Musik: Rolling Stones "Sympathy for the Devil"
Es muss ja nicht immer Johann Sebastian Bach sein. Etwa 20 Sänger proben einen anderen Klassiker: jenen Hit, mit dem die Rolling Stones seit den späten 1960er-Jahren Furore machten. "Sympathy for the Devil" also, in Dortmund schön arrangiert, kraftvoll verteilt auf Sopran, Alt, Tenor und Bass.
Musik: Rolling Stones "Sympathy for the Devil"
Oliver Gies und Felix Powroslo leiten den Intensivkurs "Wenn der Funke überspringt". Hier geht es um Interpretation – im weiteren Sinne. Felix Powroslo erhielt 1999 den 2. Preis im Bundeswettbewerb für Gesang. Heute arbeitet er vor allem als Regisseur, Bühnen- und Stimmcoach. Powroslo sensibilisiert die Kursteilnehmer für ein sicheres Bühnenauftreten. Körperhaltung, Mimik, Gestik – all das hat Einfluss auf die Stimme, sorgt aber auch für Atmosphäre, im günstigen Fall für mehr Publikumsnähe. Kommt eine expressive Passage, darf man sie als Sänger schon mal unterstreichen mit einem starren-bohrenden Blick ins Publikum.
Forum für aktuelle Tendenzen der Chormusik
Moritz Puschke leitet die chor.com als Geschäftsführer des Deutschen Chorverbands. Augenzwinkernd, angenehm distanziert betont er – bewusst im Kuratoren-Jargon – das Grenzüberschreitende, das Interdisziplinäre, das Innovative, das Gesellschaftsrelevante. Jazz-, Pop-, sogar Hardrock-Chöre gibt es schon länger. Was sich mehr und mehr in der Chorszene herumspricht ist, so Puschke, die verstärkte Auseinandersetzung mit neuen Präsentationsformen, damit auch mit Dramaturgie und Konzertmoderationen. Auch die zeitgenössische, komponierte Musik tritt neuerdings stärker in den Fokus. Moritz Puschke:
"Also diese Angst vor Neuer Musik, die ich so bis vor zehn Jahren eigentlich in den gesamten Musikszene gesehen habe, zu schwer, zu verkopft, nicht zeitgemäß, das bricht hier gerade auf!"
Musik: Jaakko Mäntyjärvi "Four Shakespeare Songs"
"Es ist auf jeden Fall so, dass wir mindestens 15 bis 20 Uraufführungen hier in den letzten dreieinhalb Tagen gehört haben. Und das ist wirklich Neuland."
Musik: Jaakko Mäntyjärvi "Four Shakespeare Songs"
Ein Beispiel für Neue Chormusik sind die "Four Shakespeare Songs" des 1963 geborenen finnischen Komponisten Jaakko Mäntyjärvi. Die Lieder sind weder mikrotonal noch im Lachenmann‘schen Sinne Geräusch lästig. Mäntyjärvi schrieb keine Musik für spezialisierte Vokalensembles. Für Laien Singbares steht im Vordergrund, auch tonal Gewohntes.
Musik: Jaakko Mäntyjärvi "Four Shakespeare Songs"
Chorprofis und Amateure diskutieren Interpretationsfragen
Mäntyjärvi erklingt im Abschlusskonzert des Meisterkurses Chordirigieren. Florian Helgath, seit 2011 Leiter des ChorWerk Ruhr, beobachtet in den Kursen die Dirigenten genau, bremst zuweilen, korrigiert höflich, und gibt allerhand konstruktive Hilfestellungen. Florian Helgath:
"Ich habe mir vorgenommen, weil ich das selber als Student immer gehasst habe, wenn ich eine Interpretation aufgedrückt bekomme. Und ich habe mir gedacht: Das will ich nicht zulassen! Um ganz ehrlich zu sein: Es ist mir nicht immer gelungen. Es gibt manche Dinge, wo ich sehe: Das funktioniert jetzt nicht und ich finde das Tempo bei Stück XY einfach zu schnell. Und dann hinterfrage ich mich: Ist es jetzt mein Geschmack? Oder passiert gerade etwas, was nicht gut ist oder leidet irgendwas drunter? Und kann ich vielleicht mit dem Dirigenten in eine Diskussion kommen und sagen: Ok, du wählst das Tempo, du hast dir bestimmt was dabei gedacht! Und dann diskutiert man weiter: Schau dir mal diese Phrasen an. Wenn die diese kleinen Texte jetzt sprechen, funktioniert das? Oder wirkt das hektisch? Und auf diese Weise dann über die Hintertür zu kommen und die Interpretation zu ändern. Aber es gibt auch manche Momente, wo ich wirklich merke, die oder derjenige macht das jetzt komplett anders als ich, aber das überzeugt mich. Sowas gibt’s auch – und dann greife ich auch nicht ein."
Abschlusskonzert des Meisterkurses Heinrich Schütz
Helgath verklammert mit seinen Nachwuchs-Dirigenten ein Programm von vier Jahrhunderten. Von Johann Sebastian Bach geht es über Johannes Brahms und Francis Poulenc hin zu Jaakko Mäntyjärvi. Ein weiteres Highlight der Dortmunder chor.com-Konzerte ist das Abschlusskonzert des Meisterkurses Heinrich Schütz. Der Schütz-Fachmann Hans-Christoph Rademann kam mit seinem Dresdner Kammerchor aus dem Osten angereist und erarbeitete mit acht Dirigenten ein 45-minütiges Programm. Rademann lässt den Chor einen Halbton höher singen, um, wie er sagt, dem Klang mehr Brillanz zu verleihen. Zudem birgt das Singen in mitteltöniger Stimmung Herausforderungen. Dazu kommen andere Dinge. Hans-Christoph Rademann:
"Die mangelnde Flexibilität ist das Problem und wie kriegt man das zum Klingen. Wenn man es in die eine Richtung treibt, dass man extrem am Text arbeitet. Im vielleicht ein bisschen zu hölzernen Stil, verliert sich die Klangsinnlichkeit und wenn man nicht spricht ist es keine Musik, die irgendeinen interessiert. Und auch die Entschlüsselung der einzelnen zugeordneten Klangbilder – ich spreche von Klangbildern – es ist ein Text, der hat dann so Key-Worte, und die sind in einem bestimmten Motiv verbildlicht. Der Himmel wird durch einen Ton ausgedrückt, der nach oben zeigt, also einen erhobenen Ton. Und so wird alles ausgeleuchtet, und zwar kongruent zu unserer Welt, wie wir sie vor Augen haben, so dass ich im Grunde lauter kleine Klangbilder vor mir habe."
Musik: Heinrich Schütz
Stadt-Land-Gefälle in der Chorlandschaft
Lauter Bilder bleiben nicht nur nach dem Heinrich-Schütz-Konzert haften. Die vierte Dortmunder chor.com hinterlässt einen facettenreichen Eindruck. Es scheint, dass Gesang weiterhin in ist. Moritz Puschke, der künstlerische Leiter der chor.com bestätigt es – zumindest in Ballungsgebieten. Handlungsbedarf sieht er künftig in ländlichen Regionen, wo die traditionellen Chöre immer mehr von der Bildfläche verschwinden. Hier Strategien zu überlegen, neue Angebote zu machen, ist Aufgabe der nächsten chor.com, die, Stand jetzt, in zwei Jahren in Hannover stattfinden wird.