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Christen, Juden und Muslime im Mittelalter
Wissenstransfer im Thinktank

Schiiten gegen Sunniten, Muslime gegen Juden – es gibt viele Konflikte zwischen unterschiedlichen Religionen. Doch es gab auch Zeiten, in denen Christen, Juden und Muslime zusammen arbeiteten und voneinander profitierten. Das zeigt eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin.

Von Sandra Stalinski |
    Astrolabium, signiert von Muhammad Ibn-as-Saffār. Messing / Messingguss, graviert und punziert, Toledo, 1029.
    Astrolabium, signiert von Muhammad Ibn-as-Saffār, Toledo, 1029. (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz; Orientabteilung, Signatur: Sprenger 2050)
    Aristoteles, Hippokrates, Ptolemäus - diese Denker und Gelehrten der Antike haben uns einen reichen Schatz an Erkenntnissen hinterlassen und die Grundlagen für verschiedene Wissenschaften gelegt. Aber ihre Werke wurden nicht starr und unverändert in die Neuzeit tradiert. Sie wurden übersetzt und weiterentwickelt - und zwar im Mittelalter. Und nicht nur von jüdischen und christlichen Gelehrten, sondern gerade auch von arabischen.
    Wie es dazu kam, erklärt Andreas Fingernagel von der Österreichischen Nationalbibliothek Wien. Er hat die Ausstellung mit dem Titel "Juden, Christen, Muslime – Im Dialog der Wissenschaften" konzipiert.
    "Ausgangspunkt ist sicher das Ende des oströmischen Reiches und damit die große Gefahr, dass das Wissen der Griechen verloren gewesen ist. Ein politischer Umstand, der dem entgegengewirkt hat, war die arabische Expansion im 7. und 8. Jahrhundert, wo es eine Berührung zwischen den Kulturen gegeben hat, aber auf Seite des Islam oder der arabischen Eroberer offenbar auch ein sehr großes Interesse an der griechischen Wissenschaft. Und man hat begonnen, in bestimmten Bildungszentren Übersetzerschulen zu gründen und dieses antike Wissen zu rezipieren."
    Thinktank des Mittelalters
    Rezipieren - das heißt zunächst einmal, die griechischen und römischen Autoren zu übersetzen. Das ist nicht immer direkt vom Altgriechischen ins Arabische passiert, sondern es gab Zwischenstufen, beispielsweise des Persischen oder des Syrischen.
    Die Höfe der Kalifen im Nahen Osten, später auch die der Fürsten in Europa, wirkten wie Katalysatoren bei dieser Wissensaneignung. Heute würden wir von einem Thinktank sprechen. Hier arbeiteten Gelehrte unterschiedlicher Ethnien und Religionen zusammen. Das berühmteste Beispiel ist das sogenannte "Haus der Weisheit".
    "Eine Einrichtung in Bagdad, die von einem Kalifen im 7., 8. Jahrhundert gegründet worden ist. Das war ein Zentrum, wo Übersetzungen durchgeführt worden sind. Es war aber mehr. Es ist ein Observatorium eingerichtet worden, um die astronomischen Erkenntnisse, die man nur aus der Literatur gekannt hat, auch mithilfe von Beobachtungen zu verifizieren oder zu verwerfen. Und es war gleichzeitig auch eine Krankenanstalt. Wir hören da immer wieder von christlichen Ärzten, von jüdischen Übersetzern, die eine Sprachkompetenz für andere Schriften gehabt haben. Also ein echtes Highlight in diesem Kulturtransfer."
    Die Ausstellung widmet sich der Zeit des Mittelalters vom Jahr 500 bis ins Jahr 1500, also in etwa bis zur Erfindung des modernen Buchdrucks. Ausgestellt werden in erster Linie Handschriften der verschiedenen Schriftkulturen: der griechischen, der hebräischen, der arabischen und der lateinischen Sprache. Besonderes Augenmerk liegt auf jenen Wissenschaftsbereichen, die besonders vom Dialog der Kulturen profitiert haben: also Medizin, Astronomie und Astrologie.
    Koralle, Carmen de viribus herbarum (griechisch), Sog. Wiener DioskuridesKonstantinopel, vor 512.
    Koralle, Carmen de viribus herbarum (griechisch), Sog. Wiener Dioskurides Konstantinopel, vor 512. (Österreichische Nationalbibliothek)
    Antikes Wissen über Naturheilmittel
    Wenn man den interkulturellen Austausch dieser Epoche an einem Objekt festmachen kann, dann am sogenannten Wiener Dioskurides. Diese Handschrift ist mehr als 1500 Jahre alt und vereint das gesamte antike Wissen, wie Natur-Heilmittel wirken.
