Bernd Lechler: Micky Maus, Asterix, Batman, Tim und Struppi - Hefte, Alben, Graphic Novels: Die Comicwelt ist riesig und vielfältig, aber kein Comic war erfolgreicher als - mit ihren Strips aus oft nur vier Bildern zwischen Slapstick und Philosophie - die Peanuts. 18.000 Folgen erschienen zwischen 1950 und 2000, als ihr Schöpfer Charles M. Schulz starb. Man könnte sagen, es ist die längste Geschichte, die je ein Mensch erzählt hat. In den besten Zeiten druckten über 2600 Zeitungen in 75 Ländern die Peanuts, Charles Schulz verdiente eine Milliarde Dollar mit ihnen und kommt sogar als toter Umsatzbringer gleich hinter Elvis Presley und John Lennon. Nach dem speziellen Geheimnis der Peanuts haben wir den Autor und Übersetzer Joachim Kalka gefragt. Von ihm erscheinen heute bei Reklam 100 Seiten über die Peanuts. Hallo nach Leipzig, Herr Kalka.
Joachim Kalka: Guten Tag.
Lechler: Was Ihr Lieblingsstrip von den Peanuts oder einer, den Sie besonders lustig oder klug oder typisch finden?
Kalka: Mein Lieblings-Vier-Bilder-Strip "Linus und Lucy" stehen unter einem großen Sternenhimmel und Linus sagt nachdenklich: 'Glaubst du Lucy, dass es da oben irgendwelche intelligenten Wesen gibt?' - 'Nein! Wenn es welche gäbe, dann hätten sie zweifellos versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen.' Und diese kleine Pointe unseres Narzissmus, die müssen doch mit mir Kontakt aufnehmen, ist die Quintessenz von Lucys Figur und eine der Grundstrukturen der Peanuts.
Über den Umgang mit dem Scheitern
Lechler: Die Lucy, die narzisstisch, aber auch aussichtslos in Schroeder verliebt ist, der wiederum diese Beethoven-Fixierung hat - dann gibt es Peppermint Patty, die sich hässlich findet und natürlich Charlie Brown, dem ohnehin von Sport bis zur Liebe alles schief geht: Die Peanuts sind groß im Scheitern. Warum ist das offenbar so ansprechend?
Kalka: Es liegt natürlich eine inhärente Komik im Scheitern für den Betrachter. Man muss sich vergegenwärtigen, wie gerne wir zusehen, wenn jemand auf einer Bananenschale ausrutscht und auf den Hintern fällt - was auch sehr schmerzhaft sein kann - aber wir lachen. Aber die Peanuts sind insofern noch komplexer, als sie ständig Scheitern vorführen, aber eben auch die Techniken, mit denen man mit dem Scheitern umgeht. Nur Charlie Brown hat keine wirkliche, glückliche Obsession entwickelt wie die anderen, die es ihm ermöglichen würde, über das eigene Scheitern - zumindest zeitweise - hinwegzusehen.
Wir haben noch länger mit Joachim Kalka gesprochen -
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Lechler: Aber er steckt es immer ziemlich stoisch weg. Kann man sagen, er gibt die Hoffnung nicht auf?
Kalka: Ja, unbedingt. Er ist auch, und das ist das Bewundernswerte an dieser Zentralfigur, er ist auch davon nicht abzubringen, dass er - altmodisch gesprochen - ein gutes Herz hat. Das ist das vielleicht Eindrucksvollste an diesem Strip, dass die Zentralfigur immer und ewig bei allen Vorhaben scheitert und auch von den anderen immer gehänselt und gefoppt wird, aber den Glauben an das Menschliche nicht verliert und auch nicht davon ablässt, sich dem anderen gegenüber rücksichtsvoll und höflich zu verhalten.
"Snoopy hat menschliche und hündische Eigenschaften"
Lechler: Vielleicht ist es dieses gute Herz, dass sich die Peanuts eigentlich schon als erbaulich und liebenswert erst mal darstellen. Sie schreiben aber auch, es präge eine unbekümmerte kindliche Grausamkeit, diese Comicstrips.
Kalka: Ja, das ist die Dialektik dieses Strips, dass es einerseits eben diese kindliche Welt ist, die wir alle mit so etwas nostalgischen Qualitäten in Erinnerung angereichert haben. Aber andererseits auch der mitleidslose Blick auf das Entzücken, das die Kinder empfinden, wenn sie jemand anderen kujonieren oder bloßstellen.
Lechler: Würden Sie sagen, so ist ja die Kindheit?
