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Brandanschlag auf Flüchtlingsheim
"Tröglitz ist glücklicherweise nicht überall"

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach hält die Vorkommnisse in Tröglitz für kein gesamtdeutsches Problem. Wenn ein Bürgermeister zurücktrete und ein Landrat unter Polizeischutz stehe, sei dies kein bundesweites Phänomen, sondern in besonderer Weise besorgniserregend, sagte Bosbach im DLF.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach gestikuliert während eines Gesprächs.
    Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Bosbach stellte sich damit gegen den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, der davor gewarnt hatte, den Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz als Einzelfall abzutun. Es handele sich um ein bundesweites Problem, sagte der CDU-Politiker in der heutigen Ausgabe der Zeitung "Die Welt".
    Bosbach sagte, es sei richtig, dass es an vielen Orten Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte gebe. Haseloff habe recht, wenn er von einer Herausforderung für die gesamte Gesellschaft spreche. Diese müsse sich gegen diejenigen stellen, die gegen Flüchtlinge hetzten. Es gelte ein Klima zu schaffen, in dem die Täter keine Chance hätten. Bosbach betonte, es gebe bundesweit in der Bevölkerung viel Empathie und aktive Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt Wolfgang Bosbach von der CDU, Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestags. Er unterbricht für uns kurz seinen Urlaub, dafür schon mal herzlichen Dank und guten Morgen, Herr Bosbach!
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen!
    Heckmann: Ministerpräsident Haseloff spricht von einem bundesweiten Problem: Tröglitz ist überall. Ist Tröglitz überall?
    Bosbach: Tröglitz ist glücklicherweise nicht überall. Es ist richtig, dass es an vielen Orten, nicht nur in Tröglitz, Proteste, Demonstrationen gibt oder in der Vergangenheit gegeben hat gegen neu einzurichtende Unterkünfte für Flüchtlinge. Aber wenn ein Bürgermeister zurücktritt, weil er bedroht worden ist, wenn der Landrat unter Polizeischutz steht, weil auch er Morddrohungen erhalten hat, dann ist das glücklicherweise kein bundesweites Phänomen, sondern dann ist das in besonderer Weise besorgniserregend. Des ungeachtet hat Herr Haseloff recht, wenn er sagt, das ist jetzt eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft, für alle Demokraten in Deutschland, aber auch für die gesamte Gesellschaft, dass wir uns gegen diejenigen stellen, die ausländerfeindliche Parolen verbreiten, gegen Flüchtlinge und Asylbewerber hetzen.
    "Wichtig ist, dass wir jetzt die Taten aufklären"
    Heckmann: Aber, Herr Bosbach, es gibt ja nicht nur Proteste und Demonstrationen, wie Sie gerade sagten, rund um geplante Flüchtlingsheime oder auch Flüchtlingsheime, die schon in Betrieb sind, sondern die Zahl der Übergriffe steigt, und nicht nur eben am Beispiel Tröglitz, sondern auch in vielen anderen Orten.
    Bosbach: Das habe ich ja gerade gesagt, es ist nicht nur in Tröglitz. Aber der Rücktritt des Bürgermeisters, die Morddrohungen gegenüber dem Landrat – das sind ja keine bundesweiten Phänomene. Das gibt es ja nicht in allen Städten und Gemeinden unseres Landes. Das heißt, wichtig ist, dass wir jetzt die Taten aufklären. Das ist jetzt die wichtigste Aufgabe, dass wir zumindest alles unternehmen, um herauszubekommen, wer diese Taten begangen hat, mit welchen Motiven, vor welchen Hintergründen. Aber dass wir in ganz Deutschland ein Klima schaffen müssen, ein gesellschaftliches Klima schaffen müssen, in dem die Täter, wenn sie denn mit ausländerfeindlichen Motiven gehandelt haben, keine Chance haben, das ist die Aufgabe von uns allen.
    Heckmann: Ist es in Deutschland mittlerweile gefährlich, sich für Flüchtlinge und Asylbewerber einzusetzen?
    Bosbach: Nein. Es gibt doch bundesweit auch genau das Gegenteil von dem, was wir gerade in Tröglitz erleben. Es gibt doch auch bundesweit sehr viel Hilfe, sehr viel Sympathie und Empathie für die Flüchtlinge, die zu uns kommen, viele private Organisationen, die sich für sie einsetzen. Und es ist ja gerade nicht so, dass ihnen hier flächendeckend bundesweit eine Welle des Hasses entgegenschlägt.
    Heckmann: Obwohl man dazu sagen muss, dass die Einwohner oder viele Einwohner von Tröglitz ja auch ein Zeichen gesetzt haben gegen diesen Brandanschlag.
    Bosbach: Ja. Wir erleben immer beides. Das ist sehr häufig, dass wir in ein- und derselben Stadt beides erleben, Empathie, Sympathie, auch aktive Hilfsbereitschaft, aber auch große Bedenken, die dann möglicherweise sogar umschlagen in Protestaktionen.
    "Wir haben einen Bodensatz an Rechtsextremismus"
    Heckmann: Erleben wir auch eine Blindheit gegen rechts, wie die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, formuliert hat?
