"Also die Sprechblasen, das ist deine Sache, ob du die separat machst oder gleich in die Zeichnung zeichnest."
Letzte Feedbackrunde mit dem künstlerischen Leiter Sascha Hommer: Zu dritt beugen sie sich über das Storyboard, Zeichner Marlin van Soest blättert. Szene eins: Die Totale des Hamburger Hauptbahnhofs. Hier beginnt die Reportage, die van Soest gemeinsam mit dem brasilianischen Journalisten Augusto Paim recherchier hat: Ein Auswärtsspiel des FC Lampedusa, ein Fußballverein für Flüchtlinge.
"Wir haben die Geschichte jetzt auf zehn Seiten verkürzt, und die Idee ist es jetzt, dass wir eine Fußballgruppe begleiten, wo der erste Eindruck ist, es ist einfach eine sehr internationale Gruppe, die begegnen Vorurteilen..."
Zeichnung für Zeichnung besprechen die drei die Dramaturgie der Erzählung, diskutieren die Darstellung der Halbzeitpause:
"Ausnahmsweise plädiere ich mal für mehr Text, das dehnt die Zeit ..."
Paim und van Soest wollen aber, dass die Geschichte vor allem von Bildern lebt.
"Hier diese Szene mit den Leuten im Zug, die muss zeichnerisch so funktionieren, dass jeder auf den ersten Blick versteht, da sitzt ne deutsche Familie, die schwarzen Jungs kommen rein, die deutsche Familie erschrickt, und sobald die Jungs Sitzplätze suchen, hat die deutsche Familie ihre Füße auf den gegenüberliegenden Sitz gelegt, damit die sich da bloß nicht hinsetzen. Momentan ist es so gezeichnet, dass man das als Leser denkt, häh, was passiert da."
Gelingt die nonverbale Kommunikation, bietet das Genre gerade in einem interkulturellen Umfeld einen neuen journalistischen Zugang:
"Wenn man historisch schaut, sind Comics auch so entstanden: dass auch Leute, die nicht perfekt sind in der Sprache des Landes, in dem sie leben, das viel leichter aufnehmen können."
Der Zeichner Sascha Hommer leitet den Workshop gemeinsam mit der Journalistin Lilian Pithan: Binnen einer Woche sollen zwölf Comicreportagen über das Ankommen entstehen. Die Geschichte des syrischen Kanunspielers etwa, der für sein opulentes orientalisches Instrument im Tonsystem der westlichen Musik keinen Platz findet. Oder die Flüchtlingskinder aus Berlin-Lichtenberg, die in direkter Nachbarschaft mit AfD-Wählern leben. Die Teilnehmer kommen selbst aus zehn Ländern, darunter Polen, Eritreer, Israel. In Zweierteams, je ein Journalist und ein Zeichner, setzen sie die Geschichten um.
"Die Comics bauen nicht auf Dingen auf, die man sich hier einfach ausgedacht hat, sondern auf den Erlebnissen vor Ort, auf den Interviews, den Hintergrundfakten, also nur non-fiktionale Elemente."
Objektivität, Neutralität, Wahrhaftigkeit. Lilian Pithan stellt klar: Journalisten und Zeichner müssen die professionellen Grundsätze beachten. Trotzdem hat das Genre einen schweren Stand.
"Dadurch, dass der Comic an sich nicht als seriös genug empfunden wird von vielen Journalisten. Die denken, das ist nicht objektiv, Journalismus muss objektiv sein, also macht das keinen Sinn."
"Klar ist, es gibt keine objektiven Zeichnungen", sagt Sascha Hommer.
Wie Glaubwürdigkeit und Transparenz herstellen?
"Gerade wie Physiognomie in Zeichnungen funktioniert, ist ja immer eine Vereinfachung. Auch wenn ich realistisch zeichne, ist es immer noch eine Vereinfachung, ich kann ja nicht jede Hautpore zeichnen, das ist Unsinn."
Unter Comicjournalisten gibt es deshalb Strategien, um Glaubwürdigkeit und Transparenz herzustellen:
"Entweder zum Beispiel indem sie sich selber in die Reportage rein zeichnen, also die ganze Recherchesituation offenlegen. Das kann aber auch über einen Prolog funktionieren."
Oder über Originaldokumente, E-Mails und Fotos, die im Comic selbst abgebildet werden. Die Chance wiederum: Eine Zeichnung bietet dem Protagonisten mehr Anonymität als ein Foto. So können zum Beispiel auch Minderjährige abgebildet werden. Und dadurch, dass der Zeichner Marlin van Soest schon vor Ort Skizzen von den jugendlichen Fußballspielern gemacht hat, war der Zugang zu ihnen viel leichter, hat Journalist Augusto Paim beobachtet:
"Die Jungs waren sehr neugierig, sie wollten wissen, was Marlin macht, sie kommen zu ihm, sie sprechen mit ihm, das hilft bein Interview, das ist etwas Neues beim Comicjournalismus."
Paim hofft, dass sich der Aufwand lohnt: Denn auf die Schnelle lässt sich Comicjournalismus nicht umsetzen:
"Wenn man literarischen Journalismus macht, wenn man versucht, Technik von Kunst, von Literatur in Journalismus zu bringen, ist die Idee, dass wir versuchen, Bilder zu schaffen, die vielleicht im Kopf der Leser bleiben."