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Bund Neues Vaterland
Friedenskämpfer im Ersten Weltkrieg

So begeistert deutsche Soldaten in den Ersten Weltkrieg zogen, so vehement kämpften Friedensaktivisten für ein schnelles Ende des Krieges. Konservative, Liberale und Sozialdemokraten schlossen sich zu einem pazifistischen "Bund Neues Vaterland" zusammen. Heute vor 100 Jahren wurde er gegründet.

Von Bernd Ulrich |
    Der Jurist und Politiker Karl Liebknecht nach einer Kohlezeichnung von Gerhard Augst geboren 1871.
    Der Jurist und Politiker Karl Liebknecht nach einer Kohlezeichnung von Gerhard Augst. Er war eines der bekanntesten Gesichter im Bund Neues Vaterland. (picture-alliance / dpa)
    "In solcher Zeit sieht man, welch trauriger Viehgattung man angehört. Ich empfinde nur eine Mischung aus Mitleid und Abscheu."
    Was Albert Einstein Ende August 1914 an einen Kollegen schrieb, harmonierte so gar nicht mit der vorherrschenden Stimmung im Lande. Insbesondere unter den Intellektuellen dominierte eine völlig besinnungslose Kriegseuphorie. Schwere Zeiten für Friedensfreunde, die in ganz Europa dem Geschehen fassungslos zuschauten – wenn sie nicht selbst im ersten Begeisterungssturm vom Pazifisten zum Bellizisten mutierten. Der 2. Vorsitzende der 1892 unter anderem von Bertha von Suttner gegründeten "Deutschen Friedensgesellschaft", der Stuttgarter Pfarrer Otto Umfrid, schrieb im Rückblick auf den Beginn des Weltkriegs:
    "So wie die Dinge in der Friedensbewegung lagen, hatte ich oft den Eindruck, dass man versuchte, einen in den Abgrund rollenden Lastwagen mit einem Seidenfaden aufzuhalten."
    Auch der bis dahin größte Hort des Pazifismus – die internationale Arbeiterbewegung – hatte auf ganzer Linie versagt und war mit wehenden Fahnen in das große Lager der Kriegsbefürworter gewechselt – nachdem noch in den letzten Julitagen des Jahres 1914 machtvolle Antikriegsdemonstrationen stattgefunden hatten.
    Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, dass sich europaweit neue pazifistisch orientierte Vereinigungen gründeten. In Berlin entstand am 16. November 1914 der BNV, der "Bund Neues Vaterland", hervorgegangen aus einem bereits Anfang Oktober von der Pazifistin Lilli Jannasch gegründeten Verlag gleichen Namens. Die in ihm anklingende, vermeintlich patriotische Ausrichtung bezog sich vielmehr auf ein neues, von massiven Veränderungen geprägtes Deutschland. Der Bund beabsichtigte, wie es im Paragraph 1 der Satzung hieß,...
    "...die direkte und indirekte Förderung aller Bestrebungen, die geeignet sind, die Politik und Diplomatie der europäischen Staaten mit dem Gedanken des friedlichen Wettbewerbs und des überstaatlichen Zusammenschlusses zu erfüllen, um eine politische und wirtschaftliche Verständigung zwischen den Kulturvölkern herbeizuführen."
    Eine Grundvoraussetzung sollte dafür die politische Umwälzung vor allem der deutschen Gesellschaft bilden – eine Umwälzung, die sich einer der Sekretäre des BNV, der spätere erste Regierende Bürgermeister Berlins, Ernst Reuter, - damals ein 25-jähriger, linker Sozialdemokrat – nicht scheute, "revolutionär" zu nennen. Denn, wie es in der Satzung weiter heißt, die dem Frieden dienenden überstaatlichen Zusammenschlüsse könnten erst gelingen, ...
    "... wenn mit dem bisherigen System gebrochen wird, wonach einige Wenige über Wohl und Wehe von hunderten Millionen Menschen zu entscheiden haben."
    BNV wollte keine Massenorganisation werden
    Dabei wollte der Bund, wie der Historiker Wolfgang Benz zu Recht hervorhob, ...
    "... keine Massenorganisation werden, sondern eine Arbeitsgruppe aus einflußreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zustande bringen. Bis zum Herbst 1915 war das einigermaßen gelungen."
    Und zwar in einzigartiger Weise. Denn politische Überzeugungen und Lebensstile der Mitglieder hätten gegensätzlicher kaum sein können. Den Vorsitz übernahm etwa der sozial engagierte Schriftsteller, Pazifist und einstige Sportreiter Kurt von Tepper-Laski, der als preußischer Kavallerie-Offizier seinen Abschied nahm, nachdem er sich geweigert hatte, seine Wachkompanie vor einer Prinzessin stramm stehen zu lassen und deshalb strafversetzt werden sollte. Tepper-Laskis Stellvertreter war der Elektroingenieur und Telefunken-Direktor Georg Graf von Arco, der vermutlich auch Albert Einstein zum BNV brachte. Daneben machten aber auch, so der Pazifismus-Forscher Karl Holl, ...
    "... Vertreter aller Flügel der SPD mit, darunter gelegentlich gar Karl Liebknecht. Außenpolitische Kompetenz wuchs dem Bund durch eine Reihe hochrangiger Diplomaten als Berater zu. Die Mitarbeit namhafter Soziologen und Nationalökonomen – etwa Lujo Brentano oder Leopold von Wiese – sicherten qualifizierte Aussagen des Bundes in seinen Flug- und Denkschriften auf dem Feld der Wirtschaftspolitik."
    Doch das Ende der Arbeit war absehbar. Unter einer Führung, die mehr und mehr auf einen "Sieg-Frieden" setzte, mussten die profunden Memoranden des BNV gegen die deutschen Annexionspläne und sein vehementer Einsatz für einen Verständigungsfrieden provokativ wirken. Bereits am 7. Februar 1916 wurde dem Bund jede Betätigung für die Dauer des Krieges untersagt. Im Oktober 1918 vermochte er sich neu zu formieren und gab sich – nach französischem Vorbild – seit dem Januar 1922 den Namen "Deutsche Liga für Menschenrechte".