Reform. Was heißt das konkret?
    Brodkorb: Ich glaube, dass der Grundgedanke der Bologna-Reform die meisten Schwierigkeiten bereitet. Es geht um ein international anerkennungsfähiges, mobilitätsförderliches Studiensystem und man hat versucht, das zu erreichen, indem man möglichst viele bürokratische Regelungen eingeführt hat. Die Idee war: Wenn wir überall gleiche Regelungen haben, kann man das gut anerkennen. Und es stellt sich nun aber heraus, dass diese bürokratische Überregulierung des Hochschulsystems einfach zu erheblichen Schwierigkeiten führt. Man könnte sagen, während das deutsche Hochschulsystem in der Vergangenheit vor allem durch Freiheit und Flexibilität einfach bestimmte Engpässe ausregulieren konnte, ist das jetzt nicht mehr möglich. Und ich mache ein einfaches Beispiel: Wenn Sie Geisteswissenschaften in Deutschland studiert haben, mussten Sie immer zwei Fächer studieren, und jede Hochschule möchte möglichst viele Fächer haben und möchte die Wahlfreiheit nicht einschränken. Aber wenn Sie eine hohe Wahlfreiheit haben bei den Fächern, dann stoßen Sie auf das Problem, dass Sie als Hochschule nur eine bestimmte Anzahl an Räumen haben und der Tag nur 24 Stunden hat. Das heißt, Sie können es kombinatorisch kaum lösen, dass jede Studienfachkombination auch innerhalb der Regelstudienzeit bewältigt werden kann. Aber das Ganze wurde dadurch reguliert, dass Sie relativ wenig Pflichtveranstaltungen hatten. Das heißt, man konnte sich als Student dann immer passend die Veranstaltungen suchen, die im Stundenplan noch möglich waren. Diese Großzügigkeit hat einfach eine hohe Vielfalt ermöglicht. Und jetzt haben wir durch die Modularisierung, durch die fest vorgeschriebene Wahl von Veranstaltungen, was auch als Verschulung des Studiums bezeichnet wird, so viele Rigiditäten und so viel Bürokratie und Engpässe in das System eingebaut, dass darunter das System einfach leidet. Und ich würde sagen, man muss ein Stück weit wieder zu der Großzügigkeit des deutschen Wissenschaftsbetriebes, die es über lange Zeit gegeben hat, zurückkehren. Und dadurch kann man auch viele Probleme, die Bologna schafft, ganz gut umgehen.
    Maleike: Jetzt wird leider die Leitung gerade ein bisschen schlechter, wir versuchen es trotzdem weiter. Das heißt, Sie möchten sich eigentlich von der Modularisierung verabschieden? Verstehen wir Sie da richtig?
    Brodkorb: Ich glaube in der Tat, dass die beiden größten Probleme des Bologna-Prozesses nicht die Abschlüsse sind oder andere Dinge, sondern die Modularisierung und die Messung des Studienaufwandes in diesen sogenannten ECTS, also diesen Leistungspunkten oder Workload-Punkten, die man erwerben muss. Weil Sie dadurch einfach so eine Inflexibilität ins System bringen, dass da viele schier dran verzweifeln. Und ich finde, man braucht das nicht. Man muss ein Studienprogramm nicht in Module teilen, wozu braucht man das eigentlich, wer schreibt das vor, wozu ist das nötig? Und man muss es auch nicht im Binnenverkehr der Hochschule, wenn Sie eine Hochschule organisieren, das so pedantisch in diesen ECTS-Punkten messen, zumal die Aussagekraft ohnehin nicht die ist, die mal erdacht war. Also, langer Rede kurzer Sinn: Bologna, auch mit diesen ganzen technischen Konstruktionen, war eine sehr schöne Idee, aber die Wirklichkeit ist einfach viel zu komplex, ist viel komplizierter, als das sich einige Planer offenbar ausgemalt haben. Und deswegen muss man diese rigiden Regelungssysteme einfach auch wieder lockern.
    Maleike: Mathias Brodkorb war das, der Bildungs- und Wissenschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern fordert von der Kultusministerkonferenz eine wissenschaftsfreundliche Reform der Bologna-Reform. Und wir haben über Handy gesprochen, mit kleinen Leitungsproblemen, Pardon dafür!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.