Hier trinken Chinas künftige Spitzendiplomaten Cappuccino. Ein Studenten-Café an der Renmin Universität in Peking. Eine der besten Hochschulen des Landes. Li Xueli ist Masterstudentin am renommierten Institut für Internationale Beziehungen. Sie sitzt auf einem Lederstuhl und bereitet ihre Präsentation für ein Seminar vor. Es geht um die chinesisch-amerikanischen Beziehungen. Li ist 23 Jahre alt und studiert Internationale Politik in einer Zeit, in der sich ihr Land China international neu aufstellt.
"Mit der sich ändernden Weltlage ändert sich auch Chinas Rolle in der globalen Politik. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen braucht China eine stabile internationale Ordnung, wenn es sich weiter schnell entwickeln will. Zweitens gibt es viele globale Probleme wie Terrorismus, Energieknappheit oder Atomkonflikte, die nur gemeinsam gelöst werden können. Jedes Land muss seinen Beitrag leisten. Und insofern ist Chinas Handeln auch eine aktive Antwort auf die Erwartungen der internationalen Gemeinschaft."
Völlig neues, außenpolitisches Selbstbewusstsein
Wie Li Xueli sind viele chinesische Außenpolitiker und Diplomaten hier an der Renmin Universität ausgebildet worden. Aber Li gehört zur ersten Generation der Elitestudenten, die ein völlig neues, außenpolitisches Selbstbewusstsein vermittelt bekommen. War Chinas Aufstieg Jahrzehnte lang vor allem wirtschaftlich geprägt, so formulieren Chinas Politiker zuletzt immer deutlicher auch einen globalen, politischen Führungsanspruch. Die außenpolitische Zurückhaltung – ein jahrzehntelanges Credo der chinesischen Politik – sei Vergangenheit, sagt Masterstudentin Li.
"Ich zweifle nicht daran, dass China immer wichtiger wird und seine nationale Stärke ausbaut. China erarbeitet sich Schritt für Schritt seine Stellung als globale Supermacht. Unsere politischen Führer erwähnen immer wieder, dass sich China ins Zentrum der Weltbühne bewege. Und ich glaube, das ist richtig."
Sozialismus in eine neue Ära eingetreten
Rückblick. Der 19. Parteitag im Oktober in Peking. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping steigt zum mächtigsten Führer der Volksrepublik seit Staatsgründer und Revolutionsführer Mao Zedong auf. Seine Theorien und sein Name werden Teil der Parteiverfassung. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit beschreibt Präsident Xi seine politische Vision für die Volksrepublik.
"Der Sozialismus chinesischer Prägung ist in eine neue Ära eingetreten. Ebenso das chinesische Volk, das in modernen Zeiten viel gelitten hat. Nun ist es erfolgreich, florierend und stark. Wir stehen vor einer großen Zukunft und der Wiedergeburt der großen, chinesischen Nation."
Die Wiedergeburt der großen, chinesischen Nation. Die pathetische Überschrift, die Chinas Präsident Xi Jinping für sein politisches Programm gewählt hat, ist eng mit dem globalen Aufstieg und den geostrategischen Ambitionen der Volksrepublik verbunden. Zur Zielgruppe seiner dreieinhalbstündigen Rede gehört deshalb neben den knapp 2300 Delegierten in der Großen Halle des Volkes auch die globale Öffentlichkeit. Besonders beim Thema Außenpolitik.
"Der Traum des chinesischen Volkes ist eng verbunden mit den Träumen der Menschen in der restlichen Welt. Der Chinesische Traum kann nur in einer friedvollen internationalen Umgebung und innerhalb einer stabilen internationalen Ordnung Wirklichkeit werden. Deshalb wird sich China für den Weltfrieden einsetzen, die globale wirtschaftliche Entwicklung fördern und die internationale Ordnung verteidigen."
Weg von der Zurückhaltung unter Deng Xiaoping
Anders als seine Vorgänger übt sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping nicht in außenpolitischer Bescheidenheit. Die chinesische Außenpolitik hat einen Richtungswechsel vollzogen, das beobachtet auch Paul Haenle. Unter den US-Präsidenten George W. Bush und Barack Obama war er Regierungsberater und China-Experte im Nationalen Sicherheitsrat der USA. Im Jahr 2010 hat Haenle an der Tsinghua Universität in Peking das Carnegie-Tsinghua Zentrum für Globale Politik gegründet. Dort ist er heute noch Institutsdirektor. Die Debatten zur chinesischen Außenpolitik verliefen vor einigen Jahren noch ganz anders, erinnert sich Haenle.
