Archiv

Connie Palmen: "Du sagst es"
In die Tiefe gezogen

In ihrem Roman "Du sagst es" beschreibt Autorin Connie Palmen die Ehe der beiden Lyriker Sylvia Plath und Ted Hughes. Plath, die unter starken Depressionen litt, brachte sich 1963 um. Hughes, gestorben 1998, hatte mit ihren Stimmungsschwankungen zu kämpfen. Das Buch geht der Frage nach, wie viel Verantwortung Partner füreinander übernehmen müssen.

Von Eva Karnofsky |
    Die niederländische Schriftstellerin Connie Palmen.
    Palmen beschreibt die Beziehung zwischen Sylvia Plath und Ted Hughes als gleichberechtigt. (dpa/picture-alliance/Horst Galuschka)
    "Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich's Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es",
    heißt es im Matthäus-Evangelium, und daher der Titel "Du sagst es" des jüngsten Romans der Niederländerin Connie Palmen, die schon vor längerer Zeit geäußert hatte, sie wolle einen Roman über einen Judas, über einen Verräter schreiben. Als sie dann die 88 Gedichte des Bandes "Birthday Letters" des 1998 verstorbenen britischen Lyrikers Ted Hughes gelesen hatte, wusste sie, wer dieser Judas sein würde. Ted Hughes.
    Er war der Witwer der amerikanischen Schriftstellerin und hochgelobten Dichterin Sylvia Plath, die am 11. Februar 1963 in London ihren Kopf in den Gasofen steckte und so ihrem Leben im Alter von gut 30 Jahren ein Ende setzte. Vier Wochen nachdem ihr erster und einziger Roman "Die Glasglocke" erschienen war. Connie Palmen hat nun die Geschichte von Sylvia Plath und Ted Hughes neu geschrieben, als Roman, aus der Sicht von Hughes, der darin im Jahr 1988 auf sein Leben mit Plath zurückschaut, in der Ich-Form, und in einer oft poetischen, bildreichen Sprache, die durchaus die von Hughes hätte gewesen sein können.
    "Für die meisten Menschen existieren wir, meine Braut und ich, nur in Büchern. In den vergangenen 35 Jahren habe ich mit ohnmächtigem Grauen zusehen müssen, wie unser wahres Leben unter einer Schlammlawine aus apokryphen Geschichten, falschen Zeugnissen, Gerüchten, Erfindungen, Mythen verschüttet wurde, wie man unsere wahren, komplexen Persönlichkeiten durch klischeehafte Figuren ersetzt, zu simplen Images verengt, für ein sensationslüsternes Leserpublikum zurechtgestutzt hat. Und da war sie die zerbrechliche Heilige und ich der brutale Verräter. Ich habe geschwiegen. Bis jetzt."
    Bei Feministinnen war Ted Hughes unbeliebt
    So beginnt Connie Palmens Romanfigur Ted Hughes seine Version der Liebes- und Leidensgeschichte. Für Feministinnen wie Germaine Greer diente Sylvia Plath als Beispiel für die unterdrückte Frau der Sechzigerjahre, da sie ihre Gedichte während der Hausarbeit ersinnen musste, und Ted Hughes war der Monster-Mann, der sie unterdrückte und in die ungeliebte Rolle der Hausfrau zwang. Die radikale Feministin Robin Morgan bezeichnete ihn sogar als Plaths Mörder, weil er ein halbes Jahr vor ihrem Selbstmord ein Verhältnis zu einer anderen Frau begonnen hatte, obwohl er wusste, dass seine Frau psychisch instabil und selbstmordgefährdet war und ihn obendrein noch liebte. Und weil er, als sie ihm am Abend vor ihrem Tod anrufen wollte, mit einer anderen Frau im Bett lag. Von Hughes wurde das Image eines sadistischen und brutalen Mannes verbreitet.
    Palmen dagegen zeichnet ein gänzlich anderes Bild der beiden. Ihre Sylvia Plath ist eine selbstständige Frau, die ihrem Ehemann Ted Hughes als Frau und als Lyrikerin auf Augenhöhe begegnet. Palmens Hughes ist ein gefühlvoller, verliebter Mann, der oft mit seiner starken, aber psychisch kranken Frau überfordert ist. Palmen lässt ihn schreiben:
