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Daily Telegraph in der Kritik
Ex-Mitarbeiter sieht journalistische Qualität in Gefahr

In Großbritannien hat einer der angesehensten Journalisten des Landes, Peter Oborne, seine Kündigung beim Traditionsblatt Daily Telegraph öffentlich gemacht. Seinem ehemaligen Arbeitgeber wirft er vor, kritische Berichte zu unterdrücken und vor Anzeigenkunden wie der HSBC-Bank zu kuschen.

Von Jochen Spengler |
    Titelseite einer Ausgabe der britischen Tageszeitung " Daily Telegraph"
    Der Ruf des Daily Telegraph - einer britischen Institution - ist nach Ansicht Peter Obornes stark gefährdet. (picture alliance / dpa - Britta Gürke)
    Peter Oborne ist einer der angesehensten Journalisten Großbritanniens, konservativ, unabhängig und unbestechlich. Lange war er stolz darauf, politischer Chefkommentator des konservativen Traditionsblattes zu sein, denn: "Es geht um den Daily Telegraph, über den wir sprechen. Das ist ein gewaltiges Erbe seit weit über 100 Jahren; er war immer berühmt für die Korrektheit seiner Nachrichten und die Fairness seiner Kommentare."
    Doch der Ruf dieser britischen Institution ist nach Ansicht Peter Obornes gefährdet. In den 81 Jahren von 1923 bis 2004 habe der Telegraph sechs Chefredakteure gehabt, jeder eine starke Persönlichkeit. Doch seit die schottischen Barclay-Brüder 2004 den Telegraph kauften, kamen und gingen die Chefs. Allein im letzten Jahr seien es drei gewesen. Auch die Entlassung von 100 Redakteuren in den letzten beiden Jahren führte zu sinkendem journalistischen Niveau und zu Fehlern. Stories würden nicht mehr nach ihrer Bedeutung oder Sorgfalt beurteilt, sondern nach der Anzahl der Online-Klicks; am schlimmsten aber sei, so Oborne, dass sich die einstige Qualitätszeitung prostituiere, indem sie redaktionell Rücksicht auf mächtige Anzeigenkunden nehme. In Channel 4 erklärt der 57-jährige Journalist:
    "Ich habe das in den letzten zehn Wochen gegenüber dem Management angesprochen, auch mit den Besitzern, den Brüdern Barclay, aber sie haben sich für meine Fragen nicht interessiert. Deswegen habe ich im Dezember gekündigt, doch ich wollte im Stillen gehen. Aber letzte Woche kam es zu diesem schrecklichen Vorfall. Alle Zeitungen berichteten ausgiebig über Swiss-Leaks, darüber wie die Schweizer Niederlassung der HSBC-Bank Kunden beim Steuervermeiden half - nur der Telegraph nicht. Am zweiten Tag gab es sechs Absätze unten auf Seite 2 und einige versteckt im Wirtschaftsteil und am ersten Tag gar nichts – das hat mich als Journalist einfach krank gemacht."
    Weswegen Peter Oborne am letzten Dienstag mit einem publizistischen Paukenschlag seine Kündigung öffentlich macht. In einem ausführlichen Blog schont er seinen Arbeitgeber nicht: der kusche vor Inserenten wie der HSBC schon seit zwei Jahren. Kritische Berichte habe man unterdrückt, entfernt oder alternativ Gefälligkeitsberichte gedruckt über eine Reederei, eine Supermarktkette und die Volksrepublik China, samt und sonders lukrative Anzeigen- und Beilagenkunden.
    Vorwürfe, die der Telegraph zurückweist. Die Trennung zwischen dem Anzeigengeschäft und Redaktion bleibe für das Unternehmen fundamental und man bedaure die erstaunliche und haltlose Attacke Obornes, die voller Ungenauigkeiten und Unterstellungen sei. Die konkreten Fragen des Journalisten bleiben allerdings unbeantwortet.
    Telegraph rechtfertigt sich mit dem Glauben an freies Unternehmertum
    Dafür legt der Telegraph etwas später noch nach und feuert eine polemische Breitseite gegen jene Medien, die über Obornes Kündigung berichteten. Die seien wie die BBC oder der Guardian feindselig gegenüber der Wirtschaft und Finanzindustrie – und von denen lasse man sich keine Lektionen in Journalismus erteilen. Man sehe keinen Grund sich zu entschuldigen, sondern habe im Einklang mit den eigenen Werten, mit dem Glauben an freies Unternehmertum und freie Märkte berichtet. Der Ex-Chefkommentator aber hält dagegen:
    "Ich glaube, dass ich für die große Mehrheit der Telegraph-Angestellten spreche, wenn ich sage, dass wir überhaupt kein Vertrauen mehr haben in Murdoch MacLennan, den Geschäftsführer. Und ich gehe weiter und sage, dass wir erst recht kein Vertrauen haben in die Barclay-Brüder, die Besitzer der Zeitung."
    Auflage seit der Jahrtausendwende halbiert
    Für sie soll sich der Kauf in Höhe von 665 Millionen Pfund bezahlt machen, auch wenn alle Zeitungen im Durchschnitt 40 Prozent der Leser in den letzten 15 Jahren eingebüßt haben, ihr Geschäftsmodell immer fraglicher wird und sie neue Wege gehen müssen. So hat sich die Auflage des Telegraph seit der Jahrtausendwende auf eine halbe Million halbiert. Die Medien-Analystin Claire Enders:
    "Der Telegraph ist tatsächlich noch der Star-Performer in der Qualitätspresse und hat 60 Millionen Pfund in den letzten beiden Jahren verdient. Doch was man beobachten kann ist nicht nur der Rückgang der Zeitungsauflagen, sondern – viel wichtiger - ein Rückgang des Anzeigenaufkommen. Es gibt derzeit überhaupt nur noch ein Gesamtvolumen von einer Milliarde Pfund Anzeigen in der Zeitungsindustrie. Und das Verhältnis zwischen Medien und Anzeigenkunden hat sich dramatisch verändert. Dass die Inserenten die Bedingungen diktieren, ist normal geworden."
    Wie zur Bestätigung meldet der Guardian, dass die HSBC in dem Moment keine Anzeigen mehr bei ihm schaltete, als er begann über die Schweizer Bank-Affäre ausführlich zu berichten. Und noch etwas deckt das links-liberale Blatt auf: Vor zwei Jahren erhielten die Telegraph-Eigner von der HSBC ein 250 Millionen Pfund-Darlehen, um einen zu ihrem Imperium gehörenden schwächelnden Paketdienst zu retten; kurze Zeit später endeten – Peter Oborne zufolge - die HSBC-kritischen Berichte im Telegraph.