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Leben in der digitalisierten Welt
"Amazon erpresst die Verlage"

Alexander Skipis vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat das Geschäftsgebaren von Amazon scharf kritisiert. Der US-Onlinehändler hatte Lieferungen verzögert, um mehr Rabatte von den Verlagen zu bekommen. Amazon sehe Bücher als Wirtschaftsgut und habe "keine Ahnung", was es als Kulturgut bedeute, sagte Skipis im DLF.

Alexander Skipis im Gespräch mit Karin Fischer |
    Ein Mann hält am 28.09.2012 in München (Bayern) ein elektronischen Reader der Marke Kindle in seinen Händen.
    Amazon will einen Preis von 9,99 Dollar für E-Books durchsetzen. (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Karin Fischer: Es gibt ziemlich viel Aufruhr derzeit um Bücher im Netz. Der globale Player Amazon setzt Verlage und sogar Filmriesen wie Disney unter Druck. Deshalb hat sich unter anderem Google jetzt mit Barnes & Noble gegen Amazon verbündet. In Deutschland wurde schon Ende Juni eine Kartellrechtsklage gegen den Versandhändler angestrengt, und in Amerika hat die "New York Times" gerade einen offenen Brief veröffentlicht, in dem mehr als 900 Schriftsteller, darunter so berühmte Autoren wie Steven King und John Grisham, das Vorgehen von Amazon im Streit um die amerikanischen E-Book-Preise scharf verurteilen. Zitat: "Weder Leser noch Autoren profitieren davon, dass Bücher als Geiseln genommen werden", schrieben sie.
    Das alles gehört zum schönen neuen Leben in der digitalisierten Welt, die wir gerade in einer Sommerreihe in dieser Sendung kritisch unter die Lupe nehmen - heute mit Alexander Skipis, dem Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der zwangsläufig auch zum Experten in Sachen Amazon werden musste, denn sein Geschäft sind Bücher und E-Books. Alexander Skipis, wie beurteilen Sie denn diese neuen Fronten, die Amazon in Amerika aufmacht?
    Alexander Skipis: Ja, der einstmals so sympathische Onlinehändler lässt zurzeit seine Maske fallen, und dahinter kommt ein Gesicht zum Vorschein, das eigentlich das Gesicht eines Erpressers ist. Amazon macht nichts anderes, als die Verlage in Deutschland, aber auch in USA zu erpressen. Um mehr Rabatte rauszuholen, blockieren sie einfach die Lieferung oder verzögern die Lieferung von Printbüchern.
    Der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, vor dem Buchmesselogo in Leipzig
    Der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Fischer: Die Methode ist immer ähnlich, Amazon will einen Preis von 9,99 Dollar für E-Books durchsetzen, verspricht dafür mehr Absatz und mehr Geld, nämlich 35 Prozent für die Autoren. Und Amazon reduziert die Titel eines Verlages im Store und liefert verlangsamt aus, wenn der Verlag nicht nachgibt. Mal jenseits noch der deutschen Interessen gesprochen, Alexander Skipis, können Sie die Argumente von Amazon - es gibt ja deutlich reduzierte Kosten für Druck, Lagerung und Auslieferung - nicht nachvollziehen?
    Skipis: Also das ist gerade, was E-Books in Deutschland angeht, ein völliger Irrglaube, das Gegenteil ist richtig. Wir haben in Deutschland einen normalen Mehrwertsteuersatz auf E-Bücher von 19 Prozent, während die Printbücher den reduzierten von 7 Prozent haben. Das bedeutet, E-Bücher sind schon per se um 12 Prozent teurer. Dazu kommt, dass die Investitionen in E-Bücher, in den Vertrieb enorm sind. Es ist eben nicht so, dass man einfach ein Druck-PDF gleich mal ins Netz stellen kann. Also summa summarum ist es nicht richtig, was Amazon da behauptet, aber das ist vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass sie nicht genau verstehen, wie so ein Buchmarkt funktioniert.
    "Vertriebsweg Amazon hat sehr große Bedeutung für Verlage"
    Fischer: In Deutschland stand Bonnier unter Druck - sind die Verhältnisse vergleichbar? Hier fordert Amazon eine Erhöhung der Rabatte auf 40 bis 50 Prozent.
    Skipis: Absolut sind die vergleichbar. Also die bisherigen so üblichen Rabatte von 30 Prozent sollen jetzt auf 50 Prozent erhöht werden, und Nachdruck versucht Amazon zu verleihen ihrer Forderung dadurch, dass sie eben die Lieferung von Büchern behindert. Und das nennen wir schlicht Erpressung. Und deswegen hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels eine Beschwerde beim Bundeskartellamt eingereicht, und mittlerweile hat sich auch die EU-Kommission dafür interessiert und bereits Vorermittlungen gegen Amazon eingeleitet.
