Archiv

Bundestagsvizepräsidentin Roth (Grüne)
"Deutsche Fußballer sind Botschafter für eine bunte Gesellschaft"

Sportlerinnen und Sportler sollten sich äußern und einmischen, sagte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne). Es seien schließlich mündige Bürger. Aber sie seien keine Ersatzdiplomaten und man könne nicht erwarten, dass sie eine menschenrechtsorientiertere Position vertreten als die deutsche Bundesregierung.

Claudia Roth im Gespräch mit Marina Schweizer |
    Die Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth
    "Es gab immer eine Grenze, über die gehst du nicht rüber", sagt die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) über die Debattenkultur im Bundestag vor dem Einzug der AfD (dpa / Maurizio Gambarini)
    Marina Schweizer: Wir greifen eine Debatte auf, die sich diese Woche wie unter einem Brennglas bündelte. Die Frage nach der Politisierung des Sports. Allen voran in der Deutschen liebster Sportart, dem Fußball. Vier Wochen vor dem Beginn der Fußball-WM diskutierte das Land über die Foto-Pose zweier deutscher Nationalspieler mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Nahezu zeitgleich machte WM-Gastgeber Russland Schlagzeilen, indem der dem deutschen Investigativ-Journalisten Hajo Seppelt das Visum vorerst entzog. Mangelnde Pressefreiheit und Menschenrechtsverletzung auch beim WM-Gastgeber ein großes Thema.
    Wie politisch darf, kann und muss der Sport sein? Das sind Fragen, die sich Claudia Roth nicht nur als Fußball-Fan stellt, sondern auch als Mitglied in der Kulturstiftung des Deutschen Fußballbundes. Frau Roth, was haben Sie als Erstes gedacht, als Sie das Bild von Mesut Özil, Ilkay Gündogan und Erdogan gesehen haben?
    Claudia Roth: Ja, ich habe erst mal, glaube ich, ziemlich tief durchgeschnauft und habe gedacht: Meine Güte, warum sind die so bescheuert? Also, ich habe mir gedacht, das ist ein wirklich blödes und ein ärgerliches Bild. Warum machen die das denn? Warum lassen sich so großartige Fußballer, wie Gündogan und Özil, gebrauchen oder missbrauchen für eine Wahlkampf-Tournee von Herrn Erdogan, der ja am 24. Juni eine Wahl gewinnen will?
    "Selbstverständlich sollen auch Sportler sich äußern"
    Was ich mir nicht überlegt habe, was andere ja gesagt haben oder versucht haben zu sagen, ist das: "Ja, warum? Die sollen Fußball spielen und ansonsten sich aus allem raushalten." Das halte ich für wirklich falsch, denn es sind mündige Bürger und selbstverständlich sollen sich auch Sportler, Sportlerinnen, Fußballer, Fußballerinnen äußern, sich einmischen, einbringen. Das ist ihr gutes Recht. Ich würde es mir sogar manchmal noch mehr wünschen, dass sie zeigen, dass sie aus einem Land kommen, wo Demokratie und Rechtsstaat herrscht, aber sie sollen eben aufpassen und nicht so naiv sein zu glauben, dass so ein Bild dann nicht eine Riesenwelle erzeugt.
    Schweizer: Kritik gab es ja selbst von der Kanzlerin, mitgeteilt durch ihren Sprecher: Die Situation habe Fragen aufgeworfen und zu Missverständnissen eingeladen. Darf ein Fußballer einem Präsidenten nur ein Trikot überreichen, wenn der für Frieden, Freiheit und Demokratie steht?
    Roth: Na ja, also da wäre ich an Frau Merkels Stelle ziemlich vorsichtig. Denn es war genau unsere Bundeskanzlerin, die bei der letzten Wahl in der Türkei nach Ankara gefahren ist, große Bilder mit Herrn Erdogan gemacht hat, die Opposition nicht besucht hat. Was dazu geführt hat, dass viele Vertreter der Opposition in der Türkei sich bitter beschwert haben und gesagt haben, da macht die deutsche Kanzlerin für Erdogan Werbung in einer Wahl, für jemanden, der nun mit Menschenrechten gar nichts am Hut hat, der Journalisten und Journalistinnen einsperrt, die Pressefreiheit hinter Gittern sperrt, die Opposition kriminalisiert, der den Ausnahmezustand wieder verlängert hat, in dem man eigentlich gar keinen sinnvollen oder fairen Wahlkampf führen kann. Also, das fand ich, ehrlich gesagt, eine ziemliche wohlfeile Reaktion der Kanzlerin und von anderen Politikern.
