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"Club Transmediale" Berlin
Akustische Effekte und ihre Wirkung auf den Körper

Rund 200 Musiker und Künstler aus mehr als 30 Ländern, 180 Konzerte, Performances und Installationen: Der "Club Transmediale" hat sich zu dem vielleicht interessantesten Festival für zeitgenössische Experimentalmusik in Europa entwickelt. Bis zum kommenden Samstag steht die Erkundung akustischer Effekte und ihrer Wirkungen auf den Körper im Mittelpunkt.

Von Ole Schulz |
    Am Sonntag im Astra Klub: Vor Szenen aus trashigen Sadomaso-Pornos spielt die legendäre britische Band Electric Wizard ihren "Stoner Rock". Das Publikum goutiert den schleppenden Sound mit Headbangen in Zeitlupe. Gedämpfte Ekstase – das scheint der maximale Erregungszustand bei solch verlangsamten Metal zu sein.
    Um die körperliche Erfahrung von Musik – darum geht es dieses Jahr beim "Club Transmediale", kurz CTM. Zur 16. Auflage des Festivals für experimentelle Musik lautet das Motto: "Un Tune", getrennt geschrieben – ein Wortspiel mit der Leerstelle zwischen den Begriffen "Tune" und "Untune", "Stimmen" und "Entstimmen". CTM-Kurator Jan Rohlf:
    "Uns interessiert eben die Frage, wie man mit Sound, mit Musik, aber auch im erweiterten Sinne mit Frequenzen, also Licht, Bilder, Vibrationen – also alle möglichen Informationen, die man über Frequenzen übermitteln kann –, wie man damit eben den Körper, die Psyche, den Geist, Situationen, Räume stimmen kann, oder dann eben auch entstimmen."
    Samstag Nacht im Berliner Yaam. Zum Auftakt des CTM gibt es in zwei Räumen parallele Auftritte. In einem spielt etwa Alexandra Droener vom Techno-Duo Sick Girls unter dem Namen Kepler vom Laptop klubtauglichen "Heavy Bass". Im anderen sitzt der Gitarrist Franz Bargmann zusammengesunken auf einem Stuhl und entlockt seinem Instrument mal herzzerreißende, mal ohrenschmerzende Töne.
    Bei Dutzenden Konzerten und DJ-Sets, aber auch in einer großen Ausstellung, einem "Radiolab", Workshops und Vorträgen fragt das CTM danach, wie sich Musik auf Leib und Seele auswirkt. Dabei geht es auch um akustische Phänomene, die nicht nur für Fachleute interessant sind und ihren Ursprung häufig in der Sicherheits- und Überwachungstechnik haben. So wie die "Sound Repellents", also Geräusche als "Abwehrmittel":
    "Ein berühmtes Beispiel ist, dass man ganz hochfrequente Töne spielt, außerhalb von einem Geschäft oder in einem U-Bahnhof oder wo auch immer man nicht möchte, dass Teenager dort rumhängen. Weil Teenager von ihrem Hörvermögen noch höhere Frequenzen wahrnehmen können als ältere Menschen, funktioniert das eben, dass man dadurch selektiv eine bestimmte Gruppe im Grunde daran hindert, einen Ort attraktiv zu finden."
    Das CTM-Festival ist eine Wundertüte, ein Abtauchen in oft nur Experten bekannte Geräuschwelten und Genres. Beim Erkunden, was in der Gegenwart an abenteuerlicher Musik entsteht, werden beim CTM aber auch historische Zusammenhänge hörbar gemacht. So spielt die Österreicherin Elisabeth Schimana heute Nacht im Berghain auf dem Max-Brand-Synthesizer von 1957 – einem Vorläufer des berühmten Moog-Synthesizers:
    "Ein Gerät, das ganz schwer tatsächlich zu kontrollieren und zu stimmen ist, der eben noch ein viel stärkeres Eigenleben hat. Und da werden auch zwei Personen benötigt, um den überhaupt zu bedienen. Und der reagiert eben auch ganz empfindlich auf atmosphärische Schwankungen, Raumfeuchtigkeit, Temperatur. Und mit diesen Schwankungen und dissonanten Eigenheiten dieses Instruments arbeitet dann eben auch die Komposition von Elisabeth Schimana."
    Ein weiterer Höhepunkt dürfte der Auftritt Alec Empires morgen im Berghain sein: Eine experimentelle Neuinterpretation seines Albums "Low on Ice", eines Meilensteins der Ambient-Musik. Empire hat "Low on Ice" vor 20 Jahren dabei nicht am Computer aufgenommen, sondern mit analogen Geräten.