    Fischer: Vielleicht können Sie mal kurz Ihre Argumentationslinie noch mal darlegen und vor allem, wie lange dauert das, haben Sie schon was gehört?
    Skipis: Amazon missbraucht unserer Meinung nach eine Marktmacht, indem es eben einer Forderung nach höheren Rabatten dadurch Nachdruck verleiht, dass sie die Auslieferung blockieren. Und damit machen sie einen Vertriebsweg zu, der für Verlage lebensnotwendig ist.
    Fischer: Warum?
    Skipis: Der Vertriebsweg Amazon hat eine sehr große Bedeutung für Verlage, weil es ein sehr wichtiger Vertriebsweg ist. Und deshalb ist es ja gerade so problematisch, dass Verlage genötigt werden, dazu entweder ihre Rabatte zu erhöhen, was dazu führte, dass sie in große Probleme kommen, oder aber sie nicht zu erhöhen und damit ausgelistet werden bei Amazon, was genau solche Probleme erzeugt.
    "Es steht eine große kulturpolitische Frage im Raum"
    Fischer: Amazon ist ja auf der einen Seite "nur", in Anführungszeichen, ein Versandhändler, der sich ja auch nicht nur um Bücher kümmert, das war ja nur der Anfang seines Geschäfts, das sich inzwischen unglaublich ausgeweitet hat. Auf der anderen Seite möchte Amazon gerne auch so etwas wie Lektor, Verleger und Lieferant sein. Was ist das für eine Strategie und inwieweit bedroht sie nicht nur den deutschen Buchhandel, sondern auch das deutsche Verlagswesen?
    Skipis: Also Amazon ist in der Tat nur ein Versandhändler, das bedeutet, dass er das Gut Buch als Wirtschaftsgut behandelt und keine Ahnung davon hat, was es als Kulturgut bedeutet. Das ist die Grundproblematik dieses Onlinehändlers. Und dann kommt hinzu, dass die Strategie von Amazon eine ganz klare ist: Man möchte gerne Monopolist auf dem Markt werden. Jeff Bezos hat selbst gesagt, man muss Verlage jagen wie Gazellen. Sein Ziel ist es, als einziger Intermediär zwischen Autor und Leser zu stehen, und das hätte eine Reduzierung von Qualität und Vielfalt auf dem deutschen Buchmarkt zur Folge, die man sich kaum ausmalen kann. Der deutsche Buchmarkt ist weltweit der zweitgrößte und ein Vorbild weltweit für Qualität und Vielfalt. Und das alles steht auf dem Spiel. Es geht nicht nur um Wirtschaft, es geht nicht nur um die Bequemlichkeit des Käufers, sondern es steht auch eine große kulturpolitische Frage im Raum. Die kulturpolitische Frage ist die: Wie wird das Angebot an Büchern und an Buchinhalten in der Zukunft sein? Denn ohne Buchhandlungen und ohne eine Vielzahl von Verlagen wird das Angebot an Büchern und an Inhalt erheblich reduziert sein - und das ist eine Verarmung der Gesellschaft. Und genau das kritisieren wir.
    "Am Beginn einer gesellschaftspolitischen Diskussion"
    Fischer: Wenn man mit Leuten spricht, denen es um Literatur, um Belletristik geht, dann erfährt man immer wieder: Wir kaufen nicht bei Amazon. Wie groß ist das Problem für den deutschen Buchhandel, Herr Skipis? Es scheint da so eine Art von Grassroots-Bewegungen zu geben, die sagt, wir kaufen nur beim Händler um die Ecke.
    Skipis: Also es entwickelt sich da etwas. Zunächst will natürlich der Buchhandel vor Ort mit seinen Fähigkeiten punkten, und das macht er schon sehr gut. Wir haben viel gelernt, auch von Amazon. Das heißt also, wir kombinieren die Präsenz vor Ort mit der persönlichen Beratung, mit der sofortigen Verfügbarkeit von Büchern und mit einem kulturellen Vermittlungserlebnis in Kombination mit Websites der Buchhandlungen, die genauso funktionieren wie Amazon. Das ist unser großer Vorteil, und damit wollen wir punkten. Und ganz offensichtlich ist jetzt nach der langen Diskussion über das Geschäftsmodell Amazon ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit entstanden, dass man anfängt, über die Konsequenzen seiner Kaufentscheidung nachzudenken. Und deshalb beginnen oft zurzeit die Verkaufsgespräche in den Buchhandlungen mit dem Satz: Ich habe früher bei Amazon gekauft. Das schlägt sich auch in Zahlen in Deutschland nieder. Der stationäre Handel hat erstmalig ein größeres Wachstum als die ganze übrige Buchbranche an den Tag gelegt, und das zeigt uns, dass unser Konzept, nämlich der Multi-Channel-Strategie des Handels vor Ort, aufzugehen scheint.