Kalka: Das ist ein realer Zug der Kindheit. Also mit etwas Glück ist das Mischungsverhältnis so, dass das nicht dominant ist, aber ich glaube schon, dass es viele Menschen gibt, die sich an die Kindheit vor allem als an einen Ort des Schreckens und des Terrors in der Peer-Group erinnern.
Lechler: Und dann gibt es Snoopy. Er kam später dazu, wurde aber dann zum berühmtesten Peanut fast. Was macht ihn so ausergewöhnlich?
Kalka: Das ist die Schaffung einer Figur, die gleichzeitig alle Charakteristika des Menschlichen hat, aber andererseits eben das Hündische auch verkörpert, vor allem in seiner Obsession mit seinem Hundefutter, wenn Charlie Brown sich eine Minute verspätet, kickt Snoopy schon gegen die Haustür. Das ist eine sehr schöne Strategie, die dem Leser auch zumindest so halb unbewusst en passant klar macht, dass er hier natürlich in ein Zeichensystem verwickelt ist und nicht in eine reale Geschichte.
"Im Fernsehen und Kino geht der Charme verloren"
Lechler: Und diese Kulisse dieses suburbanen Minnesota war damals schon ein bisschen nostalgisch, oder ist es Schulz' eigene Kindheit?
Kalka: Das ist kein realistisches Abbild seiner Kindheit, obwohl es überraschende Züge gibt, die er auch erwähnt hat. Er erzählt zum Beispiel, dass er als Kind sich selbst von seiner Physiognomie her für so unauffällig und durchschnittlich hielt, dass es ihn genuin erstaunt hat, wenn ihn jemand - wenn er mit seiner Mutter beim Einkaufen in der Innenstadt war - dort wieder erkannt hat. Und das ist der Ursprung dieses leeren Kreises von Charlie Browns ausdruckslosem Gesicht. Die anderen Kinder ziehen ihn ja gerne damit auf, dass er 'blah' sei, und eben keine charaktervolle Physiognomie habe.
Lechler: Ich habe mal meinen Kindern die alte Fernsehserie gezeigt, aber die sind da nicht so richtig eingestiegen, das war ihnen, glaube ich, zu langsam oder wirkte für sie zu altmodisch. Sind die Peanuts heute eher was für Erwachsene?
Kalka: Da muss ich natürlich sagen, dass - für meinen Begriff - der Fernsehversion und den Kinofilmen völlig der Charme des Strips abgeht. Das ist eine Parallelaktion, die sich oberflächlich gesehen derselben Materialien, Figurentechniken bedient, die aber in der Tat nur langweilig ist. Es fehlt die Knappheit, es fehlt auch das Pointierte des Strichs, es ist alles so ein bisschen langweilig und zerfasert. Also vielleicht sollte man bei Ihren Kindern noch mal die Probe mit dem Strip machen, mit einer Sammlung der Bildchen. Fernsehen und Film können hier von dem eigentlichen Zauber des Strips nichts mitteilen.
Lechler: Sie haben auch, Herr Kalka, über Mensch und Mond geschrieben, und als Übersetzer haben Sie Bret Easton Ellis ins Deutsche übertragen. Das heißt, Sie befassen sich schon auch mit erheblich düstereren Welten als den Peanuts. Aber offenbar sind die Ihnen daneben nicht zu leichtgewichtig. Also das letzte Wort in Ihrem Buch lautet "Meisterwerk".
Kalka: Ja. Ich bin etwa so alt wie dieser Strip, so zwei Jahre älter. Und ich habe ihn ziemlich früh entdeckt und ich habe lange Zeit, ohne jetzt groß in Reflexionsprozesse über diese Neigung einzutreten, mit dem Comic-Strip Peanuts gelebt. Und irgendwann hat mich das Thema zu faszinieren begonnen und ich habe mich gefragt, was passiert mit dieser ja so sehr sparsamen Theaterkulisse mit ihren wenigen Figuren. Wie gelingt es dem Autor, hier einen solchen Reichtum an Komik, aber auch an Situationen, bei denen einem das Lachen dann ein wenig im Halse stecken bleibt, zu entwerfen? Und mit diesen 100 Seiten, um die mich der Reclam Verlag jetzt gebeten hat, habe ich versucht, eine Antwort darauf zu geben, was denn den besonderen Reiz dieses Strips ausmacht.
Lechler: Joachim Kalka, danke für das Corsogespräch.
Kalka: Danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Joachim Kalka: "Peanuts"
Reclam Verlag, Ditzingen 2017
100 Seiten, 10 Euro
Reclam Verlag, Ditzingen 2017
100 Seiten, 10 Euro