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Comic-Reportage "Im Schatten des Krieges"
Skizzen aus Damaskus

Frustriert vom Mangel an Berichterstattung reisen vier Amerikaner 2011 durch den Irak und Syrien. Sie wollen mit eigenen Augen sehen, wie der Golfkrieg die Region verändert hat. Nach fünf Jahren Arbeit erscheint nun Sarah Gliddens Comic über die Reise.

Von Kai Löffler |
    Cover der Comic-Reportage "Im Schatten des Krieges" von Sarah Glidden
    Cover der Comic-Reportage "Im Schatten des Krieges" von Sarah Glidden (Reprodukt / Sarah Glidden)
    2010 endet eine Reise in Damaskus, im Westen Syriens. Zwei junge amerikanische Journalisten und ein ehemaliger Elitesoldat und Comicautorin Sarah Glidden haben zwei Monate im Nahen Osten verbracht.
    Glidden hat den Journalisten bei ihrer Arbeit über die Schulter geguckt, um die Reise später in einem Comic zu dokumentieren. Dabei möchte sie einer komplexen Frage nachgehen: Was ist Journalismus?
    "Da gibt es viele Schritte. Jemand erlebt etwas, dann erzählt er es dem Journalisten, der wiederum schreibt die Geschichte auf und jemand anders liest sie. Jeder legt Wert auf unterschiedliche Aspekte, und deshalb erzählt auch jeder Journalist eine andere Geschichte."
    So objektiv wie möglich
    Mit dieser Subjektivität im Hinterkopf versucht Glidden, so objektiv wie möglich zu sein. Das Ergebnis, der Band "Im Schatten des Krieges", ist eine Comic-Reportage über journalistische Arbeit. Kriegsopfer und politische Flüchtlinge erzählen in Interviews, wie sie nach der US-Invasion ihre Heimat und oft ihre Familie verloren haben. Gleichzeitig richtet Glidden ihren Blick auf Elemente des Journalismus, die Lesern sonst verborgen bleiben: Vorbesprechungen, das Nachbereiten und natürlich technische Schwierigkeiten.
    "Das war es dann wohl mit der Aufnahme. Wenn die Batterien rausfallen, wird die Datei gelöscht."
    Sarah Gliddens Tusche- und Aquarell-Zeichnungen sind einfach und dienen vor allem dem Erzählfluss. Während manche Comickünstler ihre Seiten füllen wie Wimmelbilder, konzentiert sich Glidden auf die Figuren und platziert sie vor schlichten, einfarbigen Hintergründen. Die Autorin selbst bleibt über weite Strecken eine Stimme von außerhalb des Bildrandes.
    "Es ist schwer, nicht mit den Leuten zu interagieren. Alle haben diese faszinierenden und manchmal sehr traurigen Geschichten. Da wird man zwangsläufig neugierig, will alles wissen und will unbedingt Fragen stellen."
    "Unsere Außenpolitik sollte den Militärkram lassen"
    Tatsächlich sind besonders die Episoden interessant, in denen Glidden dann doch aus ihrer Beobachterrolle heraustritt. In einem Gespräch mit ihr öffnet sich Golfkriegsveteran Dan plötzlich. Nachdem er sich die ganze Reise über in Interviews immer wieder bedeckt gehalten hat.
    "Ich wünschte, wir wären nie in den Irak einmarschiert. Unsere Außenpolitik sollte den ganzen Militärkram einfach lassen."
    In den fünf Jahren, die Sarah Glidden an "Im Schatten des Krieges" gearbeitet hat, hat sich vieles verändert. Damals war Syrien ein sicherer Hafen für Flüchtlinge aus den Nachbarländern.
    "Mehrere Leute haben mich davor gewarnt, nach Syrien zu reisen, weil es angeblich so gefährlich war. Aber ich war nie in Gefahr und war überrascht, wie gut es mir dort gefallen hat. Und ich dachte wirklich, ich würde noch einmal hinfahren."
    Das war bevor im Jahr 2011 der Bürgerkrieg ausbrach und zeigt eine große Hürde des Comicjournalismus. Zumindest in diesem Fall. Werke wie Joe Saccos "Palästina" oder Guy Delisles "Pjönjang" waren vergleichsweise schnell fertig und haben bei Erscheinen eine noch immer aktuelle Situation abgebildet. Dagegen ist "Im Schatten des Krieges" nach fünf Jahren mehr Zeitkapsel als aktueller Journalismus.
    Ausführlicher, lesenswerter Reisebericht
    "Ein Comic braucht seine Zeit. Deshalb ist es auch schwierig, tagesaktuellen Journalismus in diesem Format zu machen. Am längsten hat es gedauert, zu schreiben und zu strukturieren, also dem Buch erstmal eine Form zu geben."
    Fünf Jahre sind eine lange Zeit in einer Region, in der sich die geopolitischen Ereignisse überschlagen. Vieles ist trotzdem noch immer relevant, vor allem die mittelfristigen Folgen des Golfkriegs für den Nahen Osten und seine Bewohner. Aus mehreren hundert Stunden Tonmaterial hat Sarah Glidden einen 300-seitigen Comic geschaffen: Ein gewaltiges Unterfangen, ein ausführlicher, lesenswerter Reisebericht voller interessanter Begegnungen, Informationen, Perspektiven und persönlichen Einblicken.
    Vor allem ist "Im Schatten des Krieges" eine Auseinandersetzung mit dem Thema Journalismus. Sarah Glidden sagt, vollständig objektiven Journalismus kann es nicht geben, und diese These belegt sie nicht nur mit der Reportage ihrer Freunde: Sie unterstreicht sie vor allem mit ihrer eigenen Arbeitsweise. Denn anstatt nur zu beobachten, ergänzt sie historischen und biografischen Kontext und eigene Gedanken, so dass die Grenzen zwischen Erzählung, Journalismus, Meta-Journalismus und Kommentar nach und nach verschwimmen - und sich schließlich ganz auflösen.