"Wir haben damals viel über das chinesische Konzept "Tao Guang Yang Hui" diskutiert, das Deng Xiaoping seinerzeit geprägt hat. Danach sollte China auf internationaler Bühne zurückhaltend agieren und sich auf die Entwicklungen im eigenen Land konzentrieren. Wir beobachten nun über die Jahre, dass sich das dramatisch verändert hat. China möchte nicht mehr zurückhaltend sein. Zuletzt klar formuliert von Xi Jinping auf dem 19. Parteitag. In der Mao-Zedong-Ära sei China aufgestanden, in der Deng-Xiaoping-Ära sei China reich geworden und jetzt sei eine neue Ära angebrochen, in der China stark und mächtig werde. Nicht nur im nationalen Kontext, sondern auf internationaler Bühne."
Politischer Ansatz mit globaler Perspektive
China, einst ein mächtiges Kaiser- und Weltreich, soll an seinen angestammten Platz in der Weltgemeinschaft zurückkehren. So die Logik der politischen Führung des Landes. Lange Zeit hat die Volksrepublik gezögert, eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Jetzt sieht man in Peking die Zeit dafür gekommen.
"Damit sich die chinesische Wirtschaft weiter entwickeln kann und das Land vorwärts kommt, reicht es nicht mehr, sich innerhalb seiner eigenen Grenzen zu bewegen. Es braucht einen politischen Ansatz mit globaler Perspektive. Auch, damit der Handel mit anderen Nationen weiter wächst und China Energie-Ressourcen aus dem Ausland bekommt. Und da sind wir dann beim Konzept der Neuen Seidenstraße: China baut Straßen, Hochgeschwindigkeitszugstrecken und Häfen. Das ist natürlich gut für die Länder, in denen das passiert. Aber es soll sich vor allem auch für China rechnen."
Die Neue Seidenstraße ist das Lieblingsprojekt der chinesischen Führung. Sie ist Kern der geopolitischen Strategie Chinas und das größte globale Wirtschafts- und Investitionsprojekt seit dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein riesiges, neues Handelsnetzwerk zwischen Asien, Afrika und Europa.
Werbesong für die Seidenstraße
China besingt die Neue Seidenstraße gerne in höchsten Tönen. "Lass uns zusammen auf der Seidenstraße gehen", so heißt es in diesem offiziellen Werbesong der chinesischen Regierung. Im Mai hatte Chinas Präsident Xi Jinping rund 30 Staats- und Regierungschefs und hunderte andere Politiker und Experten zum großen Seidenstraßen-Gipfel nach Peking eingeladen.
Eine gigantische Veranstaltung, um das Projekt politisch zu bewerben. Staats- und Parteichef Xi gerät ins Schwärmen: Die "Neue Seidenstraße" sei ein Projekt zum Wohle der ganzen Menschheit.
"Wir sollten die Neue Seidenstraße in eine Straße des Wohlstands verwandeln. Wir müssen auf Entwicklung setzen, um das Wachstumspotenzial der betroffenen Länder zu fördern, wirtschaftliche Integration und Zusammenarbeit zu erreichen und dann gemeinsam davon zu profitieren."
Chinas Argumentation gegenüber anderen Ländern ist dabei immer ähnlich. Wir können Infrastruktur finanzieren und bauen, die ihr unbedingt braucht. Mittlerweile ist von Investitionen von über 900 Milliarden US-Dollar die Rede. Kritiker befürchten, dass China mit dem Projekt "Neue Seidenstraße" vor allem seinen globalen Einfluss ausbauen will, in dem es wirtschaftliche Abhängigkeiten schafft. Mega-Investitionen nach chinesischen Regeln und zum eigenen Vorteil. Der kritische Historiker und politische Kommentator aus Peking, Zhang Lifan, fürchtet eine Globalisierung chinesischer Prägung.
"Chinas Projekt "Neue Seidenstraße" zielt darauf ab, die globale Ordnung stärker auf China zuzuschneiden. China will mit chinesischen Lösungen und chinesischen Weisheiten die Welt beglücken. Präsident Xi Jinping redet dabei von einer Schicksalsgemeinschaft der Menschheit. Diese Begrifflichkeiten zeigen doch Chinas Ziele."