    "Frau Merkel sollte sich an die eigene Nase fassen"
    Denn was will ich denn bitte schön von den zwei Fußballern verlangen, wenn auf der anderen Seite die Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel an die Türkei Millionen Rüstungsgeschäfte macht, und zwar bis zum heutigen Tag. Das hat sich nicht verändert, auch nicht durch den völkerrechtswidrigen Angriff auf Afrin. Es werden Rüstungsexporte geliefert in die Türkei. Es gibt einen Flüchtlingsdeal mit Herrn Erdogan. Es gab ziemlich lang ein lautes Schweigen auch zu den Verfolgungen, zur Repression von Künstlern und von Oppositionellen, von Christen, von Aleviten in der Türkei. Und man hat ja versucht den Eindruck zu erwecken, dass mit der Freilassung, was kein Freispruch war, von Deniz Yücel die Welt wieder in Ordnung ist. Ist sie nicht.
    Deswegen noch mal: Also, Frau Merkel sollte sich an die eigene Nase fassen und nicht die zwei Fußballer, die naiv etwas gemacht haben, was ich blöd fand, schade fand… ich hätte zum Beispiel richtig gut gefunden, wenn die beiden sich mit Deniz Naki solidarisiert hätten. Das ist ein ganz toller Fußballer, ein ganz, ganz toller Fußballer, der…
    Schweizer: Ein kurdischer Fußballer.
    Roth: Ein kurdischer Fußballer, kurdisch-deutscher Fußballer, der bei St. Pauli gespielt hat, der dann bei Diyarbakir gespielt hat, der jetzt in der Türkei, weil er sich als, ja, als mündiger Bürger eben geäußert hat zu dem Friedensprozess beziehungsweise zu der Gewalt in der Türkei, lebenslang gesperrt wird, auf den Angriffe passiert sind, der angegriffen worden ist. Und der hat sich jetzt sehr geärgert und hat auch kritisiert. "Was machen die eigentlich? Warum machen die so ein Foto? Warum schreibt Gündogan da drauf "für meinen Präsidenten"? Was soll das?" Also, Naki, ich verstehe, dass er sich ärgert. Und ich hätte mir gewünscht, dass die beiden Spieler sich nicht instrumentalisieren lassen, sondern dass sie sich solidarisieren.
    "Unsere Nationalmannschaft ist das Abbild unserer Gesellschaft"
    Schweizer: Die Botschafterfunktion wird da ja immer wieder angesprochen. Auch der Deutsche Fußballbund hat ja diesen Auftritt kritisiert. Aber es ist auch gerade der Deutsche Fußballbund, der dieses gesellschaftliche Rollenbild der Botschafter und der Vorbildfunktion pflegt. Präsident Reinhard Grindel hat den Auftritt mit den Worten kritisiert, der Fußball und der DFB stünden für Werte, die von Herrn Erdogan nicht hinreichend beachtet würden. Fußballer als Botschafter. Werden die Spieler damit nicht überhöht?
    Roth: Tatsächlich glaube ich, sind die wirklich Botschafter. Die deutschen Fußballer sind Botschafter für eine Idee einer Demokratie, eines Rechtsstaates, einer vielfältigen, bunten Gesellschaft, eines Landes, das ohne Wenn und Aber eine multikulturelle und multireligiöse Realität hat. Also, unsere Nationalmannschaft ist ja eigentlich das Abbild unserer Gesellschaft. Da sind Menschen, deren Wurzeln, deren Großeltern aus der Türkei, aus Tunesien, aus Polen, aus unterschiedlichen Ländern kommen. Und das ist Deutschland heute. Insofern ist alleinig die Tatsache, was heute die deutsche Nationalmannschaft darstellt, etwas, was wir in der jetzigen Auseinandersetzung ja erleben. In welchem Land leben wir und in welchem Land wollen wir leben? Und deswegen muss man jetzt rückblickend auf die letzten Tage sehr aufpassen mit der Kritik an Özil und an Gündogan, weil das natürlich laut getönt wird von der AfD, die aber immer schon etwas dagegen hatte, dass Menschen mit Migrationsgeschichte in der Nationalmannschaft spielen können.
