Die Bundesliga sei eine der wenigen Ligen international, die erkannt habe, dass zu ihren Stärken die Atmosphäre im Stadion gehöre und dass der Fan genauso wichtig sei wie der Profispieler, sagte Reng. Deshalb seien die Ticketpreise in Deutschland deutlich billiger als beispielsweise in England. Auch dass man beim Training bei den meisten Vereinen noch zugucken könne, sei etwas Besonderes.
Alles ein Event
Die Fans und damit der Klang der Stadien haben sich nach Rengs Ansicht allerdings verändert in den vergangenen 20 Jahren. Heute ginge kein Raunen mehr über die Tribüne, wenn ein Spieler einen überraschenden Angriff laufe. "Die Fans spulen ihre Lieder ab und teilweise habe ich den Eindruck, sie feiern sich mehr selbst als den Fußball", sagte Reng. Alles sei ein Event geworden, das "Drumherum" sei wichtiger als das eigentliche Spiel. Diejenigen, die sich für Spieltaktik und den strategischen Kampf zweier Mannschaften interessierten, seien immer schon in der Minderheit gewesen. Es kämen aber heute noch mehr Leute ins Stadion, die "einfach dabei sein" wollten. "Die Emotionen des Lebens werden im Fußball nachgespielt", so Reng, "und das wollen sehr viele miterleben."
Sportliche Mono-Kultur
Reng hat keinen Fernseher mehr. "Um mich selbst zu schützen, und weil ich es irgendwann ermüdend fand", wie er sagte. Fußball werde jetzt jeden Tag übertragen, es habe sich eine sportliche Mono-Kultur entwickelt. Das habe alle anderen Sportarten erdrückt.
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Das Warten hat ein Ende! Fast drei Monate ohne Bundesligafußball im Land des amtierenden Weltmeisters! Fans, Trainer, Spieler und Funktionäre fiebern diesem Auftaktwochenende der 53. Saison in der Eliteklasse entgegen, der große Titelfavorit und der Titelverteidiger Bayern München hat am Abend den Auftakt eingeleitet gegen den HSV.
O-Ton Spielmoderation: Alonso chippt den Ball herein, Kopfball und Tor! Tor durch Medhi Benatia, mit dem Kopf drückt er den Ball aus drei Metern in die Maschen, vorbei an René Adler, Bayern führt mit eins zu null!
Müller: Das war es also, das erste Tor dieser Saison, fünf zu null heißt es am Ende für die Bayern. Die Bundesliga, ein Erfolgsprodukt made in Germany, hier stimmt auch die Nachfrage im Inland. 15 Millionen Fans jedes Wochenende am Bildschirm, über 13 Millionen kamen vergangenes Jahre ins Stadion, die TV-Rechte kosten zweieinhalb Milliarden Euro, ebenfalls zweieinhalb Milliarden erzielten die 18 Topvereine an Umsatz. Bayern München davon alleine 480 Millionen. Wir sind nun verbunden mit dem Sportjournalisten und Buchautor Ronald Reng. Guten Morgen!
Ronald Reng: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Reng, die Fußballbundesliga, ist das wichtiger als das Griechenlandpaket?
Reng: Für viele Menschen, muss man sagen, leider schon, ja, definitiv. Aber ich glaube, das war immer so. Wir leben ja nicht nur für die ernsten Sachen, für unsere Probleme, sondern die Menschen haben sich immer auch vergnügt, das war schon im alten Rom so. Und ich würde das auch gar nicht immer so abtun. Also, ich finde, das Leben ist durchaus reichhaltiger, wenn es etwas spielerischer zugeht, wenn man sich trotz aller Sorgen nicht nur in Griechenland, sondern auch im eigenen Land auch samstags wieder mit dem Spiel beschäftigen kann.
Müller: Das wird immer gelten, Brot und Spiele?
Reng: Ich denke schon, das gehört zum Menschen dazu. Und ich sehe darin auch nichts Verwerfliches.
Bundesliga hat die Bedeutung der Atmosphäre im Stadion erkannt
Müller: Ist es verwerflich, dass die Bundesliga immer teurer wird, dass die Spieler immer teurer werden, dass die Motivation immer schwieriger wird zum Teil, herzustellen, dass die Bundesliga vielleicht in ihrer Leistungsspitze ein bisschen wegrückt vom Fan?
