"Es ist ein Stück aus dem Tollhaus", sagte Dagdelen. Sie warf der Regierung in Ankara vor, eine Öffentlichkeitsarbeit im Mafiastil zu betreiben. Ein ähnliches Vorgehen kenne man nur aus Diktaturen. Was der Deutschen Welle passiert sei, "ist genau das, was viele Journalisten in der Türkei seit Jahren erleben."
Die Bundesregierung dürfe nicht schweigen, wie es Kanzlerin Merkel in der Generaldebatte zum Haushalt gemacht habe. Die Deutsche Welle sei der deutsche Auslandssender und werde aus Haushaltsmitteln finanziert. Ein "massiver Angriff" auf deren Mitarbeiter müsse verurteilt werden.
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: "Conflict Zone", so heißt eine Sendung der Deutschen Welle, in der internationale Entscheidungsträger konfrontativ interviewt werden. Und konfrontativer als Michel Friedman im Gespräch mit einem türkischen Minister kann man sich das Setting dieser Tage kaum vorstellen. Am Montag wurde das Interview im türkischen Sportministerium aufgezeichnet. Mitarbeiter hätten das Deutsche Welle-Team danach genötigt, das Ministerium ohne die Aufnahme zu verlassen. Und schon haben wir einen neuen Presseskandal, in den die Türkei verwickelt ist.
In Berlin begrüße ich die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, Mitglied in der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Guten Tag, Frau Dagdelen.
Sevim Dagdelen: Schönen guten Tag, Frau Heuer.
"Es gibt Angriffe auf die Pressefreiheit in der Türkei zur Genüge"
Heuer: Der Deutsche Journalistenverband spricht jetzt von einem schwerstmöglichen Angriff auf die Pressefreiheit. Sehen Sie das anders?
Dagdelen: Nein. Das ist genau das, was vielerlei Journalisten in der Türkei schon seit Jahren erleben. Es gibt Angriffe auf die Pressefreiheit in der Türkei zur Genüge. Seit Mitte Juli wurden mindestens 60 Journalisten und Autoren verhaftet, viele auch, die ich persönlich kenne. Mehr als 130 Medienhäuser sind geschlossen worden, darunter 45 Zeitungen, 29 Buchverlage und 15 Magazine, und die Liste geht immer weiter.
Insofern haben Friedman und die Deutsche Welle uns eindrücklich noch mal demonstriert, hier mit ihren Erlebnissen, die natürlich nicht schön sind und in keinster Weise akzeptabel sind, aber dass die Öffentlichkeitsarbeit der türkischen Regierung im Mafia-Stil passiert und dass der Jugendminister Kilic hier seinem Paten, dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan nacheifert.
"Die Bundesregierung darf darüber nicht schweigen"
Heuer: Aber, Frau Dagdelen, der Vorgang hat sich ja nun in der Türkei abgespielt. Uns mag das nicht gefallen. Aber kann es sein, dass da Pressefreiheit einfach anders gehandhabt wird als bei uns?
Dagdelen: Pressefreiheit wird überall international so gehandhabt. Es gibt ja internationale Normen der Pressefreiheit und dazu gehört natürlich auch, dass es den Journalisten selber obliegt, zu berichten. Das ist das freie Wort. Das sind universelle Menschenrechte und da kann die Türkei nicht sagen, sie handhaben es anders.
Ja, es stimmt: Es gibt eine Repression gegenüber den Journalisten, und ich habe Ihnen diese Liste der Repressionen ja auch noch mal jetzt gerade demonstriert. Und das ist trotzdem etwas, was man natürlich nicht akzeptieren darf.
Die Bundesregierung darf darüber nicht schweigen, wie es die Bundeskanzlerin heute in der Generaldebatte schon wieder gemacht hat und sich an die Seite der Türkei gestellt hat, ihre Zusammenarbeit, ihre Premiumpartnerschaft mit dieser türkischen Regierung noch mal verteidigt hat, was ich für skandalös halte angesichts auch der Berichte, die wir gestern noch mal bekommen haben.
Weil die Deutsche Welle ist ja hier kein normales oder gewöhnliches Medium, sondern es ist eine Ohrfeige auch für die Bundeskanzlerin, weil die Deutsche Welle ist nicht irgendein normaler Sender, sondern es ist der deutsche Auslandssender der Bundesrepublik Deutschland. Und ich finde, das ist unerhört!
"Dieses ständige klein Beigeben versteht Erdogan als Ermunterung, noch dreister vorzugehen"
Heuer: Sie hätten erwartet, dass die Bundeskanzlerin heute in der Generaldebatte das Thema aufgreift und sich dann kritisch zur Türkei äußert?
Dagdelen: Ich hätte mir da schon ein Wort der Klarheit gewünscht. Wenn der Auslandssender der Bundesrepublik Deutschland, der aus Mitteln des Bundeshaushaltes bestritten wird, hier von einem Partner der deutschen Bundesregierung völlig die Rechte dieses Senders missachtet werden, hier ein massiver Angriff auf die Mitarbeiter und auf das technische türkische Personal dieses Senders dort stattfindet und auf Journalisten, renommierte Journalisten wie Michel Friedman, dass da natürlich auch die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung hier ein klares Wort sprechen.
Stattdessen ducken die sich schon wieder weg, beschweigen das, und es ist noch nicht mal so, dass beispielsweise die Bundesregierung hier aktiv geworden ist seit gestern, indem sie beispielsweise Ankaras Diplomaten in Berlin einbestellen, protestieren, eine diplomatische Protestnote übergeben. Ich glaube, dieses ständige klein Beigeben und Schweigen versteht Erdogan dann letztendlich und auch seine Jünger wie Herr Kilic als Ermunterung, noch dreister vorzugehen.
"Wir müssen uns an die Seite der Presse stellen"
Heuer: Ich verstehe Sie so: All das fordern Sie auch jetzt noch von der Bundesregierung, den Botschafter einzubestellen, diplomatische Mahnungen auszusprechen und so weiter und so fort? Der Vorgang ist ja noch einigermaßen jung, kann ja noch passieren, Frau Dagdelen.
Dagdelen: Natürlich sind wir der Auffassung, dass das hier nicht einfach hingenommen wird. Auch wenn es der deutsche Auslandssender der Bundesrepublik Deutschland ist. Es hätte natürlich auch die ARD oder auch andere private Sender sein können. Auch da würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung sich für die Freiheit der Presse, für freie Meinungsäußerung, für unsere Grundrechte in Deutschland und Europa, die universelle Grundrechte sich, auch stark macht und dort interveniert und protestiert und selbstverständlich auch die Herausgabe dieses Materials anfordert.
Ich meine, das ist doch wirklich ein Stück aus dem Tollhaus, was wir hier mitbekommen. Erst ein Interview zusagen und dann nach unbequemen Fragen, die Journalisten zur Herausgabe des Filmmaterials zu nötigen, das kennt man tatsächlich wirklich nur aus Diktaturen, und das darf nicht von der Bundesregierung einfach mit Schweigen quittiert werden.
Da muss interveniert werden und wir müssen uns an die Seite der Presse stellen und von Michel Friedman und dem Intendanten der Deutschen Welle und nicht an die Seite des Diktators Erdogan und seines Jüngers Kilic.
Heuer: Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen im Interview mit dem Deutschlandfunk. Frau Dagdelen, haben Sie vielen Dank.
Dagdelen: Ich danke Ihnen, Frau Heuer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.