    Bosbach: Nein, das erleben wir nicht. Wir erleben seit dem Jahr, ja, seit dem Jahr 2000, 2001, dass wir doch eine große Solidarität haben über die Parteigrenzen hinweg, dass wir uns da unterhaken, dass wir uns einig sind. Das alles begann einmal mit dem Thema Aufstand der Anständigen. Ich sage das auch mal aus der Sicht des Innenausschuss-Vorsitzenden: Es gibt kaum ein Thema, mit dem wir uns so intensiv beschäftigt haben in den letzten Jahren wie mit der Beantwortung der Frage: Was können wir, Staat und Gesellschaft in Deutschland, gegen Ausländerfeindlichkeit tun, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, der offen oder latent ausgetragen wird in Deutschland? Das alles beschäftigt uns doch jetzt schon seit langen, langen Jahren. Es ist ja richtig, dass wir in Deutschland auch einen Bodensatz haben an Rechtsextremismus, an Rechtsradikalität, dass wir uns intensiv damit beschäftigen müssen, was können Staat und Gesellschaft gegen diese Entwicklung tun, aber Sie sehen es doch auch an den Wahlerfolgen rechtsextremistischer Parteien, sie sind doch in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Als ich politisch begonnen habe, zu denken und zu arbeiten, da war die NPD sogar in Landtagen vertreten, da hat sie in der Bundesversammlung gesessen. Wir sind doch nicht blind gegenüber diesen Entwicklungen.
    Heckmann: Kommen wir noch mal auf Tröglitz selber auch noch mal zurück und zu sprechen: Angesichts der Sicherheitslage jetzt dort nach dem Brandanschlag – ist es eigentlich verantwortbar, dort Flüchtlinge hinzuschicken? Oder wäre es genau das Falsche, jetzt zu sagen, wir verzichten lieber darauf?
    Bosbach: Ich glaube, dass es das falsche Signal ist. Das ist natürlich eine Entscheidung, die die Verantwortlichen vor Ort treffen müssen. Aber wenn man jetzt zu der Entscheidung käme, in Tröglitz nicht, dann wäre das natürlich auch ein Signal: Wenn der Widerstand nur massiv genug ist, dann knicken die Verantwortlichen schon ein und machen dann um diese Gemeinde oder um diesen Kreis einen Bogen. Deswegen würde ich es für problematisch halten, wenn man sagt: jetzt nicht, jetzt lieber woanders.
    Heckmann: Die Tröglitzer, die suchen jetzt Ausweichquartiere in privaten Wohnungen. Solidarische Worte jetzt vonseiten von Bundespolitikern ist ja das eine, aber müsste da nicht auch eine Unterstützung, eine tatkräftigere, auch eine finanzielle Unterstützung dazukommen?
    Bosbach: Wir haben zwischen Bund und Ländern eine klare Aufgabenteilung und auch eine klare Verteilung der Einnahmen. Beides gehört ja zusammen, Aufgabe und die Finanzierung dieser Aufgabe. Der Bund trägt zu 100 Prozent die Verantwortung im Aufnahmeverfahren, auch die Kosten. Wir haben für jetzt zwei Haushaltsjahre insgesamt 650 neue Stellen bereitgestellt im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, zu 100 Prozent zulasten des Bundes. Stellt sich auch die Frage, ob wir nicht noch mehr Personal brauchen, um die Verfahren, die Anerkennungsverfahren zu beschleunigen. Und der Bund trägt 100 Prozent der Kosten für die Sprach- und Integrationskurse. Das sind über 200 Millionen Euro. Unterbringung war stets die Verantwortung der Länder und der Kommunen, die Integration vor Ort. Des ungeachtet hat der Bund für zwei Jahre weiter eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt, 500 Millionen als Finanzhilfen und 500 Millionen als zinslose Kredite, die über einen langen Zeitraum getilgt werden können. Also der Bund sieht seine Verantwortung und er nimmt sie auch wahr.
    Heckmann: Das heißt aber im Umkehrschluss, dass die Tröglitzer mit mehr Hilfe jetzt vonseiten des Bundes nicht rechnen können?
    Bosbach: Wir haben ja keine unmittelbaren Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Kommunen, das gilt auch für andere Bereiche, sondern die Beziehungen gibt es zwischen dem Bund und den Ländern, die großen Wert darauf legen, alle 16 Bundesländer, dass sie zuständig sind für die Finanzierung der Kommunen und nicht der Bund. Das Problem liegt auf einem ganz anderen Gebiet: Die Kostenerstattung gegenüber den Kommunen ist in den 16 Bundesländern ganz unterschiedlich. Es gibt Bundesländer, die erstatten den Kommunen die Kosten zu fast 100 Prozent wie der Freistaat Bayern, und es gibt Länder, die tun es gerade einmal zur Hälfte, wie mein Heimatland Nordrhein-Westfalen. Das allerdings ist die Verantwortung der Länder, da hat der Bund überhaupt keine Kompetenz.
