Bekaa-Ebene im Libanon, 15 Kilometer nur bis zur syrischen Grenze. Zahlreiche Siedlungen von syrischen Geflüchteten befinden sich in diesem Gebiet.
"Ich denke, wir haben ungefähr 1.200 Siedlungen in der Bekaa-Ebene. Wenn man durch die Gegend fährt, hat man den Eindruck, dass es eine knappe Million Menschen sind, die in diesen provisorischen Siedlungen leben", erklärt Elias Matar. Er ist gebürtiger Kalifornier, wuchs in Syrien auf, kehrte im Alter von 15 Jahren nach Amerika zurück und und unterstützt seit zwei Jahren Freiwilligenprojekte an der Grenze zu Syrien.
Matar gehört zu einem kleinen Konvoi, der einem ungewöhnlichen Gefährt folgt. Es ist ein Kleinbus, an dessen Längsseiten sowie am Heck sich bunte Sperrholzplatten befinden. An den Platten sind Griffe befestigt.
Das ganze Gefährt ist ein Klettermobil, zum Bouldern, hier mitten in der kargen Landschaft der Flüchtlingscamps. Ausgedacht hat sich die Sache Beat Baggenstos, ein Schweizer, der vor zwei Jahren neben Elias Matar noch Essen für die Geflüchteten verteilte.
"Noch vor zweieinhalb Jahren habe ich bei der Deutschen Bank gearbeitet, hatte vorher aber auch Soziologie studiert, hatte dann gekündigt und bin Reisen gegangen, in Südamerika, vor allem auch Klettern. Und ich bin weiter gereist nach Äthiopien. Und da hatte ich dann so das Gefühl, dass ich etwas zurück geben muss, nachdem ich einfach so lange das machen konnte, was ich am liebsten tue, eben klettern und Zeit in der Natur verbringen.
"Es schüttet Glückshormone aus"
So kam er erst zur NGO Salam, die Geflüchtete unmittelbar hinter der syrischen Grenze unterstützt. Und dort kam ihm die Idee, mehr als nur die Not zu verwalten. Er wollte seine Leidenschaft, das Klettern, hierher bringen. Hintergrund sind auch die psychosozialen Effekte des Kletterns. Es kann sogar gegen Depressionen helfen. Die Uni Erlangen erforscht das seit einiger Zeit.
"Es schüttet Glückshormone aus. Gerade beim Bouldern, wird durch die Kürze die Intensität der Kletterroute bekommst du ein ultraschnelles Feedback, ob du es richtig oder gut machst", meint Baggenstos, der Praktiker.
Die Väter fehlen oft
Wie zur Bestätigung sind gerade zwei Mädchen oben angelangt. Sie strahlen, klatschen sich ab und lassen sich auf die Matten fallen. Auf der anderen Seite klettern acht- bis zehnjährige Jungs. Später ist ein Kletterkurs für Jugendliche dran.
Insgesamt neun Familien, 35 Personen, leben in diesem kleinen Camp. Meist sind es Mütter mit ihren Kindern. Väter fehlen oft, sind tot, im Gefängnis oder kämpfen. Alle Familien hier kommen aus der Nähe von Homs.
Abu Khalil, der Chef des Camps, früher Händler in Homs, einige Jahre auch Buchhalter in Saudi-Arabien, hat ein Zelt in eine kleine Schule umgewandelt. Er hat es selbst angemalt, mit bunten Blumen, einer strahlenden Sonne. Sie ist, neben dem bunten Kletterbus von ClimbAID, der einzige Farbfleck hier.
"Ich bin kein Lehrer von Hause aus, aber hier unterrichte ich die Kinder. Sie gehen ja sonst nicht zur Schule hier. Wir machen täglich Unterricht, nur Donnerstags und Freitag ist frei", erzählt Abu Khalil.
Schulversorgung ist ein enormes Problem. Die Kapazitäten der NGOs reichen nicht. Nicht jeder Camp-Chef ist so eigeninitiativ wie Abu Khalil. Und zahlreiche Kinder werden auch schon zum Arbeiten geschickt.
Viele Kinder erhalten keine Bildung
"Das, was mich und viele andere Leute in den NGOs am meisten beunruhigt, ist, dass Jungs und Mädchen im Alter von zehn Jahren arbeiten müssen. Ich glaube, das war eine offizielle UNHCR-Statistik, dass nur 28% der Kinder hier eine Form von Schulbildung erhalten. Eine große Anzahl von Kindern erhält keinerlei Bildung. Es gibt jetzt hier Hochzeiten von Minderjährigen. Was passiert in fünf Jahren mit all diesen Teenagern?", sorgt sich Elias Matar.
In dieser Situation kann Klettern zwar keine Wunder bewirken. Aber es macht die Kinder, in deren Siedlungen der Bus hält, glücklich. Mit dem Klettern werden auch noch ein paar andere Fähigkeiten vermittelt.
"Eine andere Komponente, die wir einzubauen versuchen, ist Teambuilding und Life Skills, dass sie in Gruppen selber Routen entwickeln, ihnen Namen geben und sie den anderen vorstellen. Und wichtig ist, dass man im Gespräch, am Ende der Session, das vertieft: Was habt ihr gelernt? Welche Route war die schwierigste?", Baggenstos will sogar noch weiter hinaus.
"Langfristig wollen wir mit den Leuten, die hier klettern gelernt haben, dann auch nach Syrien an den Felsen klettern gehen und diese Gebiete weiter entwickeln. Vielleicht geht es dann auch in ein rural tourism development project. Das könnte die Vision sein."
Beat Baggenstos denkt schon an die Zukunft
Beat Baggenstos, der Ex-Banker mit der Kletter-Leidenschaft, denkt schon an die Zeit nach Kriegsende, und daran, dass dann die Hilfe nicht beendet werden darf, sondern in Entwicklungshilfe umgewandelt werden sollte.
Derzeit ist die Kletterwand von ClimbAID im Winterquartier in Beirut. Im nächsten Frühjahr will Baggenstos wiederkommen. Dann kann er schon auf ein Netz von freiwilligen Helfern bauen - und vor allem auf Kinder, die erlebt haben, wie schön es ist, sich aus eigener Kraft in die Höhe zu begeben.