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Christen im Irak
Kampf ums Überleben

1,2 Millionen Christen lebten 2003 im Irak - heute sind es nur noch 250.000. Viele von ihnen flüchteten 2014 vor den Terroristen des IS von Mossul aus ins kurdische Erbil. Dort kämpft der chaldäisch-katholisch Erzbischof Bashar Warda ums Überleben seiner Glaubensgemeinschaft - aber auch für Versöhnung und Dialog mit den Muslimen.

Von Martin Gerner |
    Irakische Christen in einer Kirche
    Irakische Christen in Erbil (picture alliance / dpa / Amel Pain)
    An der katholischen St. Josef-Kirche in Erbil wird gebaut. Vier junge Männer mit dunkler Haut und schwarzen Haaren bohren, hämmern, rühren Beton an, und spachteln den frischen Mörtel an die Außenwand der Kirche. Mar Josef gilt den Einheimischen als ihre Kathedrale. Gedrungen, mit wehrhaftem Mauerwerk, statt mit Spitztürmen. Die jungen Bauarbeiter sind Flüchtlinge aus der Region Mossul. Christliche Araber, die 2014 geflohen sind nach Erbil.
    "Alles ist zerstört, wo wir herkommen. Es gibt kein Wasser dort, keinen Strom, keine Sicherheit. Wohin sollen wir zurückkehren? Unsere Häuser wurden verbrannt und geplündert. Es gibt keine Nahrung. Es ist wie nach einer Naturkatastrophe."
    Ein anderer sagt: "Wir sind eine verfolgte Minderheit als Christen im Irak, schon immer. Der IS hat es auf uns abgesehen. Sie sagen, sie seien Muslime. Aber sie stehen nicht für den Islam. Sie suchen nur allerlei Rechtfertigungen für ihr Tun. We have no future after this war."
    Nur noch eine Viertelmillion Christen lebt im Irak
    No future. Keine Zukunft. Sieht so das Schicksal der Christen im Irak aus? Erzbischof Bashar Warda ist Hausherr von St. Josef und Oberhaupt der chaldäischen Christen, die seit fast zweitausend Jahren im Irak heimisch sind.
    "Wenn wir über den Irak sprechen, reden wir von 1,2 Millionen Christen noch im Jahr 2003. Heute leben nur noch rund 250.000 Christen im Irak. Das heißt ganz einfach: wir Christen kämpfen hier ums Überleben. Ohne eine Mindestanzahl geht es nicht."
    Auf dem Gang zu Wardas Büro hängt eine Karte der Region Niniveh. Der Erzbischof zeigt mit dem Finger auf Orte der Zerstörung. Ein altes Kloster, ein historischer Schrein, wertvolle Manuskripte. Einige Ortschaften seien wieder befreit, an Rückkehr sei aber noch nicht zu denken.
    "Es wird keine Flucht von Christen aus Mossul mehr geben. Alle Christen, die dort gelebt haben, sind 2014 geflüchtet. Aber ich bin sicher, es reicht nicht aus den IS nur militärisch zu bekämpfen. Es braucht ein ganzes Bündel von Maßnahmen der Versöhnung und Wiedererziehung. Wenn man den IS nur mit Gewalt bekämpft, bekommt man am Ende neuen islamischen Fundamentalismus und radikale Gruppen."
    Hoffnung auf eine moderatere Islaminterpretation
    Gespräche mit dem IS wird es nicht geben, ist der Erzbischof sicher. Es gehe vielmehr um Mitläufer, Zwangs-Konvertierte und Fehlgeleitete:
    "Natürlich akzeptiert der IS den Gedanken einer Aussöhnung nicht. Ich rede von Menschen, die unter IS-Einfluss leben mussten und müssen. Die nicht selbst aktiv waren für den IS, sondern die sich unter Druck beugen mussten. Ich hoffe die Befreiung von Mossul bedeutet, dass man sich der Generationen annimmt, die unter der IS-Herrschaft missbraucht worden sind. Wir müssen das Erziehungssystem wieder normalisieren. Es hat unheimlichen Missbrauch gegeben.
    "Alles hat angefangen mit der Art, wie einige Radikale den Islam interpretieren", so Warda. "Einige Koran-Verse rufen zur Gewalt auf. Sie müssen neu interpretiert werden, müssen entschärft werden. Ich beobachte ein Erwachen unter Islam-Gelehrten, die moderater daherkommen, und Verse, die 1000 Jahre alt sind, aktuell und neu interpretieren. Ich nehme hier kurdisch-islamische Gelehrten als Exempel, die mit gutem Beispiel vorangehen in der Koran-Exegese."
    Mossul muss befreit, gesichert und verwaltet werden
    In Ankawa, dem traditionellen christlichen Viertel von Erbil, hängt an vielen Türen noch Weihnachtsschmuck mit Sternen und Schleifen. Tannenbäume warten darauf, entsorgt zu werden.
    Erzbischof Wrada: "In Ankawa genießen Christen eine gute Behandlung durch die kurdischen Autoritäten. Ich rede nicht von Privilegien. Aber hier ist man sich bewusst, dass Erbil auch eine christliche Stadt ist. Und weil es hier Gesetze gibt, die respektiert werden. Das macht es einfacher, in Erbil als anderswo im Irak. Wenn das fehlt, gibt es keinen Grund für Christen zu bleiben."
    Auf den Hauptstraßen von Ankawa flanieren junge Männer und Frauen. Hand in Hand, in engen Hosen, gestylten Frisuren. Man fährt, wie in Europa, sein Cabrio mit Freundin spazieren. Aus nicht-christlichen Vierteln kommen Menschen, um sich zu amüsieren. Denn in Ankawa werden auch Bier und Wein ausgeschenkt. Bis vor kurzem campierten wenige Meter von hier tausende Flüchtlinge, erinnert sich John, der engste Mitarbeiter des Erzbischofs:
    "Vor zwei Jahren sind hier 75.000 Menschen ohne ein Dach über dem Kopf aufgeschlagen. Anfangs schliefen sie im Freien, auf dem Boden. Vor zwei Monaten haben wir die letzten Spuren der Notlager beseitigt. Eine einmalige Geschichte von Mitgefühl. Ein Wunder, dass alles so geklappt hat."
    2017 wird ein hartes Jahr, wissen er und der Erzbischof.
    "Wir können nicht zurück in die Niniveh-Ebene, bis Mosul befreit ist, gesichert und irgendwie verwaltet wird. Diese drei Punkte müssen klar sein, bevor man irgendeinen Christen auffordert, wieder zurückzugehen."