    Heckmann: Herr Bosbach, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das ist ja derzeit mit dem Antrag der Länder befasst, die NPD zu verbieten. Karlsruhe hat jetzt kürzlich mehr Informationen über die Gefährlichkeit der NPD angefordert. Dabei spielt eine Rolle die Frage, ob es Gegenden gibt, in denen die NPD die Bürger in Angst und Schrecken versetzt. Sollten die Vorgänge in Tröglitz vor diesem Hintergrund in das Verfahren eingeführt werden? Und welche Folgen könnte dieser ganze Vorgang in Tröglitz für das NPD-Verfahren haben?
    Bosbach: Da wird man auch aus prozessualen Gründen fein differenzieren müssen, ob die konkrete Tat der NPD zugerechnet werden kann. Das ist ja völlig offen, das muss bewiesen werden. Das ist zunächst einmal die Aufgabe der zuständigen Strafverfolgungsbehörden, hier den Täter oder die Täter zu ermitteln, und dann zu fragen: Gibt es Verbindungen zur NPD? Da sollte man jetzt einmal nicht spekulieren. Eine andere Frage ist, ob die NPD dafür verantwortlich ist, dass ein gesellschaftliches Klima entstehen kann, in dem sich solche Täter aufgefordert fühlen, diese Taten zu begehen. Das ist eine andere Frage.
    "NPD tritt aggressiv-kämpferisch gegen den Staat an"
    Heckmann: Die Demonstrationen in Tröglitz sind ja von einem NPD-Funktionär angemeldet worden.
    Bosbach: Eben, eben, deswegen gehe ich ja auch davon aus, dass das im Verfahren thematisiert wird, aber füge hinzu: Die Verfassungsfeindlichkeit der NPD wird sich vor Gericht leicht beweisen lassen können. Sie hetzt gegen Ausländer, antisemitisch, antidemokratisch. Das ist nicht das Problem. Es muss aber auch nachgewiesen werden, dass die NPD aggressiv-kämpferisch gegen den Staat antritt. Das heißt, selbst wenn Mitglieder der Partei Straf- oder gar Gewalttaten begehen, müssen diese Taten der NPD als Partei zugerechnet werden können. Und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt, dass diese Partei auch Chancen und Mittel haben muss, ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu verwirklichen. Das ist eine sehr hohe Hürde. Das ist nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, aber die des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Das heißt, die Latte liegt hoch. Es gibt ja auch erhebliche Skepsis gegen das NPD-Verbotsverfahren. Der Bundesrat ist ja jetzt der einzige Antragsteller. Jetzt liegt der Antrag beim Bundesverfassungsgericht. Jetzt können wir nur gemeinsam hoffen, dass der Verbotsantrag auch Erfolg hat, denn wenn er zum zweiten Mal scheitert, wäre das eine riesige Blamage für den ganzen Staat, nicht nur für die Antragssteller.
    Heckmann: Ich hatte den Rücktritt des ehrenamtlichen Bürgermeisters von Tröglitz bereits angesprochen. Er war ja zurückgetreten, weil diese Demonstration ja vor seinem Haus stattfinden sollte. Jetzt gab es wohl offenbar einen Brief des Bundestagspräsidenten Lammert an den Innenausschuss, wonach der Ausschuss doch bitte das Versammlungsrecht daraufhin mal prüfen und abklopfen solle, gegebenenfalls solche Demonstrationen vor Wohnhäusern von Politikern zu verbieten. Hat sich der Innenausschuss mit der Frage befasst?
    Bosbach: Die Obleute des Innenausschusses haben sich in zwei Sitzungen mit dieser Frage befasst. Wir haben auch Verständnis für das Anliegen des Bundestagspräsidenten. Aber wir glauben, auch vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung, dass schon auf der Grundlage des geltenden Rechtes die zuständigen Versammlungsbehörden genügend Möglichkeiten haben, zu verhindern, dass hier die Privatsphäre zu stark verletzt wird, denn es ist schon ein Unterschied – so kann man es vielleicht deutlich machen –, ob stundenlang unmittelbar vor dem Haus eines Politikers eine Versammlung stattfindet, auch der Zugang zum Haus dadurch blockiert wird, er in seinen Persönlichkeitsrechten stark eingegriffen wird, oder ob lediglich ein Demonstrationszug an einem Haus vorbeizieht, oder aber, ob die Demonstration unmittelbar vor dem Haus stattfindet oder in der Nähe. Die Rechtsprechung sagt: Demonstrationen in Sicht- und Hörweite, die müssen ausgehalten werden. Und wir wollten auch nicht den Eindruck erwecken, als hätten wir jetzt das Ziel, so eine Art Bannmeile um Wohnungen oder Häuser von Politikern zu schaffen. Deswegen glauben wir, dass bei einer Abwägung, auf der einen Seite Freiheit, Demonstrationsrecht, Meinungsfreiheit, auf der anderen Seite Schutz der persönlichen Sphäre der Politiker, schon nach dem geltenden Recht es genügend Möglichkeiten gibt, beides in Einklang zu bringen.
    Heckmann: Der Innenexperte der CDU Wolfgang Bosbach war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Bosbach, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Bosbach: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.