Machtansprüche in Zeiten internationaler Konfusion
China formuliert seine globalen Machtansprüche in einer Zeit der internationalen Konfusion. Europa scheint nicht nur aus chinesischer Sicht vor allem mit sich selbst beschäftigt zu sein und hat derzeit eigene Krisen und Streitigkeiten zu bewältigen. Die USA setzen unter Präsident Donald Trump bedeutend weniger auf internationale Kooperation und Multilateralismus. Die bisherige globale Führungsmacht Nummer Eins zieht sich aus der internationalen Politik ein Stück weit zurück, kündigt Freihandels- und auch Klimaschutzabkommen. Und inmitten dieser Entwicklungen bastelt China am eigenen, internationalen Führungsanspruch.
"Xi Jinping will nicht nur China führen, sondern er will die Welt führen. Und US- Präsident Trump bietet ihm genau diese Möglichkeit. Einerseits haben wir Trump, der die Rolle der globalen Führungsmacht langsam aber sicher abgibt. Auf der anderen Seite Xi Jinping. Schon beim Weltwirtschaftsforum in Davos hat er eine Rede gehalten, die deutlich gemacht hat, er möchte sich mit China an die Spitze der Globalisierung setzen."
Aber es bleibt weiter unklar, welche Globalisierung Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping genau meint. Bei internationalen Anlässen wie dem Weltwirtschaftsforum oder dem APEC-Gipfel hat Präsident Xi zwar wiederholt versucht, sein Land mit blumigen Worten als sympathische Führungsmacht und Verfechter von Globalisierung zu verkaufen. Aber China ist selbst weit davon entfernt, ein verlässlicher Partner im globalen Freihandel zu sein. Ein zentraler Widerspruch: China bietet im eigenen Land ausländischen Unternehmen trotz vieler Lippenbekenntnisse keine fairen Wettbewerbsbedingungen. Das kritisiert auch Paul Haenle von der Tsinghua Universität in Peking.
"China hat immer noch eine sehr geschlossene Wirtschaft. Ein ehemaliger Handelspolitiker der amerikanischen Regierung sagte kürzlich, wenn jedes Land der Welt seine Wirtschaft so abschotten würde wie China, dann wäre das globale Wirtschafts- und Finanzsystem längst zusammengebrochen."
Fragezeichen auf internationalem Parkett
China arbeitet sehr gezielt daran, seinen Einfluss in internationalen Organisationen auszubauen. Ob bei der Weltbank oder beim Internationalen Währungsfond IWF. Oder in den Vereinten Nationen. Dort stellt China inzwischen eines der größten Blauhelm-Kontingente und torpediert zugleich den Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen. China hinterlasse auf dem internationalen Parkett Fragezeichen, sagt Außenpolitik-Experte Haenle.
"Ich sehe noch nicht, dass China eine Führungsrolle in den multilateralen Institutionen so ausfüllt, wie es für die internationale Gemeinschaft nötig wäre. Und das ist genau die Frage: Welche Art von Führungsrolle strebt China denn an? Orientiert sich das lediglich am eigenen Interesse oder beginnt China, dem internationalen Allgemeinwohl zu dienen? Werden wir die Volksrepublik in einer Führungsrolle erleben, in der das Land zum Beispiel internationale Koalitionen schmiedet, um den globalen Herausforderungen und Krisen zu begegnen? Ich bin mir nicht sicher, dass China für diese Art Führung schon bereit und willens ist."
Austausch mit Afrika
Denn viel des chinesischen Engagements ist getrieben von eigenen Wirtschaftsinteressen. Neben der Neuen Seidenstraße lässt sich das auch am Beispiel Afrika beobachten: China geht es dort zum einem um die Sicherung von Rohstoffen. Ob Öl aus Angola und Sudan, oder ob Mineralien aus Simbabwe. Im Gegenzug bauen chinesische Firmen Infrastrukturprojekte: Eisenbahnlinien, Flughäfen, Staudämme und Telekommunikation. Dass es die chinesischen Investoren mit Umweltstandards, Arbeitsbedingungen und Themen wie Korruption und Transparenz nicht so genau nehmen, gerät dabei in den Hintergrund. China investiert oft da, wo sonst keine Investoren eines anderen Landes zu sehen sind. Und das sei nicht nur zum eigenen, sondern auch zum Nutzen der Afrikaner, sagt Wang Hongyi, Afrika-Experte beim regierungsnahen China-Institut für Sozialwissenschaften in Peking.
"Das wichtigste für Afrika ist eine friedliche Entwicklung. Das ist das oberste Thema mit allen unseren Kooperationspartnern in Afrika. Ohne Stabilität gibt es keine Entwicklung und auch keine Kooperation. In den Bereichen Politik, vor allem Sicherheitspolitik, haben die westlichen Länder immer noch die Führungsrolle. China nimmt Einfluss über Handel und Investitionen. Auch, weil westliche Länder nicht besonders viel wirtschaftlichen Austausch mit Afrika haben."