    Also, sie sind Botschafter, sie sind Botschafter einer Idee. Was ist dieses Deutschland heute? Man darf es aber nicht überhöhen und man darf jetzt nicht erwarten, dass sie Ersatzdiplomaten sind oder dass sie gar eine menschenrechtsorientiertere Position vertreten, als es die deutsche Bundesregierung tut. Ich würde mir oft wünschen, dass die Spieler, ja, sich deutlich zu Wort melden, wie es beispielsweise Mats Hummels getan hat auf dem Platz, als er bei einem Spiel, wo sich deutsche angebliche Fans unsäglich rechtspopulistisch, rechtsextrem, widerwärtig benommen haben und Hummels dann gesagt hat: "Vor denen verbeugen wir uns nicht, das sind nicht unsere Fans." Das ist ein gutes Zeichen. Also, Botschafter ja, allerdings müssen sie natürlich gut spielen. Also, die Autorität des Botschafters hört ganz schnell auf, wenn sie ein Spiel nach dem anderen verlieren.
    "Ich habe sehr bedauert, dass Draxler diesen Brief geschrieben hat"
    Schweizer: Ich möchte noch mal auf die Werte des DFB zurückkommen, die da ja auch kommuniziert wurden. Wo sehen Sie denn die Werte des DFB da? Ich denke zum Beispiel auch an Julian Draxler als Kapitän der Mannschaft beim Confed Cup in Russland. Der hatte einen offenen Brief geschrieben, in dem er Gastgeber Russland und das Organisationskomitee öffentlich gepriesen hat. Das wurde auf der DFB-Website dann auch gepostet. Und da war eben gar kein kritisches Wort zu Menschenrechten enthalten.
    Roth: Ja, das ist eben… da haben Sie recht. Die Glaubwürdigkeit kriegt da erhebliche Risse. Da fängt es an zu wackeln, wenn dann solche Hochpreisung kommt in einem Land, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Das ist Russland heute, wo übrigens die Pressefreiheit auch schon letztes Jahr beim Confed Cup massiv eingeschränkt worden ist, wo gesagt wurde: Ja, Journalisten und Journalistinnen dürfen nur über das berichten, was auf dem Rasen, also auf dem Platz stattfindet. Aber Sportberichterstattung, die ich wirklich liebe – das ist jetzt auch mal ein Dankeschön und Lob an Sie – die zeigt ja das Umfeld, in welchem Umfeld finden solche Großereignisse statt. Und es war von Anfang an aus meiner Sicht durchaus kritikwürdig – jetzt sage ich es diplomatisch –, dass überhaupt eine Weltmeisterschaft in Russland stattfindet.
    Und ich habe das sehr bedauert, dass Draxler diesen Brief geschrieben hat, oder dass er angehalten worden ist von den, ja, vom Vorstand, von den Vertretern des DFB, so einen Brief zu schreiben, weil das hat ja mit der Realität in Russland nichts zu tun. Auch zu diesem Zeitpunkt war die Krim völkerrechtswidrig annektiert. Auch zu diesem Zeitpunkt hat in der Ostukraine ein Krieg und Gewalt stattgefunden. Auch zu diesem Zeitpunkt sind Schwule und Lesben Opfer von Gewalt und von Repression in Russland, ähnlich wie oppositionelle Gruppen. Und da ist es dann… da fängt dann so ein Wertefundament an zu wackeln.
    Rückfall in alte Debattenmuster?
    Schweizer: Wir wollen später noch auf die WM in Russland kommen, auch noch auf die Causa Hajo Seppelt. Lassen Sie uns trotzdem gedanklich zunächst noch mal bei Mesut Özil und Ilkay Gündogan bleiben. Es sind ja auch momentan heikle Zeiten im deutschen politischen Diskurs. In diesem Land dominiert eine heftige Debatte um Migration und auch Integration. Die Agenda zeigt nun die Debatte um vermeintliche Integration um Gündogan und Özil, dass man nicht weitergekommen ist von dem Punkt damals – wer singt die Nationalhymne mit?
    Roth: Ja, also das ist ja diese alte Nummer im Rechts-außen-Spektrum, dass man nur ein guter deutscher Nationalspieler ist, wenn man die Nationalhymne mitsingt.
    Schweizer: Ist das nur im Rechts-außen-Spektrum so?