Reng: Jein. Ich glaube, die Bundesliga ist eine der wenigen Ligen, die erkannt hat, dass zu ihren Stärken das Ambiente, die Atmosphäre im Stadion gehört, dass der Fan genauso zur Bundesliga gehört wie der Profispieler, wie der Superstar. Deswegen sind die Ticketpreise in der Bundesliga noch um Deutliches billiger als in vergleichbaren Länder wie Italien, Spanien oder in England zum Beispiel. Also, Sie können immer noch sich eine Dauerkarte kaufen bei Bayern München für alle 17 Spiele und zahlen dafür, aus dem Kopf würde ich sagen 180 Euro. In England vergleichbar würden Sie das Drei- oder Vierfache zahlen. Deswegen sind sich die Bundesligavereine sehr wohl bewusst, dass diese vollen Stadien, dieser Gesang in den Stadien dazugehört zum Spiel. Und das ist eine Erkenntnis, die hier stärker ausgeprägt ist als in anderen Ländern. Auch dass man beim Training zum Beispiel bei den meisten Vereinen noch zugucken kann. Das ist eigentlich für die Spieler störend und die Spieler murren auch darüber. Aber die Vereine machen das, weil sie sagen, die Fans gehören dazu.
Müller: Es gibt ja viele eingefleischte Fans, also die vielleicht schon vor 20, 30, 40 Jahren Fußballfans waren, überzeugte Fußballfans, als Spitzenspieler in der Bundesliga manchmal auch nur 8.000 oder 12.000 Zuschauer gebracht haben. Wenn die heute ins Stadion gehen, dann sagen die, ach, da sind viele Menschen, nur ganz wenige Fußballfans.
Reng: Da ist auch was dran und die Fans an sich haben sich aber auch verändert. Also, ich gehe auch ins Fußballstadion und es ist in der Tat eigentlich schöner heutzutage, in diesen durchaus auch komfortablen Stadien zu sitzen, als früher noch mit 8.000 in einer weiten Betonschüssel zu stehen. Aber was sich verändert hat, ist der Ton, der Klang des Stadions. Und die Fans heute reagieren leider überhaupt nicht mehr oder ganz selten nur noch aufs Spiel. Also, wenn eine Mannschaft einen überraschenden Angriff läuft, dann wird nicht mehr geraunt und oh, sondern die Fans spulen ihre Lieder ab, teilweise habe ich den Eindruck, die feiern sich mehr selber als den Fußball. Das ist in der heutigen Zeit alles, sagen wir, ein Event geworden, also, das Drumherum ist viel wichtiger geworden als die Sache an sich im Vergleich zu vor 20 Jahren.
Fußball hat alle anderen Sportarten erdrückt
Müller: Also, ich frage da jetzt noch einmal nach: Das sind also dann ganz oft gar keine richtigen Fans?
Reng: Ja, ich glaube, dass ... Man kann ja Fan auf verschiedene Art sein. Und die Fans, die das Spiel an sich, die Taktik, der strategische Kampf zweier Mannschaften interessiert hat, die waren immer weniger. Es sind natürlich jetzt noch immer mehr Leute ins Stadion gekommen, die wollen einfach dabei sein bei diesem Event, das ist ein Zeichen unserer Zeit, man geht dahin, wo viele Menschen zusammenkommen, ob es jetzt ein Musikfestival ist oder ein Fußballstadion, viele wollen einfach dabei sein und, ja, spüren, wie Leute sich ärgern und sich freuen. Und das kriegt man natürlich beim Fußball par excellence. Eine Mannschaft ärgert sich immer, weil sie verliert, die andere gewinnt. Also, die Emotionen des Lebens werden im Fußball nachgespielt und das wollen sehr viele miterleben.
Müller: Reden wir über die Übertragung, über die TV-Rechte. Nicht en détail, aber wenn Sie in die Programmzeitschrift schauen – ich weiß nicht, ob Sie noch Fernsehen gucken, das ändert sich ja auch –, aber da hat man das Gefühl, so jeden Tag läuft Fußball, auch in den Öffentlich-Rechtlichen. Das kostet ganz viel Geld, sehr, sehr viel Geld, ist sehr teuer, verdrängt andere Programminhalte. Ist das okay?