Chinas Botschaft, wirtschaftlicher Fortschritt sei das beste Mittel gegen Konflikte und Instabilität, trifft in vielen afrikanischen Ländern auf offene Ohren. Aber es geht noch weiter: China sieht das eigene autokratische und gleichzeitig wirtschaftlich dynamische System als mögliches Exportmodell für andere Länder. Besonders in Afrika kommt das an.
Widerspruch aus Australien
Widerspruch an der aggressiven Politik und Einflussnahme Chinas gab es zuletzt aus Australien. Premierminister Malcolm Turnbull hatte angekündigt, Australien werde ausländische Einmischung in die Politik verbieten. Und in diesem Zusammenhang direkt China angesprochen. Vor allem im vergangenen Jahr gab es zahlreiche Enthüllungen durch australische Medien und Geheimdienste. China ist nicht nur Australiens wichtigster Handelspartner, sondern buhlt um Einfluss in Politik, Medien und Universitäten. Anfang Dezember kündigte Turnbull an, politische Spenden aus dem Ausland zu verbieten. Für Experte Haenle kein Einzelfall.
"China scheint in mehreren Fällen, besonders mit etablierten Demokratien, zu weit gegangen zu sein. Das führt in einigen Ländern zu einer Gegenreaktion. Nicht nur in Australien, sondern wir beobachten das auch in den USA, Großbritannien und woanders. China muss da aufpassen. Gerade in einer Zeit, in der die internationale Gemeinschaft beobachtet, welche Art von Führung China anstrebt, tauchen diese Probleme auf. Für China könnte das auf der internationalen Bühne kontraproduktiv sein."
Die Versuche Pekings, auch auf westliche Demokratien Einfluss zu nehmen, könnten mit Chinas Aufstieg zahlreicher werden. Auch Deutschland war zuletzt betroffen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte vor Infiltrationsversuchen chinesischer Geheimdienste gewarnt. Über soziale Netzwerke im Internet hätten chinesische Geheimdienste versucht, Kontakt zu möglichen Informanten in Deutschland aufzubauen.
Chinas diplomatischer Nachwuchs im Studenten-Café der Renmin Universität sieht das alles entspannt. Die Masterstudentin Li Xueli hat sich eine warme Milch bestellt, auf dem Schaum liegen ein paar Cornflakes. Mit ihrer Präsentation für das Seminar zu den chinesisch-amerikanischen Beziehungen ist sie fast fertig.
"Andere Länder sollten optimistisch auf Chinas wachsenden Einfluss blicken und die Chancen sehen. China hat seinen Aufstieg immer mit einer friedlichen Politik verbunden; es bedroht andere Länder nicht. Von uns keine militärischen Aktionen ausgehen. Das sind die Prinzipien der chinesischen Außenpolitik. China ist friedvoll. Wenn sich andere Länder konstruktiv beteiligen, entwickelt sich China besser und schneller. Und davon profitieren alle anderen. Nehmen wir die Neue Seidenstraße: China finanziert öffentliche Güter für andere Länder."
Selbstbewusstsein wird weiter steigen
China hat einen Masterplan. Und da der von ganz oben kommt, ist Kritik daran weder erwünscht noch erlaubt. Li Xueli studiert an einem sehr renommierten Institut für Internationale Beziehungen. Sie ist 23 und schon seit Jahren Parteimitglied. Wenn nicht viel dazwischen kommt, wird sie ihren Weg machen – auch in der Außenpolitik.
"Ich habe für meine künftige Karriere vor allem zwei Ziele und das sind Träume, die ich schon seit der Mittelschule habe. Ich würde gerne im Außenministerium arbeiten und dort Chinas außenpolitische Interessen vertreten. Und so meinen Beitrag zur weltweiten chinesischen Diplomatie leisten. Oder eines Tages für China bei den Vereinten Nationen arbeiten."
Chinas Selbstbewusstsein wird weiter steigen. Li Xueli kennt ihr Land nur als Akteur der internationalen Politik, der immer mächtiger wird. Und das hat auch Auswirkungen auf den Westen. China führt die System-Debatte selbstbewusster denn je. Ob die USA, Großbritannien oder die EU, Chinas Staatsmedien nutzen die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen dort immer öfter, um die Überlegenheit des eigenen Systems zu propagieren. Autokratie und Kontrolle gepaart mit einer dynamischen, erfolgreichen Wirtschaft. China arbeitet konsequent am Projekt Weltmacht.