Wer aus der Balance gerät, strauchelt, muss aber nicht fallen. Wie schmal der Grat ist, um ins Bodenlose zu stürzen oder doch aufgefangen zu werden, das weiß unter den Künstlern der Tanzende wohl am besten. Spätestens seit Heinrich von Kleists Essay über das "Marionettentheater" ist die Frage, ob der menschliche Körper mehr Anmut und Grazie besitzt als eine Puppe, zu einer zentralen Metapher in der Literatur geworden.
In diesen ästhetischen Diskurs verortet Dana Grigorcea auch ihre Novelle "Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen", mit der sie augenzwinkernd an Anton Tschechows Erzählung von 1899 erinnert. Wobei es ihr vor allem um die spannungsreichen Wechselwirkungen zwischen Liebe und Empathie, Kunst und Ästhetik geht.
Anna, die Protagonistin ihrer Novelle, ist eine gefeierte Primaballerina, die auf allen Bühnen der Welt im klassischen Repertoire grandiose Erfolge gefeiert hat: "Dornröschen" am Covent Garden, "Onegin" in Tokio, "Romeo und Julia" am Kirow-Ballett, die "Bayadère" an der Met. Auch im privaten Leben könnte es kaum besser laufen, denn sie ist mit einem erfolgreichen Arzt verheiratet, der sie bewundert und abgöttisch liebt.
Doch während Anna in den begehrtesten Charakterrollen brilliert, fühlt sie sich zunehmend einer mechanischen Puppe gleich, die einsam in ihrer Kunstausübung agiert. Bei aller Perfektion scheint ihr die Empfindung für das, was sie verkörpert, abhandengekommen zu sein. Im Bemühen niemals das "Taktgefühl für den schönen Abgang" zu verlieren, um in der Gunst des Publikums zu bleiben, ist die Seele auf der Strecke geblieben.
In diesen ästhetischen Diskurs verortet Dana Grigorcea auch ihre Novelle "Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen", mit der sie augenzwinkernd an Anton Tschechows Erzählung von 1899 erinnert. Wobei es ihr vor allem um die spannungsreichen Wechselwirkungen zwischen Liebe und Empathie, Kunst und Ästhetik geht.
Anna, die Protagonistin ihrer Novelle, ist eine gefeierte Primaballerina, die auf allen Bühnen der Welt im klassischen Repertoire grandiose Erfolge gefeiert hat: "Dornröschen" am Covent Garden, "Onegin" in Tokio, "Romeo und Julia" am Kirow-Ballett, die "Bayadère" an der Met. Auch im privaten Leben könnte es kaum besser laufen, denn sie ist mit einem erfolgreichen Arzt verheiratet, der sie bewundert und abgöttisch liebt.
Doch während Anna in den begehrtesten Charakterrollen brilliert, fühlt sie sich zunehmend einer mechanischen Puppe gleich, die einsam in ihrer Kunstausübung agiert. Bei aller Perfektion scheint ihr die Empfindung für das, was sie verkörpert, abhandengekommen zu sein. Im Bemühen niemals das "Taktgefühl für den schönen Abgang" zu verlieren, um in der Gunst des Publikums zu bleiben, ist die Seele auf der Strecke geblieben.
Balsam für die Seele
Dann aber lernt Anna an einem Frühlingstag auf der Seepromenade in Zürich im Café einen Mann kennen. Der Fremde hatte ihr Hündchen angelockt, bei dem es sich übrigens, im Gegensatz zu Tschechow, um eine Mischung aus maghrebinischem Windhund und Spitz handelt. Ihre Sympathie füreinander wird schnell intensiver und körperlich.
Da Gürkan, der nur kurzzeitig als Gärtner in Zürich tätig ist, wo er das Seeufer begrünt, mit seiner Familie im Aargau, einem Kanton im Norden der Deutschschweiz, lebt, scheint ihre Affäre mit der Bepflanzung der Promenade beendet zu sein. Gürkan hatte zwar überlegt, zarteres Gewächs zu pflanzen, das bald wieder erneuert werden müsste, um ihr Zusammensein zu verlängern. Aber, so heißt es, "er hatte Mitleid gehabt mit den Blumen".
Anna ist sich sicher, dass die Zeit das Geschehene schon bald in eine Erinnerung verwandeln würde, die abrufbar ist, wenn man sie braucht. "Eine Geschichte ging zu Ende", resümiert Anna, "und sie war wieder einmal perfekt aufgetreten, sensibel und grazil, hatte ihren eigenen Part routiniert gespielt, mit eher geringer Achtung für den Partner."
Doch diesmal geht ihre Rechnung nicht auf. Sie flieht nach Venedig, in der Hoffnung, die innere Balance wieder zu erlangen. Als sie beim Anblick der venezianischen Malerei jedoch von einer nie gekannten Helligkeit erfasst wird, die sie vor allem in den "restaurierten Tintorettos und Canalettos" erblickt, erkennt sie, dass das Geschehene als eine verändernde Kraft längst von ihr Besitz ergriffen hat.
Die Autorin bereitet Annas Krise frühzeitig vor. Zum Beispiel mit einem Satz, der sich eigentlich auf den Tanz bezieht: dass nämlich die Freiheit "immer zwischen den Tanzschritten" liege, da die Macht der Choreographie nur so zu bannen ist.
