"Grüß Gott, darf ich Ihnen von der CSU was mitgeben?"
Mit einer Tüte Gummibärchen steht ein stämmiger Mann in Poloshirt und Jeans auf einem Münchner Wochenmarkt.
"Ich heiße Michael Kuffer und kandidiere für den Deutschen Bundestag."
Eigentlich steht Kuffer auf diesem Fellererplatz im wohlhabenden Stadtteil Solln auf einer "gmahden Wiesn", wie man hier sagt.
"Das ist einer der Plätze, wo die CSU eher ein Heimspiel hat."
Doch dann passiert etwas, das dem CSU-Stadtrat Michael Kuffer immer häufiger passiert. Zu häufig. Eine ältere Dame kommt auf ihn zu, elegant gekleidet und mit ernstem Blick.
"Grüßgott!"
"Grüß Sie. Ich wohne hier schon 50 Jahre in Solln. Und ich muss Ihnen sagen: Ich war bisher immer eine treue und brave CSU-Wählerin. Dieses Mal habe ich ganz große Schwierigkeiten. Und nicht nur ich. Was ist mit der Obergrenze? Das möchte ich wissen!" - "Die Obergrenze bleibt unsere Haltung." - "Die Haltung schon. Aber die Durchsetzung?" - "Es ist doch ein kleinlicher Streit um Worthülsen."
"Ich hab' für mich schon eine Alternative. Die will ich jetzt zwar nicht sagen"
Michael Kuffer, der in der CSU als Law-and-Order-Politiker gilt, rudert mit den Armen. Die Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen sei doch faktisch da, erklärt er der resoluten Rentnerin. Aber die Dame antwortet, Angela Merkel habe doch gerade erst gesagt, eine Obergrenze sei mit ihr nicht zu machen.
"Sie werden gegen die starke Frau Merkel und die CDU nicht ankommen." - "Da übersehen Sie jetzt, was wir in dieser Legislaturperiode durch die Auseinandersetzung alles erreicht haben." - "Ehrlich gesagt, dem kann ich nicht mehr trauen, dass das verwirklicht wird. Ich hab' für mich schon eine Alternative. Die will ich jetzt zwar nicht sagen. Aber ich hab' eine Alternative."
Ist diese Alternative die AfD? Die Dame zuckt vielsagend mit den Schultern und lächelt. Genau davor fürchten sie sich in der CSU: dass die derzeitigen Umfragen nicht das wahre Bild widerspiegeln. Dass die AfD deutlich stärker werden könnte als prognostiziert, weil viele Wähler nicht zugeben, dass sie Rechtsaußen wählen. Vor allem bei den wichtigen Zweitstimmen könnte die AfD einen hohen zweistelligen Wert erreichen, den kein Prognose-Institut vorhergesagt hat.
Wahlveranstaltung in Oberbayern
Rosenheim in Oberbayern. Auf dem Max-Josefs-Platz stehen rund 500 Menschen im strömenden Regen.
"Meine Damen und Herren, der große Moment ist gekommen. Bitte begrüßen Sie mit uns die Vorsitzende der CDU Deutschlands, unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel."
Die Regie dreht die Musik extra laut auf, um die drei Dutzend Störer zu übertönen, die hinter der Absperrung pfeifen, johlen und AfD-Plakate schwenken. Darunter der Rosenheimer Friedrich Kreuz, der beklagt:
"Dass die CSU diese Politik mitmacht. Eine alteingesessene Partei. Unter Franz Josef Strauß hätte es das nicht gegeben. Der hätte die Grenzen dicht gemacht. Hätte die bayerische Bundeswehr hingeschickt. Hätte Lager errichtet, so wie das auch geplant war. Aus irgendeinem Grund ist das umgestoßen worden. Da wünscht man sich FJS zurück. Den hätte ich gewählt. Jetzt kannst die CSU nimmer wählen."
Die CSU ist auf der Bühne durch Ilse Aigner vertreten, die oberbayerische Bezirks-Chefin. Aigner redet nur kurz – und erwähnt einen Vergewaltigungsfall, der Rosenheim drei Tage zuvor erschüttert hatte. Der mutmaßliche Täter: ein Asylbewerber aus Nigeria.
"Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich möchte das auch deshalb ansprechen, weil es in diesen Tagen in dieser Region einen traurigen Fall gegeben hat – und gerade wir Frauen, wir wollen ein sicheres Land."
Angela Merkel hält ihre Standard-Rede. Erst nach 15 Minuten geht sie auf das Thema "innere Sicherheit" und gestiegene Kriminalitätszahlen ein.
"Und ich sage Ihnen, das wird uns anspornen. Alles, aber auch alles dafür zu tun, um Menschen das Gefühl und die Realität der Sicherheit zu geben. Wo wir Strafen verschärfen müssen, werden wir das tun, um Opfern zu helfen und sie vor Straftaten zu schützen. Damit es möglichst gar keine Opfer mehr gibt."
Hohe Unzufriedenheit in den eigenen Reihen
Fast zur gleichen Zeit veröffentlicht in München Bayerns Innenminister Joachim Herrmann eine Kriminal-Statistik, die einen starken Anstieg von Sexualstraftaten durch Zuwanderer sieht. Herrmann fordert ein Sieben-Punkte-Sofortprogramm. Darunter mehr Abschiebungen nach Afghanistan.
"Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass eine solche Maßnahme wie die Rückführung nach Afghanistan in der vergangenen Woche von verschiedenen politischen Seiten kritisiert worden ist."
Auch wenn es in der CSU noch niemand offen sagt: Viele sind unzufrieden mit dem Wahlkampf. Parteichef Seehofer habe Glamour-Auftritte mit Karl-Theodor zu Guttenberg inszeniert, statt die Sachkompetenz von Joachim Herrmann bei der Inneren Sicherheit herauszustreichen. Man hätte ihn als Aufpasser inszenieren sollen, sagt ein erfahrener CSU-Bundestags-Abgeordneter. Als einen, der auch über Angela Merkels Flüchtlingspolitik wacht. Seehofer dagegen inszenierte vor allem sich selbst – mit einer harten Linie gegen die AfD.
"Wir bekämpfen solche rechten Dumpfbacken."
Seehofer wandelt auf schmalem Grat. Er lobt die Kanzlerin, die in der CSU viele Anhänger hat. Gleichzeitig attackiert er sie.
"Der Kurs in Berlin hat sich verändert. Und jetzt müssen wir dafür sorgen, dass das so bleibt. Und dafür brauchen wir die Obergrenze."
"Die CSU wird's nicht mehr werden"
Am Tag eins nach der Wahl, sagt ein hochrangiges Mitglied der CSU-Landesleitung, werde ein Hauen und Stechen zwischen den Schwesterparteien ausbrechen. Sollte die AfD bei über zehn Prozent landen, werde man sich die Verantwortung gegenseitig zuschieben. Und wenn Merkel mit der Union unter 35 Prozent landen sollte, sei sie eine Parteivorsitzende und Kanzlerin auf Abruf. Aber morgen Abend, zwei Tage vor der Wahl, werden Merkel und Seehofer noch einmal Harmonie und Einigkeit demonstrieren. Bei der gemeinsamen Abschluss-Kundgebung auf dem Münchner Marienplatz. Die Rentnerin vom Fellererplatz in München-Solln werden sie wohl nicht mehr überzeugen. Sie hat ihre Wahl getroffen.
"Die CSU wird's nicht mehr werden. Hundert Prozent nicht!"