Äußerlich bleibt alles wie gehabt. Der Dudelsackspieler in der Royal Mile von Edinburgh, der uralten Straße, die das Königsschloss mit dem modernen Parlament verbindet, unterhält die Touristenhorden, während die Statue des Reformators Knox wie immer streng zuschaut. Der 26-jährige Jamie arbeitet hier in Edinburgh, als Manager im Einzelhandel, wie er sagt, was wohl etwas bedeutsamer klingt als es ist. Aber er kommt ursprünglich von jenseits der Grenze, aus Newcastle und stimmte für Brexit:
Er begründet das mit Versprechungen, dass England mehr Geld erhalten würde. Er glaubte, als Engländer würde er profitieren. Seine schottische Wahlheimat ließ er dabei außer Acht. Sein Freund Dave ist aus Newcastle zu Besuch. Er dient in der Royal Navy und stimmte ebenfalls für Brexit - aus anarchistischen Gründen:
Politiker seien ohnehin korrupt, da könne ein bisschen Würze nichts schaden. "Schauen wir mal, was da rauskommt."
In der für Fußgänger reservierten Rose Street in der Neustadt von Edinburgh hat sich eine Familie aus Inverness zu einem sonntäglichen Bier getroffen. Die Eltern Linda und Brian, ihr 16-jähriger Sohn Harry und ihr Neffe, Paul, der hier in Edinburgh arbeitet. Paul ist verwirrt:
Es sei desillusioniert, das Ganze sei etwas chaotisch. Er sei enttäuscht, dass die führenden Politiker keine Ahnung hätten, wie es weitergehe.
Seine Tante, Linda, stimmte für den Brexit:
Viele Kompetenzen seien verloren gegangen, allzu viel werde von Bürokraten entschieden.
Hat sie diese Entscheidung seither bereut?
Politischer Opportunismus und schottische Unabhängigkeit
Ehrlicherweise ja, gibt sie zu, und beschuldigt Politiker, nicht ausreichend über die Konsequenzen gesprochen zu haben. Allein, sie wisse auch nicht, wie man das vom Vorwurf der Angstmache trennen sollte. Erhöht dieses Ergebnis die Chancen der schottischen Unabhängigkeit? Paul erinnert daran, dass London ja vor zwei Jahren behauptet hatte, nur im Verbund des britischen Staates könnten die Schotten sicher sein, in der EU zu bleiben. Jetzt ist es umgekehrt. Sein Onkel Brian wittert politischen Opportunismus:
"I am sorry. I voted remain on both occasions." Die schottische Nationalistenpartei SNP koche ihr eigenes Süppchen, anstatt für das Gemeinwohl zu handeln. - Doch seine Frau Linda, die einst gegen die Unabhängigkeit stimmte, ist unsicher geworden:
"Now, if there was another referendum, with the state the country is in, if there was another referendum, I don't know how I'd vote."
Ihr Sohn Harry durfte nicht abstimmen, aber er und seine Freunde seien besorgt, dass ihre Chancen nun beschnitten worden seien - zum Beispiel beim Studium im Ausland. Ärgert er sich, dass eine ältere Generation über seine Zukunft entschieden hat?
Ja, die Alten seien kaum betroffen, die seien dann in Rente oder gar schon tot.
Die Oberfläche erweist sich also als trügerisch. An der Princes Street bringen Musiker die herkömmliche Folklore auf den neuesten Stand, in der Politik steht uns das noch bevor.