Da Gürkan, der nur kurzzeitig als Gärtner in Zürich tätig ist, wo er das Seeufer begrünt, mit seiner Familie im Aargau, einem Kanton im Norden der Deutschschweiz, lebt, scheint ihre Affäre mit der Bepflanzung der Promenade beendet zu sein. Gürkan hatte zwar überlegt, zarteres Gewächs zu pflanzen, das bald wieder erneuert werden müsste, um ihr Zusammensein zu verlängern. Aber, so heißt es, "er hatte Mitleid gehabt mit den Blumen".
Anna ist sich sicher, dass die Zeit das Geschehene schon bald in eine Erinnerung verwandeln würde, die abrufbar ist, wenn man sie braucht. "Eine Geschichte ging zu Ende", resümiert Anna, "und sie war wieder einmal perfekt aufgetreten, sensibel und grazil, hatte ihren eigenen Part routiniert gespielt, mit eher geringer Achtung für den Partner."
Doch diesmal geht ihre Rechnung nicht auf. Sie flieht nach Venedig, in der Hoffnung, die innere Balance wieder zu erlangen. Als sie beim Anblick der venezianischen Malerei jedoch von einer nie gekannten Helligkeit erfasst wird, die sie vor allem in den "restaurierten Tintorettos und Canalettos" erblickt, erkennt sie, dass das Geschehene als eine verändernde Kraft längst von ihr Besitz ergriffen hat.
Die Autorin bereitet Annas Krise frühzeitig vor. Zum Beispiel mit einem Satz, der sich eigentlich auf den Tanz bezieht: dass nämlich die Freiheit "immer zwischen den Tanzschritten" liege, da die Macht der Choreographie nur so zu bannen ist.
Was aber fängt man mit dem Wissen um diese Freiheit an?
Mit sicherem Schriftzug skizziert Dana Grigorcea den novellistischen Spannungsbogen, ohne spüren zu lassen, wie sehr es ihr dabei um das Symbolische geht. Denn ihr Text ist eine Hommage an die Künste, an die Literatur, aber auch an die Körper, die an allen ästhetischen Ausdrucksformen sowie ihrer Rezeption beteiligt sind. Er gipfelt schließlich in der Frage, ob ein ritueller Reigentanz auf einem Marktplatz mehr Anmut und Grazie beinhaltet als das perfekte Solo einer Primaballerina auf der Opernhausbühne. Auch Gürkans gärtnerische Arbeit wird als eine Art Kunstausübung verstanden und in die Auseinandersetzung einbezogen.
Grigorceas Erzählen fließt behutsam, fast sorglos in mitunter an Tanzrhythmen erinnernde Bewegungen dahin. Während sie den Blick für das Detail schärft, öffnen sich erzählperspektivisch immer neue Sinnräume.
Die Lektüre wird schließlich auch deshalb zu einem Genuss, da ihre Sprache klar wie anmutig ist. Zu einem synästhetischen Fest wird der Text, wenn zu lesen ist: "Letzte Sonnenstrahlen leuchteten vom See schräg über die Tramhaltestellen, darin glänzten kleine Fliegen und Altweiberfäden". Oder wenn sich Anna plötzlich ein "Jasminduft" aufdrängt und sie sich dem "Gefühl des Sattseins" nicht entziehen kann. Und während die Grenzen zu fließen beginnen, scheint alles vielleicht doch nur eine Illusion gewesen zu sein.
In einem Interview verwies die Autorin darauf, dass ein Buch zur Empathie erziehen und Literatur die Sinnlichkeit schulen sollte. Eine Ahnung davon wie das funktionieren könnte, vermag sie mit ihrer Novelle zu zeigen. Ohne didaktischen Zeigefinger ist "Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen" ein Plädoyer für das Flüchtige des Glücks und für das Unsagbare als ein Geheimnis, das es immer wieder zu erkunden und zu bewahren gilt.
Grigorceas Erzählen fließt behutsam, fast sorglos in mitunter an Tanzrhythmen erinnernde Bewegungen dahin. Während sie den Blick für das Detail schärft, öffnen sich erzählperspektivisch immer neue Sinnräume.
Die Lektüre wird schließlich auch deshalb zu einem Genuss, da ihre Sprache klar wie anmutig ist. Zu einem synästhetischen Fest wird der Text, wenn zu lesen ist: "Letzte Sonnenstrahlen leuchteten vom See schräg über die Tramhaltestellen, darin glänzten kleine Fliegen und Altweiberfäden". Oder wenn sich Anna plötzlich ein "Jasminduft" aufdrängt und sie sich dem "Gefühl des Sattseins" nicht entziehen kann. Und während die Grenzen zu fließen beginnen, scheint alles vielleicht doch nur eine Illusion gewesen zu sein.
In einem Interview verwies die Autorin darauf, dass ein Buch zur Empathie erziehen und Literatur die Sinnlichkeit schulen sollte. Eine Ahnung davon wie das funktionieren könnte, vermag sie mit ihrer Novelle zu zeigen. Ohne didaktischen Zeigefinger ist "Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen" ein Plädoyer für das Flüchtige des Glücks und für das Unsagbare als ein Geheimnis, das es immer wieder zu erkunden und zu bewahren gilt.
Dana Grigorcea: "Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen"
Dörlemann Verlag AG, Zürich 2018. 128 Seiten, 16 Euro
Dörlemann Verlag AG, Zürich 2018. 128 Seiten, 16 Euro