Auf Glaser entfielen in den ersten beiden Wahlgängen 115 beziehungsweise 123 Stimmen, wie der neu gewählte Bundestagspräsident Schäuble mitteilte. Notwendig wären 355 gewesen. Im dritten Anlauf hätte es dem AfD-Politiker gereicht, wenn er mehr Ja- als Nein-Stimmen bekommen hätte. Doch nur 114 votierten für, 545 gegen ihn. 26 Abgeordnete enthielten sich. Nun muss der Ältestenrat entscheiden, wie es weitergeht.
Jeder Fraktion im Bundestag steht das Recht zu, einen der Stellvertreterposten im Parlamentspräsidium zu besetzen. Gegen Glaser hatte sich schon im Vorfeld Widerstand geregt, weil er den Islam als politische Ideologie bezeichnet und in Abrede gestellt hatte, dass sich Muslime auf die im Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit berufen können.
Eine der Thesen des Juristen Glaser lautet, der Islam sei eine "Konstruktion", die selbst keine Religionsfreiheit kenne. "Wer so mit einem Grundrecht umgeht", so Glasers Schlussfolgerung, "dem muss man das Grundrecht entziehen".
Schäuble und fünf Stellvertreter gewählt
Die Kandidaten der anderen Fraktionen für die Vize-Posten wurden im ersten Wahlgang gewählt. Die meisten Ja-Stimmen erhielt mit 507 Hans-Peter Friedrich (CSU), während Thomas Oppermann (SPD) mit 396 am schlechtesten abschnitt. Wolfgang Kubicki (FDP) und Claudia Roth (Grüne) erhielten jeweils 489 Ja-Stimmen. Auch Petra Pau (Die Linke) wurde mit 456 Stimmen parteiübergreifend unterstützt.
Bei der Wahl zum Bundestagspräsidenten hatte der bisherige Finanzminister Schäuble 501 von 705 abgegebenen Stimmen erhalten. Er tritt damit die Nachfolge seines Parteikollegen Norbert Lammert an, der dem neuen Parlament nicht mehr angehört. Schäuble würdigte in seiner Antrittsrede die Arbeit Lammerts.
Mit Blick auf den Einzug der AfD in das Parlament sagte Schäuble, die aktuelle Konstellation spiegele die Veränderung in der Gesellschaft wider. Demokratischer Streit sei notwendig, aber es sei Streit nach Regeln, so Schäuble. Zur parlamentarischen Kultur gehöre es, diese Regeln nicht als verräterisch oder sonst wie zu denunzieren, sondern die Beschlüsse der Mehrheit zu akzeptieren.
Solms warnt vor Sonderregelungen
Vor der Wahl Schäubles hatte der FDP-Politiker Hermann Otto Solms als Alterspräsident die Sitzung eröffnet. Er mahnte die alten und neuen Parlamentarier, ihrer Verantwortung als Volksvertreter gerecht zu werden: "Abgeordneter des Deutschen Bundestages zu sein, ist eine große Ehre, aber eine noch viel größere Verpflichtung." Der Bundestag bestimme die Regierung, nicht umgekehrt. Solms rief dazu auf, sich in der neuen Legislaturperiode auf inhaltliche Auseinandersetzungen zu konzentrieren. Mit Blick auf die erstmals im Bundestag vertretene AfD warnte er davor, Sonderregelungen zu schaffen und irgendjemanden auszugrenzen. Alle Abgeordneten hätten das gleiche Mandat, das mit den gleichen Rechten und Pflichten einhergehe. Mit 709 Abgeordneten ist der neue Bundestag so groß wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik.
AfD scheitert mit Antrag
Die AfD hatte zuvor versucht, Solms Rede zu verhindern. Sie beantragte, die Sitzung nicht vom Alterspräsidenten, sondern durch einen Versammlungsleiter eröffnen zu lassen. Dies lehnten die anderen Abgeordneten ab. Hintergrund ist, dass die Geschäftsordnung des Bundestages geändert worden war, um zu verhindern, dass ein AfD-Politiker als Alterspräsident die erste Sitzung des neugewählten Bundestages eröffnet.
In der Neufassung ist festgelegt, dass nicht wie bisher der älteste Abgeordnete diese repräsentative Funktion übernimmt, sondern derjenige, der am längsten dem Parlament angehört. Dies ist eigentlich Schäuble. Weil er Bundestagspräsident werden sollte, war die Sitzung aber von Solms eröffnet worden, der das zweithöchste Dienstalter aufweist.
Wir übertragen die konstituierende Sitzung des Bundestages im Livestream unter www.deutschlandfunk.de/bundestag sowie im Digitalradio.
(gri/mg/ach)