Georg Ehring: "Ein Staatsmann muss sagen, was getan werden muss, und er muss hinterher erklären, warum es nicht getan worden ist." Diese Weisheit hat uns Winston Churchill mit auf den Weg gegeben und Erklärungsbedarf gibt es ja jetzt jede Menge. Der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union wird Konsequenzen haben auch in der Umweltpolitik, und darüber möchte ich jetzt mit Carsten Wachholz sprechen. Er arbeitet in Brüssel beim Europäischen Umweltbüro. Das ist ein Zusammenschluss von Umweltschützern aus der ganzen Europäischen Union. Guten Tag, Herr Wachholz.
Carsten Wachholz: Guten Tag.
Ehring: Herr Wachholz, hat Sie das Ergebnis der Abstimmung genauso überrascht wie wohl die meisten bei uns?
Wachholz: Nein, ehrlich gesagt überrascht nicht. Wir wussten ja, wenn es eine Entscheidung gibt, dass es eine sehr knappe Entscheidung wird. Wir sind vor allen Dingen traurig, weil wir glauben, dass diese Entscheidung eine schlechte Nachricht ist, sowohl für Großbritannien als auch für Europa als auch für alle Leute, die sich im Bereich Umweltschutz engagieren.
"Schlechter für die Umwelt, wenn ein großes Land außen vor bleibt"
Ehring: Großbritannien war ja bisher recht ehrgeizig im Klimaschutz, aber gilt sonst insgesamt als eigenwillig. Wird denn die Umweltpolitik ohne die Briten schwerer oder leichter?
Wachholz: Es ist, ehrlich gesagt, noch etwas früh, um das sagen zu können. Wir glauben generell, dass Großbritannien immer ein wichtiger Mitstreiter in der politischen Debatte war. Sie haben die Klimapolitik ja bereits erwähnt, wo sie sich immer für eine ambitionierte Klimapolitik eingesetzt haben, während sie bei anderen Umweltregulierungen häufig darüber gestritten haben, wie etwas reguliert werden muss.
Aber generell ist es natürlich immer schlechter für die Umwelt, wenn ein großes Land in Europa künftig sich nicht für eine gemeinsame Lösung mehr einsetzen kann, sondern außen vor bleibt. Nehmen Sie das Thema Luftverschmutzung: Es ist offensichtlich, dass alle darunter leiden, wenn ein Land sozusagen komplett andere Regeln verfolgt als die anderen Länder.
Ehring: Glauben Sie denn, dass Großbritannien in der Umweltpolitik jetzt konsequent einen eigenen Weg gehen wird und sich auch von der Regulierung von der EU entfernen wird, oder wird es mehr oder weniger so ähnlich bleiben, wie es bis jetzt ist?
Wachholz: Das ist eine gute Frage. Ich meine, die meisten Gesetzgebungen in Großbritannien wie auch im Rest von Europa basieren auf EU-Regulierung. Man kann darauf aufbauen, man kann auch in einem gewissen Rahmen sich davon differenzieren und national spezifische Regelungen treffen. Aber Fakt ist:
Erst mal bleibt alles so wie es ist, solange die Verhandlungen über einen Austritt Großbritanniens nicht abgeschlossen sind, und danach liegt es in der Entscheidung dieser oder einer neuen Regierung in Großbritannien zu entscheiden, welche Gesetze würden sie denn dann tatsächlich abändern. Weil es ist ja alles letztendlich in nationale Gesetzgebung überführt worden. Man müsste jedes Gesetz quasi aufmachen und abändern. Wir hoffen natürlich, dass die vielen Vorteile, die die Briten im Bereich Naturschutz, saubere Luft, saubere Strände haben, nicht alles über Bord kippen, nur weil sie jetzt auf einmal alles anders machen wollen.
"Verhältnis zu Großbritannien neu sortieren"
Ehring: Im Klimaschutz war ja Großbritannien bisher einer der Treibenden und jetzt könnten die Bremserstaaten, zum Beispiel Polen, Tschechien, Ungarn, größeres Gewicht bekommen in der EU, weil das Gegengewicht wegfällt. Wie negativ wird sich das bemerkbar machen?
Wachholz: Ich glaube, wir werden das nicht sofort bemerken. Zunächst wird es einfach eine Frage sein, in den nächsten Monaten wird sehr viel Energie darin fließen, das Verhältnis zu Großbritannien neu zu sortieren. Die Austrittsverhandlungen werden sehr viel Aufmerksamkeit und Kapazitäten auf sich ziehen. Das heißt, wir befürchten jetzt erst mal, dass es einfach langsamer gehen wird, im Rat zu den anstehenden Beratungen über Luftverschmutzung, über Kreislaufwirtschaft zu Entscheidungen zu kommen. Weil man muss wissen:
Die Engländer, solange sie nicht die Austrittsverhandlungen abgeschlossen haben, sitzen mit am Verhandlungstisch und es wird viel davon abhängen, ob sie sich überhaupt noch zu Wort melden, ob sie sich enthalten. Das alles muss man sehen, wie sich das entwickeln wird, auch dann von der Dynamik her, wie sich dann andere Länder vielleicht stärker in der Debatte positionieren.
Ehring: Es heißt ja, jetzt muss ein Ruck durch Europa gehen. Kann das der Umweltpolitik auch eine neue positive Richtung geben?
Wachholz: Wir haben ja eigentlich schon in der ganzen Debatte versucht deutlich zu machen, dass der Umweltschutz eigentlich eines der wenigen Themenfelder ist, wo die überwältigende Mehrheit der Bürger in Europa eigentlich versteht, dass es Sinn macht, Regelungen im Umweltschutz nicht in jedem Land unterschiedlich zu treffen, weil Natur-, Umwelt- und Klimaschutz keine Grenzen kennen und es Sinn macht, zumindest einen gemeinsamen Rahmen zu vereinbaren.
Offensichtlich haben diese Themen in der Brexit-Debatte eine völlig zu vernachlässigende Rolle gespielt, weil Migration, Geldflüsse, Unabhängigkeit eine viel größere Rolle gespielt haben. Aber wir denken, wenn es jetzt darum geht, eine EU-Agenda wieder neu an den Wünschen und Prioritäten der Bürger auszurichten, dass wir gute Chancen haben, den Umweltschutz weiter voranbringen zu können in Europa.
Ehring: Carsten Wachholz vom Europäischen Umweltbüro - herzlichen Dank.
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