    Roth: Nein, aber sagen wir mal, von denen kommt es ja immer wieder. Also, ich bin halt geprägt, weil sofort wieder die Verdächtigen getwittert haben und geschrieben haben, dass sie endlich mal eine wirklich deutsche Nationalmannschaft wollen. Das knüpft an an solche Sätze, die Herr Gauland über Boateng, einen der besten Abwehrspieler der Welt, ein Berliner, von sich gegeben hat. Also, gehört jemand wie Boateng zur einer deutschen Nationalmannschaft? Selbstverständlich. Und gehört so ein Özil dazu? Gehört ein Khedira dazu? Selbstverständlich gehören die dazu. Und da spielt doch nicht eine Rolle, ob sie jetzt die Nationalhymne mitsingen oder nicht, sondern ob sie gute Fußballer sind, ob sie gut spielen. Das finde ich das Allerwichtigste und nicht die Debatte, wer darf überhaupt dieses Land repräsentieren.
    "Sofort fing diese Debatte an: Wer gehört zu diesem Land?"
    Weil genau das ist ja, was jetzt auch in den letzten Tagen wieder an Fahrt aufgenommen hat, dass man anfängt, viel weniger jetzt über Erdogan und wen die da möglicherweise jetzt unterstützen, möglicherweise sogar unterstützen in der Bewerbung um die Europameisterschaft. Ich glaube nämlich, dass…
    Schweizer: 2024.
    Roth: Ja, ja, dass Erdogan das sicher mitgedacht hat. Er ist ja auch auf dem Werbefeldzug, dass die Türkei endlich mal so eine große Meisterschaft bekommt. Und da stehen Deutschland und die Türkei sich als Konkurrenten gegenüber. Und möglicherweise hat er die doppelt noch mal für seine eigene Kampagne benutzt, die Herren Özil und Gündogan.
    Fußball: DFB-Pokal, FC Bayern München - Borussia Dortmund, Finale am 21.05.2016 in Olympiastadion, Berlin. (l-r) DFB-Präsident Reinhard Grindel, Claudia Roth ( Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und der Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD), aufgenommen vor Spielbeginn. Foto: Kay Nietfeld/dpa (Wichtiger Hinweis: Der DFB untersagt die Verwendung von Sequenzbildern im Internet und in Online-Medien während des Spiels (einschließlich Halbzeit). Sperrfrist! Der DFB erlaubt die Publikation und Weiterverwertung der Bilder auf mobilfunkfähigen Endgeräten (insbesondere MMS) und über DVB-H und DMB erst nach Spielende.) | Verwendung weltweit
    Fußballfans im Stadion, v.l.n.r.: DFB-Präsident Grindel, Grünen-Politikerin Roth, Steinmeier (SPD, damals Außenminister), Lammert (CDU, damals Bundestagspräsident) und Berlins Bürgermeister Müller (SPD) (dpa)
    Aber es fing ja sofort an, diese Debatte: Wer gehört eigentlich zu diesem Land? Und das erlebe ich eben jeden Tag im Deutschen Bundestag, den Versuch zu definieren: Wer gehört dazu? Gehört jemand, der eine türkische Migrationsgeschichte hat, dazu? Gehört dieser Mensch gleichberechtigt dazu? Kann der jemals ein richtiger Nationalspieler sein? Natürlich kann er das. Kann ein Muslim dazugehören? Und Mesut Özil ist praktizierender Moslem. Dafür ist er massiv angegriffen worden, auch schon von zig Gruppierungen in unserem Land. Und deswegen, diese Debatte um dieses bescheuerte Foto, wenn ich es noch mal so nennen darf, was sie da gemacht haben, ist eigentlich im Kern eine ganz andere Auseinandersetzung. Nämlich ein Kern der Auseinandersetzung: In welchem Land leben wir? Und ich sage: In welchem Land wollen wir leben?
    Pressefreiheit mit Auflagen
    Schweizer: Die Lage von Journalisten in der Türkei ist in Deutschland vielen spätestens seit der Inhaftierung von Deniz Yücel klar. Der WM-Gastgeber Russland hat offenbar auch sein ganz eigenes Verständnis von Pressefreiheit. Frau Roth, wir haben es bereits angesprochen. Dem Kollegen Hajo Seppelt wurde zunächst verboten, nach Russland einzureisen. Das Visum war zuvor für ungültig erklärt worden. Der Journalist stehe auf einer Liste der in Russland unerwünschten Personen. Hajo Seppelt hatte ja mit seinen Recherchen das systematische Doping in Russland mit aufgedeckt. Eine Welle der Entrüstung war ja für Russland sicher absehbar, wenn man als WM-Gastgeber kritische Journalisten aussperrt. Hat Sie dieser Schritt aus Russland verwundert?