    Fischer: Der Gegenschlag von Google, über den auch vor ein paar Tagen in der Presse berichtet wurde, soll nun so aussehen, dass das Angebot "Google Shopping Express" - auch da geht es nicht nur um Bücher, sondern es geht um Waren und Produkte, die von Handelsketten nach Haus geliefert werden -, und Google hat jetzt eben auch Bücher von Barnes & Noble in dieses Angebot mit aufgenommen, das für Shopping-Express-Kunden kostenlos ist. Ist das vielleicht auch ein gefährliches Spiel, weil das genau den Beweis dafür liefert, dass Bücher eben doch nur eine x-beliebige Handelsware sind?
    Skipis: Ja, es ist im Prinzip eine Wettbewerbssituation, indem dann unterschiedliche Unternehmen auch versuchen, mit unterschiedlichen Strategien am Markt zu punkten. Wir halten relativ wenig davon. Unser Anliegen ist es in erster Linie, dass wir mit einem erstklassigen Angebot den Kunden überzeugen. Man kann keine Vorschriften machen. Wir wollen mit unserer Leistung überzeugen, und dieses Konzept geht offensichtlich auf: Die Menschen denken über ihre Kaufentscheidungen nach. Genauso wie ich glaube, dass wir mit dieser Diskussion erst am Beginn einer gesellschaftspolitischen Diskussion stehen, die sich auch mit diesen Fragen "was technisch möglich ist, ist nicht unbedingt auch alles gut" auseinandersetzen muss.
    "Amazon will endlich in die Gewinnzone kommen"
    Fischer: Heute erreicht uns auch noch die reichlich absurd klingende aktuelle Meldung, dass Amazon Buchbestellungen aus Deutschland zunehmend über Polen abwickeln will. Was wären dafür gute Argumente, und dient dieses strategische Ziel auch nur dazu, dass Amazon seine Marktmacht ausnutzen möchte?
    Skipis: Selbstverständlich. Sie wollen damit nicht nur ihre Marktmacht, sondern natürlich auch endlich die Gewinnzone kommen mit ihrem Konzept, nämlich dadurch, dass Kosten eingespart werden. Der durchschnittliche Arbeitsplatz in Polen ist mehr als die Hälfte günstiger. In Polen gibt es auch nicht Gewerkschaften wie in Deutschland, die sich intensiv mit der Frage der Arbeitsbedingungen bei Amazon beschäftigen. All dem will offensichtlich Amazon aus dem Weg gehen und nimmt dabei in Kauf, dass es eine geradezu irrsinnige Vervielfachung von Wegen, die Bücher auf der Autobahn zurücklegen, kommen wird. Wir haben das ungefähr mal nachgerechnet, es dürfte sich der Weg des Buches auf der Autobahn bei der Lieferung aus Polen ungefähr verzehnfachen. Das bedeutet entsprechende ökologische Probleme, die so ein Verfahren auslöst. Und Amazon hat schon angekündigt, dass sie ungefähr 40 Prozent des Umsatzes über die polnischen Auslieferungslager machen. Da fragt man sich, was passiert eigentlich dann mit den Auslieferungslagern und den Arbeitsplätzen in Deutschland?
    Fischer: Vielleicht ein kurzes Fazit nach diesem kursorischen Durchlauf durch das Thema Amazon, E-Book, Buchhandel und globalisierte Welt.
    Skipis: Ich glaube, wir haben eine große öffentliche Aufmerksamkeit dafür erreicht, dass das, was technisch machbar ist, und das, was sehr bequem ist, vielleicht nicht unbedingt das Richtige ist. Und insofern stehen wir, glaube ich, am Beginn einer Diskussion, die vielleicht vergleichbar ist mit der Diskussion in den 70er-Jahren zur Umwelt. Auch da waren viele Aspekte, die sehr bequem waren, dann aber erkannt wurden als Aspekte, die der Umwelt nicht zugutekommen.
    Fischer: Herzlichen Dank! Das war Alexander Skipis, Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, zu Amazon und den Geschäftspraktiken des Internethändlers in Bezug auf Bücher und E-Books.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.