    "Sie wollte ihre Kräfte mit jemandem messen, sie wollte kämpfen, und dafür hatte sie sich den größten und stärksten Mann ausgesucht, den sie finden konnte. Mich."
    Finanzielle Abhängigkeit des Ehepaares
    Das Ehepaar musste oft Mühe aufbringen, um den Lebensunterhalt für sich und die beiden Kinder zu sichern, es war abhängig von Mäzenen und Vortragseinladungen, gemeinsam fieberten Plath und Hughes den Antworten von Verlegern entgegen, denen sie ihre Manuskripte geschickt hatten. Palmen zeichnet die beiden als Teil des Literaturbetriebs ihrer Zeit, wenn sie etwa auf ihre Bekanntschaft mit dem amerikanischen Lyriker William Stanley Merwin und seiner Frau eingeht oder auf die britische Kritikerszene, von deren Urteil die Autoren damals ebenso abhingen wie heute.
    Aus Sicht des Hughes von Connie Palmen war einer dieser Kritiker Al Alvarez von der Tageszeitung "The Observer" der Judas, der Plath verraten hat, wenn er die Deutungshoheit für Plaths Leben und ihre Gedichte für sich in Anspruch nahm und verbreitete, Hughes hätte sie vom Selbstmord abhalten können.
    "Biographen führen sich auf, als könnten sie Besitzansprüche auf dein Leben geltend machen, als wäre es ein Produkt. Ich fand mein gestohlenes Leben in den Büchern wieder, sah meine Liebe, meine Ehe, meine Gedanken und Handlungen von Freunden und Fremden für mich interpretiert", notiert Palmens imaginärer Ted Hughes. Womit die niederländische Autorin Biographien ganz allgemein zu Fiktion erklärt.
    Kitschfreie, tragische Liebesgeschichte
    Nicht jeden Leser mag das von Palmen gut nachempfundene Verhältnis von Sylvia Plath und Ted Hughes interessieren. Doch Palmens Roman fasziniert auch als eine berührende, weil völlig kitschfreie, tragische Liebesgeschichte zweier Menschen, die ohne einander nur schwer leben können, aber miteinander vor unüberwindlichen Schwierigkeiten stehen. Sie zeigt beider Grenzen auf, nicht nur die von Hughes, wie es bislang üblich war, sondern auch die von Plath, die bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hatte, als das Paar sich kennenlernte, und die zeitlebens an ihrer engstirnigen Mutter sowie dem frühen Verlust des Vaters litt.
    "Sie versuchte, den Selbstmord ihres Idols Virgina Woolf nachzuahmen, und ging ins Wasser, doch der Ozean wies ihr Geschenk zurück und spuckte sie wieder aus."
    Sylvia Plath litt unter Depressionen und unter extremen Stimmungsschwankungen, das ist verbrieft, und Palmens Hughes quält dies sehr. Zwischen den Zeilen der niederländischen Schriftstellerin schimmert die Intention durch, Hughes Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie stellt ihn nicht als Lichtgestalt dar und verschweigt seine Affären nicht, aber er ist für Palmen nicht der schändliche Verräter, sondern im Sinne von Walter Jens' Roman "Der Fall Judas" wie Jesus Opfer des gleichen göttlichen Plans.
    Beide Ehepartner leiden unter den Depressionen
    Hughes war wie sie selbst Opfer der Depressionen seiner Frau, die die Beziehung immer wieder überschatteten und ihn mit in die Tiefe zogen. So ist "Du sagst es" auch ein Buch über die Frage, wie weit Verantwortung für den Partner, die Partnerin reicht. Wie viel muss ein Mensch aushalten, bevor er beginnt, an sich selbst zu denken? Connie Palmens Roman regt an, darüber nachzudenken. Auch das macht ihn lesenswert.
    Connie Palmen: Du sagst es.
    Diogenes, Zürich 2016, 279 Seiten, 22,00 Euro.