    Roth: Mich hat es nicht verwundert, weil – wie gesagt – schon im letzten Jahr sehr deutlich gemacht worden ist von russischer Seite, dass sie mitnichten wollen, dass es eine freie Berichterstattung gibt. Und da hätte ich mir ehrlich gesagt deutlicheren Protest gewünscht, anstatt Lobhudeleien gegenüber der russischen Föderation oder gar gegenüber Herrn Putin. Habe aber die nicht gehört. Da hätte ich mir übrigens auch mal von Herrn Infantino deutlichere Worte gewünscht.
    Schweizer: Dem Fifa-Präsidenten.
    Roth: Ja, hätte ich mir gewünscht, denn meines Wissens ist es ja auch Teil der Verträge, die mit einem Austragungsland abgeschlossen werden, dass die Pressefreiheit garantiert wird. Und, wenn man sagt, Pressefreiheit kann nur in einem Rahmen stattfinden, und zwar nur das, was in den 90 Minuten – oder plus Verlängerung, was weiß ich – auf dem Rasen stattfindet, dann ist es keine Pressefreiheit und dann kann sich eine Fifa so was auch nicht gefallen lassen.
    Spricht der DFB nur in bestimmten Fällen von "Wertefundament"?
    Schweizer: Im Vergleich zu der Kritik an Erdogan und der Lage in der Türkei – die Türkei ja, wie wir gesagt haben, übrigens einziger Konkurrent Deutschlands um die Ausrichtung der Fußball-EM 2024 – im Vergleich dazu war DFB-Präsident Grindel zunächst zurückhaltend mit eigener Kritik an Russlands Vorgehen zu Seppelt. Er hat ja über Twitter wissen lassen, er habe volles Vertrauen, dass die Fifa ihren Einfluss geltend macht. Haben Sie auch von ihm mehr erwartet?
    Roth: Ja, ich meine, jetzt muss man mal sagen: Was ist rausgekommen? Er bekommt jetzt ein Visum.
    Schweizer: Das Einreiseverbot ist inzwischen aufgehoben...
    Roth: Ja, ja.
    Schweizer: Aber, ob er frei berichten darf, ist noch unklar.
    Roth: Ja, eben. Ja, ja, er bekommt es jetzt. Also, ich meine, ich fand das einen unglaublichen Skandal. Und da hätte ich mir mal mehr an Aufregung gewünscht. Ich meine, wir sind nicht… "wir", entschuldigen Sie, wenn ich von "wir" rede. "Wir" sind Weltmeister. Also, da kommt nicht irgendeine Mannschaft. Da geht es nicht um irgendeinen Verband. Der DFB ist eine oder der größte Sportverband auf der ganzen Welt. Und, wenn so ein Präsident… jetzt weiß ich nicht, was Reinhard Grindel alles im Hintergrund getan hat, aber bei so etwas braucht es den Beweis dafür, dass nicht nur in bestimmten Fällen vom Wertefundament des DFB geredet wird. Und ganz eindeutig muss zu einem Wertefundament gehören: die Pressefreiheit und die uneingeschränkte Berichterstattung.
    IOC-Präsident mit Champagner und Putin im Jahr 2014
    Und leider ist es so, dass dieser Kollege, Herr Seppelt, so eine enorme Bedeutung hat, weil leider auch im Sport und leider auch im Fußball die Frage des Dopings eine wichtige Frage ist. Jetzt hat sich ganz sicher das Auswärtige Amt dafür eingesetzt, weil es natürlich einen riesigen Schatten wirft auf dieses große Ereignis oder geworfen hätte und die Debatte berechtigt gewesen wäre: Ja, kann man da als… beispielsweise als Repräsentant einer Bundesregierung oder des Bundestags überhaupt hinfahren, wenn einer der wichtigsten und bekanntesten Sport-Journalisten keine Einreise bekommt? Ich hätte das für unmöglich gehalten.