Reng: Deswegen habe ich zum Beispiel auch keinen Fernseher mehr, um mich selbst zu schützen und weil ich es irgendwann auch nicht mehr ... weil ich es irgendwann ermüdend fand. Es ist in der Tat so, Fußball wird jetzt jeden Tag übertragen fürs Fernsehen und das hat alle anderen Sportarten zum Beispiel erdrückt. Vor zehn, 20 Jahren haben sich viele Leute noch für die Leichtathletik interessiert, die sind auch zum Teil selber schuld, weil sie das Dopingproblem nicht in den Griff gekriegt haben. Aber heute haben wir eine sportliche Monokultur des Fußballs und wir haben fast auch schon eine Monokultur der Unterhaltung, jeden Abend Fußball. Der Krimi sonntags macht vielleicht noch die Ausnahme, der kann da noch mithalten. Und es ist offenbar so, dass viele Leute den Fernseher einschalten und da laufen 22 Spieler und da läuft ein Ball, und da bleiben sie fasziniert hängen. Ich weiß nicht, ob das irgendwann mal zum Overkill führen kann, das Gefühl ist auf jeden Fall da, dass das eigentlich schon zu viel ist, dass es vor allem beliebig wird, dass der Sport sich selber damit schadet. Und es gibt ja auch Stimmen in der deutschen Fußballliga, dass man jetzt auch schon Spiele ... den Spieltag noch weiter fächern müsste, dass man Spiele sonntags um zwölf Uhr mittags austragen müsste, damit die Chinesen und Japaner auch noch mehr Bundesliga schauen. Ich bin da eher skeptisch, aber vielleicht haben wir Menschen immer so das Gefühl, oh, noch mehr, das kann doch gar nicht gutgehen! Aber das Gefühl ist auf jeden Fall da, es wird langsam beliebig, zu viel.
Bayern-Dominanz eine Folge der Kommerzialisierung
Müller: Dann haben Sie, Herr Reng, das vielleicht gar nicht mitbekommen, dass neulich sogar der Audi Cup übertragen worden ist, also Freundschaftsspiele, auch gar kein Problem heutzutage.
Reng: Ja, ich glaube ...
Müller: Aber lassen Sie uns zum Schluss vielleicht noch mal ganz kurz so die sportliche Seite noch einmal näher betrachten! Der englische Fußballprofi Gary Lineker hat ja mal gesagt, Fußball ist, wenn 22 in einem Stadion herumlaufen, spielen und am Ende gewinnt Deutschland, so ungefähr hat er es formuliert, aus dem Kopf. Ist die Bundesliga, wenn 22 Spieler rumlaufen und am Ende wird Bayern München deutscher Meister?
Reng: Das ist im Moment so. Das ist auch eine Folge der Kommerzialisierung, des Geldes, dass Bayern München so lange in der Champions League jetzt gespielt hat jedes Jahr, wo es sehr viel mehr Geld gibt als für normale Bundesligisten. Der Umsatz von Bayern München ist ja viermal so groß wie von fast allen anderen Bundesligisten ...
Müller: 480 Millionen hatte ich zu Beginn noch mal gesagt ...
Reng: Genau, die meisten Bundesligisten haben so um die 100 Millionen, wenn sie ganz gut dabei sind, Dortmund und Schalke ragen ein bisschen heraus. Und Bayern München hat es verstanden, diesen Vorsprung aus ihrer Sicht fantastisch zu nutzen, indem sie eine Mannschaft zusammengekauft haben, die in der Qualität bis zum 22. Spieler deutlich besser ist als alle anderen. Und dass sie da nicht gewinnen, da muss schon sehr viel Negatives zusammenkommen für sie.
Die Gegner der Bayern sind einfach zu schlecht
Müller: Die haben nur einen schlechten Trainer?
Reng: Wirklich? Davon habe ich noch nichts mitgekriegt!
Müller: Ich meine, ist meine Frage so ein bisschen! Also eine These, die eine Frage sein soll!
Reng: Ah, ich dachte, das war eine Feststellung von Ihnen!
Müller: Nein, nein, glaube ich gar nicht!
Reng: Ich bin sehr überrascht davon, wie wenig Guardiola in Deutschland angenommen wird. Er ist ein fantastischer Trainer und hat der Bundesliga etwas ganz Neues gegeben, seine Art, Fußball spielen zu lassen, also dass seine Mannschaft immer versucht, den Ball zu besitzen und mit sehr langen Passstafetten, teilweise technisch atemberaubenden Passstafetten den Gegner zu erdrücken. Das Problem ist, dass die Gegner einfach zu schlecht sind und dafür kein Mittel haben. Aber ich finde, es ist eine absurde Umdrehung der Tatsachen, dass das jetzt Bayern München vorgeworfen wird, dass sie zu gut sind, und dass deswegen der Trainer kritisiert wird, dass die Spiele zu langweilig sind. Also, man kann ja nicht vom Trainer erwarten, dass er seine Mannschaft absichtlich verrücktspielen lässt, damit die Spiele spannender werden!
Müller: Der Sportjournalist und Buchautor Ronald Reng über den Auftakt der 53. Fußballbundesliga. Vielen Dank für das Gespräch, danke, dass Sie so früh für uns Zeit gefunden haben!
Reng: Danke, Herr Müller!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.