    "Es ist ein Herbarium, also eine Pflanzenhandschrift, in der die Pflanzen dargestellt werden, in der erläutert wird, wo man sie findet, wie man sie erntet, welchen Nutzen die Pflanze hat, welchen Schaden sie hat. Also ein richtiges Handbuch mit ein paar hundert Rezepten."
    Die Handschrift, die mit zahlreichen Bildern von Pflanzen und Tieren illustriert ist, hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Sie wurde in Konstantinopel auf Altgriechisch verfasst und fiel im Zuge eines Kreuzzuges Forschern in die Hände, die lateinische Eintragungen vornahmen. Später fiel sie bei der Eroberung von Konstantinopel in der Mitte des 15. Jahrhunderts den Türken zu.
    "Dann gibt es Eintragungen in Persisch, Türkisch und Arabisch. Und letztendlich kommt die Handschrift in den Besitz des Leibarztes von Sultan Süleyman dem II. Das war ein Jude, Hamon hieß der, und der hat in Hebräisch dann Eintragungen gemacht. Es sind also alle Sprachen und alle Zeiten hier vertreten."
    Die goldene Zeit des religiösen Austauschs
    Christliche, muslimische und jüdische Schichten also versammelt in einem Buch, das 1500 Jahre interreligiöse Konflikte überlebt hat. Eine andere Abteilung der Ausstellung widmet sich muslimischen Astronomen und Astrologen: wie sie die Konstellation und Bewegung der Planeten erforschten, wie sie sich beeinflussen ließen von spätantiker Literatur. Islamische Wissenschaft und nicht-islamische Fiktion vermischten sich:
    "Es gibt die Erzählung, dass zwei Engel zu Gott gekommen sind und über die Menschen gelästert haben, dass sie ihre Emotionen nicht im Griff haben. Und daraufhin schickt Gott diese beiden Engel auf die Erde und sie verlieben sich, wie könnte es anders sein, in eine wunderschöne Sängerin, Lautenspielerin. Und sie entlockt den beiden Engeln ein Zauberwort und spricht dieses Zauberwort aus und wird dann in den Himmel aufgenommen. Und ist seither als die Venus, eben lautenspielend und nicht so wie wir sie aus dem Abendland kennen, Teil der Planeten."
    Zwei Astronomen mit Messgerät (Quadrant), 1392/94. Astrologisch-astronomische Sammelhandschrift(lat.), Prag (Wenzelswerkstatt).
    Zwei Astronomen mit Messgerät (Quadrant), 1392/94. (Österreichische Nationalbibliothek)
    Die Ausstellung legt den Fokus auf die Vergangenheit. Auf jene goldene Zeit, als es ihn noch gab: den fruchtbaren Austausch zwischen Ethnien und Religionen, deren Anhänger sich heute zum Teil spinnefeind sind. Dieses Thema sei per se aktuell, sagt Kurator Fingernagel, auch wenn die Ausstellung nicht explizit Bezug nimmt auf die Gegenwart. Ein paradiesisches Bild eines friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Ethnien will sie aber nicht vermitteln.
    "Die Beurteilung ist aus heutiger Sicht relativ schwierig, weil wir ja nur von einer sehr kleinen Wissenschaftselite sprechen, die an diesem Austausch beteiligt war. Und wir wissen auf der anderen Seite auch über sehr viele Repressionen. Die große Gefahr besteht bestimmt darin, dass man aus heutiger Sicht diese Schulen idealisiert, dass man von einem Bild ausgeht, das es nicht wirklich gegeben hat. Weil wir müssen überlegen, wir kennen zwar die verschiedenen Übersetzer und die Ergebnisse aus dieser Zeit, aber wir wissen nicht sehr viel über den Zusammenhalt dieser Gruppe."
    Was in der Ausstellung auch offen bleibt: Warum sich der Islam aus jenem Wissenschaftsdialog verabschiedet hat. Liegt es an der Ablehnung des Buchdrucks in der muslimischen Welt, wie es der Religionswissenschaftler Michael Blume jüngst in seinem Buch "Der Islam in der Krise" nahelegt? Das wäre eine Frage, die in einer Folge-Ausstellung beantwortet werden könnte und die diese verdienstvolle Ausstellung in Berlin ergänzen würde.