    Schweizer: Wie sehen Sie es denn jetzt? Also, der neue Innen- und damit auch Sportminister Horst Seehofer hat vor ein paar Monaten bereits signalisiert, dass er sich einen WM-Besuch vorstellen kann. Sollten Regierungsmitglieder überhaupt zu dieser WM fahren?
    Roth: Also, wenn man zu so was fährt, muss man immer aufpassen, dass man nicht genauso missbraucht wird oder gebraucht wird, wie jetzt Mesut Özil und Ilkay Gündogan.
    Schweizer: Aber kann das überhaupt gelingen, wenn man sich auf diese Bühne begibt?
    Roth: Ich glaube, es ist sehr schwer. Und ich fand ganz gut, dass zu bestimmten Veranstaltungen auch die Bundeskanzlerin, die nun wirklich erklärter Fußballfan ist und überzeugter Fußballfan ist, nicht hingefahren ist.
    Schweizer: Wir kennen alle die Bilder aus den Kabinen.
    Roth: Ja, die übrigens auch mit Herrn Özil und Trikot Bilder geschossen hat. Aber ich fand zum Beispiel eines der schlimmsten Bilder damals in Sotschi bei den Olympischen Spielen, als Thomas Bach, der IOC-Präsident, sozusagen mit dem Champagner-Glas mit Herrn Putin anstößt und gleichzeitig die Krim annektiert wird. Das geht aus meiner Sicht überhaupt gar nicht.
    Hinfahren ja, für Hochglanzbilder herhalten nein
    Und wenn ein deutscher Journalist jetzt ein Einreiseverbot bekommt, jetzt ist es aufgehoben, aber die Ankündigung oder das war fast eine Androhung, dass er sich aber dann auch Verhören stellen muss in Russland – Verhören stellen muss, als hätte er Verbrechen begangen, als sei er ein potenzieller Straftäter –, dann muss man sehr aufpassen. Und da darf man keine Sekunde nachlassen. Es muss die uneingeschränkte freie Berichterstattung möglich sein, auch über kritische Themen. Und da muss man aufpassen und da soll man aufpassen. Und ich finde, ich will nicht jetzt die Boykott-Keule, die kann man immer… das hört sich vielleicht gut an, aber ich will die jetzt nicht …
    Schweizer: "Politischer Boykott" meinen Sie?
    Roth: Ja, politisch, nein, ich würde… man kann sagen, da darf die Mannschaft nicht spielen. Du kannst doch jetzt nicht die Mannschaft dafür bestrafen, aber es muss ganz, ganz klar sein, dass man sich nicht einlassen darf auf Hochglanzbilder und mit Herrn Putin als Repräsentant Russlands, in dem die Menschenrechte verletzt werden, in dem die Pressefreiheit nicht ermöglicht ist oder hinter Gittern gesperrt ist und in dem Herr Putin verantwortlich ist für einen Völkerrechtsbruch durch die Annexion der Krim.
    Bundestag mit AfD: "Wir haben eine unglaubliche Polarisierung"
    Schweizer: Frau Roth, wir müssen zum Ende des Gesprächs noch einmal wegkommen vom Komplex Sport und Politik. Die AfD sitzt seit dieser Legislaturperiode im Bundestag, dem Sie als Vize-Präsidentin erneut mit vorstehen. Und AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, die handelte sich bei der Haushaltsdebatte diese Woche einen Ordnungsruf ein nach der Aussage – Zitat: "Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern." Wie ist denn Ihre Zwischenbilanz? Hat sich die gesamte Debattenkultur schon verändert?
    Roth: Ja. Also, wir haben eine ganz andere Situation im Deutschen Bundestag. Wir haben eine unglaubliche Polarisierung. Wir haben auch eine Entgrenzung von Sprache, denn solche Sätze… ich meine, ich bin schon ziemlich lange jetzt im Deutschen Bundestag. Bei allem Streit und bei allen positiven kritischen Auseinandersetzungen, bei unseren Battles, Grüne gegen CSU, CDU, Linke, also bei dieser lebendigen politischen, auch harten Auseinandersetzung gab es immer eine respektvolle Grenze. Es gab immer eine Grenze, über die gehst du nicht rüber. Wenn es um Verhetzung geht, wenn es um Stimmungsmache geht, wenn es um Ausgrenzung von Minderheiten geht.
    Und was… dieser Satz von Weidel hat wirklich… erst mal, das war wie eine Schockstarre – wir saßen da, ich habe es ja auch live mitbekommen –, dass so etwas überhaupt möglich ist. Ich bin sehr froh, dass der Bundestagspräsident Dr. Schäuble darauf nach der Rede reagiert hat und gesagt hat, indem sie Kopftuchmädchen beleidigt, beleidigt sie eben Frauen, gläubige Muslimas in unserem Land und das geht überhaupt nicht und das hat er gerügt. Und was ein gutes Zeichen ist, dass alle Parteien, CDU, CSU, SPD, FDP, Linke, Grüne, alle Abgeordneten haben den Einspruch zurückgewiesen und haben unterstützt, dass vonseiten des Präsidiums, des Präsidenten es zu einer Rüge kam.
    "Wenn man das Original kopiert, hilft das nur dem Original"
    Schweizer: Wie beobachten Sie denn generell die anderen Fraktionen jetzt im Umgang mit der AfD? Merkt man da ein Zusammenrücken?
    Roth: Wäre in Bayern nicht Landtagswahl am 14. Oktober, dann würde ich sagen, gibt es ein Zusammenrücken. Also, es gibt schon… eine der ganz großen Reden auf diese Rede von Frau Weidel, war die von Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag, also einem konservativen Politiker, der sehr deutlich markiert hat den Unterschied von konservativer Politik zu Populismus und Stimmungsmache. Ich würde mir sehnlichst wünschen, weil auch Herr Dobrindt in dieser Debatte geredet hat und ziemlich viel dann zu Recht Kritik auf sich gezogen hat.
    Ich würde mir sehr, sehr wünschen, dass die Strategie der demokratischen Parteien gegen eine AfD, die immer mehr entgrenzt in Sprache und in Forderungen, sich politisch aufstellt im Deutschen Bundestag, aber ja auch in den Landtagen, dass die Antwort nicht ist, ein Stück weit die AfD zu kopieren. Denn ich glaube, wenn man die AfD kopiert, dann das Original kopiert, dann hilft das nur dem Original und stärkt das Original. Also, Zitate von Herrn Dobrindt, die er wiederholt hat von der "Antiabschiebungsindustrie", tragen nicht dazu bei, den Unterschied zu markieren zwischen den demokratischen Parteien und denen, die – ja – Ausgrenzung in ihr Programm aufgenommen haben.
    "Es gibt eine Enthemmung, und jedes Mittel ist recht"
    Schweizer: Die Bundeskanzlerin ignorierte die Aussagen Alice Weidel ja in ihrer Rede. War das der richtige Umgang aus Ihrer Sicht?
    Roth: Es gibt unterschiedliche Auffassungen. Ich meine, Frau Merkel wird ja auf eine Art und Weise angegriffen – unflätig, unanständig. Also, da finde ich, da fehlt auch noch jeder Anstand, jeder politische Anstand. Ich bin das sowieso gewöhnt, aber was in der Zwischenzeit läuft, wie angegriffen wird eine Frau Merkel, wie angegriffen werden Kardinäle, wie Kardinal Reinhard Marx oder Herr Woelki aus Köln, das ist schon unglaublich. Also, es gibt eine Enthemmung, und jedes Mittel ist recht. Und, dass die Frau Merkel das gar nicht aufgegriffen hat, diese wirklich, ja, die wirklich hetzerische Rede von Alice Weidel, haben manche als Stärke empfunden, andere sagen, die Art und Weise, wie Frau Weidel Muslime in unserem Land beschimpft hat und gedemütigt hat mit ihrer Rede und versucht hat auch zu verletzen und zu sagen, die gehören hier nicht her, da hätte die Kanzlerin reagieren müssen. Ich weiß es nicht.
    Ich fand die Rede von Frau Merkel stark. Ich glaube, sie hat deutlich gemacht, mit dem hat sie nichts zu tun. Es war eine möglichst große Distanz, die sie zu der Vorrednerin eingenommen hat. Andere hätten erwartet, dass man sehr deutlich macht, dass zu unserem Land und zu unserer Freiheit und zu unserer Demokratie eben auch Mädchen gehören und Frauen gehören, die ein Kopftuch tragen, dass der Islam sehr wohl zu unserem Land gehört.
    Schweizer: Frau Roth, ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Roth: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.